Dienstag, 30. August 2022

Rezension: Annika Brockschmidt - Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet

 

Annika Brockschmidt - Amerikas Gotteskrieger. Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet

Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, dieses Buch zu lesen, weil ich das Gefühl hatte, über die Thematik weitgehend informiert zu sein. Über die völlig überdrehte Debatte zu Brockschmidts Herangehensweise hatte ich ja einen Beitrag geschrieben. Aber ich hatte die Gelegenheit, und die macht bekanntlich Lesende. Also habe ich mir das Werk vorgenommen. Die zentrale These des Buchs findet sich bereits im Titel: Radikale rechte Christen gefährden die amerikanische Demokratie. Dass es in diesen Kreisen demokratieverachtende Extremisten gibt, ist sicherlich unbestritten; fraglich und umstritten ist vielmehr, wie relevant diese Gruppierung ist und wie viel tatsächlichen Einfluss sie ausübt. Je nachdem, wo man sich in dieser Debatte sieht, stellt Brockschmidts Buch einen dringend notwendigen Weckruf oder hysterische Überreaktion dar. Ich will in dieser Rezension versuchen, dieser Frage ein wenig auf den Grund zu gehen und den Versuch einer Einordnung zu unternehmen.

Das Buch ist in zahlreiche Unterkapitel aufgeteilt, die sich jeweils mit einem Aspekt der religiösen Rechten beschäftigen. Brockmann schafft dabei jeweils kurz den historischen Kontext für ihre Darstellung und zeigt dann anhand vieler und wohlbelegter Beispiele auf, welche Sichtweisen jeweils in den Kreisen der religiös-Rechten gepflegt werden. Ich will diese Struktur abschließend etwas Näher besprechen; an dieser Stelle erwähne ich sie, weil ich sie für diese Zusammenfassung nicht 1:1 wiedergebe, sondern Themenblöcke zusammenfasse oder überspringe. Die folgende Darstellung hat also keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.

Brockmann beginnt mit der Geschichte der christlichen Rechten: von einer fringe-Bewegung entwickelt sie sich ab den 1950er Jahren zu einer Vorform dessen, was später die Evangelikalen (im Sinne der politische Gruppe) werden sollten. Entscheidend für diesen Prozess des Wachstums in Mitgliedern einerseits und politischem Einfluss andererseits sei das Bündnis der Denominationen, das erstmals auch Katholiken offen war. Die christliche Rechte war bis dahin intern zerstritten, quasi ein christliches Gegenstück zu den K-Gruppen. Zahlreiche kleine Gruppen stritten sich mehr miteinander um die richtige Auslegung der heiligen Texte als mit der Außenwelt. Das dürfte Linken ziemlich bekannt vorkommen.

Den Prozess, den Brockmann hier beschreibt, könnte man polemisch als "Extremisten aller Welt, vereinigt euch!" zusammenfassen. Ab den 1960ern Jahren findet die christliche Rechte, die vorher in keiner der beiden Parteien besonders stark vertreten war, auch eine immer größere politische Verankerung in der GOP. Dieser Prozess dauert aber recht lang, wir sprechen hier von Jahrzehnten. Abgeschlossen war er richtig erst mit Reagan; noch Jimmy Carter vereinigte eine Mehrheit der Evangelikalen hinter sich, die noch wesentlich pluralistischer aufgestellt waren.

Als beherrschendes Thema dieses Einigungsprozesses der christlichen Rechten in den 1970er Jahren, die zu der Sammlung hinter Ronald Reagan (der bis dato nicht eben als frommer Mensch aufgefallen war) führte, war die Segregation. Entgegen landäufiger Narrative kam das Thema der Abtreibung erst ab 1978 auf das Tableau. Vorher war es vor allem ein Thema radikaler Katholiken gewesen; die Protestanten hatten weniger Probleme damit. Es war eine bewusste Entscheidung der politischen Strategen innerhalb der christlichen Rechten, die Abtreibung zum zentralen Thema zu machen. Auch das ging übrigens nicht von heute auf morgen; von den Anfängen 1978 dauerte es bis zu Beginn der 1990er Jahre, ehe das Thema für die christliche Rechte das beherrschende Thema wurde. Vorher war es, wie beschrieben, der Kampf gegen die Desegregation.

