Montag, 22. August 2022

Rezension: Aus Politik und Zeitgeschichte - Geldpolitik

 

Aus Politik und Zeitgeschichte - Geldpolitik

Geldpolitik läuft für mich unter "das wichtigste Thema, von dem du viel zu wenig verstehst", weswegen eine Ausgabe der APuZ gerade recht kommt, um einige Lücken aufzufüllen und neue Erkenntnisse zu vermitteln. Mit 64 Seiten anstatt der üblichen 48 ist das Heft reichlich umfangreich geraten, und ich will gar nicht zu viel Zeit verlieren und direkt mit der Besprechung loslegen.

Den Einstieg macht Carolin Müller mit ihrem Aufsatz "Politische Theorie des Geldes". Gleich zu Beginn wird deutlich, was Geldpolitik so kompliziert macht: es gibt keine allgemein anerkannte Theorie des Geldes. Je nachdem welcher man folgt, was man also glaubt, das Geld eigentlich ist und woher es kommt, wird man zu radikal unterschiedlichen Schlüssen kommen. Müller gibt im Überblick einige der wichtigsten Theorien wieder.

Wenig Zeit verbringt sie mit dem neoklassischen Modell des Gelds als Tauschware, das mittlerweile gründlich widerlegt ist, auch wenn es sich in Wirtschaftslehrbüchern und populären Darstellungen leider immer noch zur Genüge findet. Relevanter ist die Vorstellung von Geld als Kredit: demzufolge ist Geld lediglich ein Schuldschein, der akzeptiert wird und transferierbar ist. Allein, wie entsteht das Geld dann? Müller stellt sowohl private Geldschöpfung - durch die Banken, die es ihrerseits von der Zentralbank aufnehmen - als auch öffentliche Geldschöpfung als mögliche Quellen vor, die sich im Übrigen auch nicht gegenseitig ausschließen müssen.

Der Beitrag wird durch die Folgen dieser Annahmen abgerundet: Wer beispielsweise Geld hauptsächlich als Tauschmittel sieht, wird eher für unabhängige Zentralbanken plädieren als jemand, der Geld eher als Folge von Krediten betrachtet. Müller dekliniert diese Folgen in aller Kürze anhand des Politikwandels der EZB durch, der allerdings wesentlich ausführlicher in den Beiträgen von Ulrike Neyer und Stefan Schäfer behandelt wird.

Eben jene Ulrike Neyer legt den nächsten Beitrag vor, "Die neue geldpolitische Strategie der Europäischen Zentralbank - Grundlagen und Herausforderungen". Zu Beginn erklärt sie das Mandat der EZB, das einseitig (im Gegensatz etwa zu dem der amerikanischen Fed) auf eine niedrige Inflationsrate festgelegt ist. Bis vor Kurzem bestand dieses Ziel bei einer Inflation von unter, aber knapp bei 2%; in jüngster Zeit hat die EZB einen Strategiewechsel vorgenommen, der aus der langen Niedrigzinsperiode und den geschrumpften Handlungsspielräumen der EZB sowie den makroökonomischen Umständen, die diese Periode erzwungen haben, resultiert. Diesen erläutert Neyer anhand dreier Kernbereiche.

Der erste ist eine neue Zielinflationsrate, das zweite die Festlegung der Instrumente zu ihrer Erreichung und das dritte die Informationen, die hierzu herangezogen werden. Die Zielinflationsrate wurde minimal geändert und beträgt jetzt exakt 2%. Gegen die ordoliberalen Falken war keine größere Erhöhung möglich gewesen. Der größere Umschwung aber besteht in den Instrumenten. Das klassische Instrument des Leitzinses greift nicht mehr, weil dieser einerseits wesentlich weniger wirksam ist als bislang angenommen und zweitens ohnehin praktisch bei null liegt und somit keine Änderungen erlaubt. Stattdessen greift die EZB auf "quantitative Lockerung" (quantitative easing, QE) zurück, also den Aufkauf von Staatspapieren zur Stabilisierung der Zinsen. Dieses Instrument ist besonders in Deutschland sehr umstritten; diese Diskussion zeichnet Neyer kurz nach.

Bislang beobachtete die EZB die Inflation über zwei Säulen: wirtschaftliche Entwicklung und Stabilität des Bankensektors. Nun wird ein "integrierter Analyserahmen" benutzt, der den Bankensektor wesentlich stärker in den Blick nimmt. Neyer schließt ihren Beitrag mit einer kurzen Diskussion "grüner" Geldpolitik, also der Idee, dass die EZB nur nachhaltige Investitionen unternimmt, ab, kommt aber zu dem Schluss, dass dies mit dem EZB-Mandat nicht vereinbar ist.

Zu einer anderen Seite der Funktionsweise des Geldsystems kommt Joscha Wullheber in seinem Beitrag "Zentralbankkapitalismus - Das (Schatten-)Bankensystem in der Krise". Das Schattenbankensystem lebt vor allem vom sogenannten Repo-Geschäft, also Kaufabsichten zu festgelegten Kursen. Dieses Geschäft ist in den letzten beiden Dekaden explosionsartig gewachsen und hat mittlerweile gigantische Ausmaße angenommen. Da die Repo-Geschäfte stets abgesichert sein müssen, hat ihre gewaltige Zunahme einen ebenso gewaltigen Bedarf an sicheren Anlagen - sprich, Staatsanleihen - geschaffen, der die Vorstellung von weniger Staatsschulden sehr problematisch macht.

Gibt es nämlich nicht genug solcher Anleihen, und werden diese nicht wie von Neyer beschrieben von der EZB mit QE gestützt und unterfüttert, dann ist der Bestand des Schattenbankensystems gefährdet, und mit ihm die Liquidität des gesamten Finanzsenktors. Die Folge ist, dass die Unabhängigkeit der Zentralbanken nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, solange dieses System so besteht. Wullheber warnt eindrücklich davor, so zu tun, als ob Politik hier keine Rolle spiele: tatsächlich sind es genuin politische Entscheidungen, die aus diesen Entwicklungen resultieren, und das zu verleugnen ist fahrlässig.

Die große Befürchtung, was aus diesen Entwicklungen resultiert, ist natürlich eine höhere Inflationsrate. Hiermit beschäftigt sich Mechthild Schrooten in ihrem Beitrag "Inflation und Inflationsangst", in dem zuerst erklärt, was die Inflationsrate eigentlich ist und wie sie gemessen wird (etwa über den durchschnittlichen Warenkorb) und wie sie für bestimmte Bevölkerungsschichten unterschiedlich hoch sein kann. In Deutschland kommt man dabei natürlich auch um eine kurze Betrachtung der Hyperinflation nicht herum, auf die sie aber gnädig wenig Zeit verwendet.

Stattdessen geht es ihr mehr um aktuelle Entwicklungen. Der zeitgenössische Preisschock ist durch externe Faktoren entstanden und durch den wichtigsten überhaupt: Zukunftserwartungen. Wird eine höhere Inflation erwartet, entsteht schnell eine selbsterfüllende Prophezeiung. Die lockere Geldpolitik der letzten zehn, fünfzehn Jahre dagegen ist nicht inflationstreibend (wenigstens bislang). Die heutigen Raten erklärt Schrooten vor allem mit Lieferengpässen und Energiepreisinflation, was soweit ziemlicher Konsens ist. Entschieden streitet sie ab, dass eine "Greenflation" existiere; ebenfalls irrelevant sind die Löhne, die weit unter der Inflationsrate liegen (so dass wieder einmal die Beschäfigten die Kosten tragen, während die Unternehmen riesige Gewinne einfahren).

Schrooten erläutert in angenehm sachlicher Art, dass Inflation immer Gewinner*innen und Verlier*innen kennt, vor allem Schuldner*innen und Gläubiger*innen. Mich überzeugt dieser Teil nicht vollständig, weil die Annahme, dass ich etwa als Kreditnehmer eines Gebäudekredits von der Inflation profitiere nur dann zutrifft, wenn auch mein Lohn einer Inflation unterliegt (was er aktuell nicht tut), so dass mir dieser Teil etwas halbgar durchdacht erscheint. Völlig bei Schroote bin ich bei der Feststellung, dass es keine einfache Lösung gibt: Leitzinserhöhungen schaffen eine Rezension und treffen vor allem die Ärmsten.

Diese politischen Entscheidungen - und dass sie politisch sind, hat Neyer überzeugend dargelegt - liegen aber gar nicht in der Hand der EU-Mitgliedsstaaten. Diese haben mittlerweile eine eigene Währung, deren Geschichte Stefan Schäfer in "Eine kurze Geschichte der Europäischen Währungsunion" skizziert. Von der Europäischen Zahlungsunion 1950 bis zum Delors-Report ist seine Abhandlung recht kurz gehalten: die EWG, später EG, schuf lange Zeit nur gemeinsame Zahlungsabwicklungssysteme, dann ab den 1970er Jahren mit dem Ende von Bretton-Woods zunehmend stärker koordinierende Strukturen. Erst mit der deutschen Einheit und Maastricht gewann die Idee einer europäischen Währung mehr Fahrt.

Schäfer unterscheidet zwei zentrale Gruppen: die Monetaristen, vor allem Frankreich und Südeuropa, die das Geld als Grundlage der Union sehen und eher (wir erinnern uns an Müllers Erklärungen zu Beginn) Geldschöpfungstheorien anhängen, und die Ökonomisten, vor allem Deutschland und Nordeuropa, die Geld eher als Tauschware betrachten und eher an den Abschluss der wirtschaftlichen Einigung gesetzt hätten. In der Genese des Euro setzten sich die Monetaristen, in seiner Konstruktion die Ökonomisten durch.

Im Folgenden zeigt Schäfer auf, dass einem "Honeymoon" bis 2008 die Krise folgte. Er führt das auf Verschiebungen vor allem in den südeuropäischen Ländern zurück, deren private Verschuldung (anders als im Klischee angenommen war die öffentliche mit Ausnahme Griechenlands sehr gering) sehr hoch war und deren Wettbewerbsfähigkeit so in Schieflage geriet. 2008 begann dann die Finanzkrise. Die EZB reagierte darauf nach einer "business as usual"-Phase ab 2012 mit einer expansiven Geldpolitik, die ab 2014 explizit mit dem Verhindern einer Rezession begründet wurde (die ja auch die Zielinflationsrate von 2% weit verfehlen würde, nach unten). Die Versuche 2019/20, diese expansive Geldpolitik wieder einzuhegen, wurden durch die Pandemie zunichtegemacht. Schäfer sieht in diesem Dilemma eine der größten Herausforderungen der Euroländer in Zukunft.

Bereits während der Eurokrise hatte Griechenland sich oft (und nicht zu Unrecht) wegen der Erpressung durch die Euro-Strukturen beklagt. Aaron Sahr zeigt in seinem Essay "Monetäre Kriegsführung" auf, wie Geld tatsächlich als Waffe verwendet werden kann, vor allem am Beispiel der Sanktionen gegen Russland. Er legt Wert darauf, dass der Westen nicht in der Lage war, Russland tatsächlich aktiv Geld wegzunehmen, sondern schlicht Schuldscheine nicht mehr anerkannte (da sind wir mal wieder bei der Theorie des Geldes). Dies betrifft etwa die Hälfte der ausländischen Devisenreserven Russlands. Gleichzeitig zeigt er, wie bewusst Kanäle für die Bezahlung fossiler Energieträger offenblieben. Insgesamt kommt er in seinem Beitrag zu dem Schluss, dass die Möglichkeiten monetärer Kriegsführung beträchtlich sind, aber natürlich immer auch Rückkopllungseffekte auf die durchführende Seite haben, weswegen das volle mögliche Arsenal auch noch bei weitem nicht ausgeschöpft wurde.

Eine solche Nicht-Ausschöpfung von Spielräumen liegt in der Wirtschaftspolitik generell vor, wenn man den Vertreter*innen der MMT Glauben schenken möchte. Michael Paetz stellt in "Modern Monetary Theory - Rückkehr eines gesamtwirtschaftlichen Denkens" das Konzept für Neulinge kurz vor. Demnach wird Geld grundsätzlich dadurch in Umlauf gebracht, dass der Staat es ausgibt, und akzeptiert, weil es das anerkannte Zahlungsmittel für Steuern ist (letzterer Gedanke ist ziemlich Mainstream in der Ökonomie). Die MMT postuliert nun, dass ein monetär souveräner Staat - also  einer, der seine eigene Währung ausgibt, die nicht an ein einen festen Wechselkurs gebunden ist und der sich nicht in Fremdwährung verschuldet - grundsätzlich alle seine Ausgaben finanzieren kann; die Frage ist, ob die realwirtschaftlichen Möglichkeiten dafür bestehen. Tun sie das nicht, so erzeugen Staatsausgaben (meist unerwünschten) inflationären Druck. Die Rolle der Steuern sieht MMT nicht in der Staatsfinanzierung, sondern in der Steuerung sowohl der Inflation (durch Senkung wirtschaftlicher Tätigkeit in Hochsteuerbereichen) als auch der wirtschaftlichen Tätigkeit insgesamt, etwa in der Verlagerung von CO2-intensiven Bereichen zu klimaneutralen. Wer sich mehr für MMT interessiert, dem seien meine Rezension von Dirk Ehnts Buch und mein Podcast mit ihm ans Herz gelegt.

Mit einer gänzlich anderen, gerade trendenden Geldgeschichte befasst sich Moritz Hütten in "Kryptowährungen und ihre Bedeutung im Finanzsystem". Bitcoin und andere Kryptowährungen sind gerade in aller Munde. Sie sollen dem Anspruch nach von Zentralbanken und Finanzinstitutionen unabhängig sein und folgen den Prinzipien des Metallismus - also einer künstlichen Knappheit, in dem Fall durch Blockchain-Nachweise - und dem Hash, also dem Nachweis von Transaktionsketten. Dadurch sind die Währungen sehr sicher (so sehr, dass Diebstahl praktisch nicht geahndet werden kann, was ein ganz eigenes Problem darstellt, das Hütten gar nicht thematisiert), aber ihre Kurse schwanken erheblich.

Zudem sind die Währungen extrem stromintensiv in der Herstellung. Aktuell braucht die Herstellung der Kryptowährungen rund 0,55% des weltweiten Stromverbrauchs, so viel wie Schweden. Bedenkt man, wie nutzlos die Währung für 99,5% der Bevölkerung ist und dass ihr Nutzen sich hauptsächlich auf kriminelle Geschäfte beschränkt (worauf Hütten ebenfalls kaum eingeht) fällt mein Urteil zu Kryptowährungen sogar noch viel negativer aus als das Hüttens, der sie ebenfalls für einen fatalen Irrweg hält. In meinen Augen sollten die Staaten dem ganzen Unwesen ein Ende machen.

Ebenfalls ein Unwesen, dem diverse in diesem Fall afrikanische Staaten ein Ende zu machen versuchen, sprechen Fanny Pigeaud und Ndongo Samba Sylla in "Der CFA-Franc - Afrikas letzte Kolonialwährung" an. Mir war bisher nicht bekannt, dass praktisch alle früheren französischen Kolonien in Afrika immer noch eine französische Währung nutzen, den CFA-Franc. Dieser war früher an den Franc, heute an den Euro, gekoppelt und wurde den Staaten von Frankreich bei ihrer Unabhängigkeit aufgezwungen. Frankreich nutzt seither seine Macht darüber, um die Währung systematisch zu seinem eigenen Vorteil zu manipulieren. Nicht umsonst, so Pigeauds und Syllas These, sind die Länder des CFA-Franc die ärmsten und diktatorisch regiertesten Afrikas. Der CFA-Franc sollte deswegen abgeschafft werden. Dieser Abschaffung im Weg steht allerdings, dass die Länder sich zwar in ihrer Unzufriedenheit einig sind, nicht aber in dem, was folgen soll. Das ist ein durchaus bekanntes politisches Problem, gerade hier in Europa.

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