Brockschmidt beschreibt im Folgenden den Televangelismus. Dieser begann in den 1960er Jahren massiv an Popularität zu gewinnen und war bis zum Siegeszug des Talk Radio DAS Medium der christlichen Rechten. Zu Beginn allerdings war er noch vergleichsweise unpolitisch; erst mit der Aufgabe der Fairness Doctrine unter Reagan (die ja auch maßgeblich für FOX News und das Talk Radio war) begann der scharfe Drall ins rechtsradikale Meinungsspektrum. Von Beginn an allerdings fanden sich in diesem Milieu massive Betrügereien; die Televangelisten lebten von Spenden und plünderten ihre Schäfchen bis aufs letzte Hemd aus. Die Unseriosität dieses Segments ist atemberaubend. Brockschmidt zieht hier auch direkte Parallelen zur Verknüpfung von Neoliberalismus und christlicher Rechten.

In einem weiteren Themenkomplex wendet sich Brockschmidt theokratischen Herrschaftsansprüchen der christlichen Rechten zu, deren Ziel die Errichtung eines christlichen Gottesstaats sei. Gelungen arbeitet sie hierbei auch heraus, welch merkwürdige historische Missverständnisse von den Gründervätern in diesem Milieu blühten und blühen. Diese schlechte Geschichte diene vorrangig der Rechtfertigung der Sklaverei und der Herrschaft der WASPs. Brockschmidt fasst dies alles unter das Phänomen des "Christlichen Nationalismus".

Ein weiteres großes Thema des Buchs ist das Frauenbild der christlichen Rechten. Brockschmidt beschreibt es als "unterwürfig, aber sexy". Die Frauen haben sich der Autorität der Männer zu unterwerfen, sind aber keine unattraktiven Wesen, sondern stattdessen Sexbomben. Die Idee dahinter: der Mann brauche ein Ventil, um seinen Geschlechtstrieb ausleben zu können, um so jede Versuchung für Fremdgehen zu vermeiden. Die Frauen müssten aber gleichzeitig "rein" sein (diese Idee der purity ist prominent und taucht immer wieder auf). Die christliche Rechte propagiere den "Dienst am Mann", in dem die Frauen den Wünschen ihrer Männer zur Verfügung zu stehen hätten. Dementsprechend sind auch Vergewaltigung in der Ehe und Schmerzen beim Sex kein Problem; sie werden stattdessen als Gottes Wunsch gesehen.

Spiegelbildlich stelle sich das Männerbild der christlichen Rechten dar. Männer sind demzufolge gewalttätig und aggressiv, Charaktereigenschaften, die durch die religiöse Gemeinschaft eingehegt und in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Denn anders als die meisten Christen lehnt die christliche Rechte Gewalt nicht ab. Ihr Männerbild ist stattdessen geprägt von "toughness". "Jesus war ein Navy Seal", wie es ein einprägsames Zitat fasst. Die christliche Rechte betrachte Jesus als Krieger, der mit Feuer und Schwert gegen Sünder*innen und Andersglaubende vorgehe, und verdammt die Version, die die andere Wange hinhält.

Die christliche Rechte hat auch ihr eigenes literarisches Genre geschaffen. Es  gibt tonnenweise entsprechende Literatur, die diese Geschlechterbilder und ideologischen Vorstellungen propagiert, sowohl in Roman- als auch Ratgeberform. Das meiste beruht auf extrem selektivem Lesen der Bibel, wo einzelne Stellen aus dem Zusammenhang gerissen und als Grundlage für das eigene Weltbild verwendet werden.

Dieses Weltbild befindet sich einem ständigen, immer neu entfachten Kulturkampf. Am bekanntesten und erfolgreichsten ist mittlerweile der Kampf gegen die Abtreibung, der bewusst mit den Methoden der Civil-Rights-Kämpfer der 1960er Jahre gefochten wird. Dabei bedient sich die Rechte massiv der Rhetorik von Martin Luther King und anderen Vorkämpfern der Civil Rights, laut Brockschmidt bewusst, um von der Mehrheitsgesellschaft ernstgenommen zu werden. Weitere beliebte Kulturkampfthemen sind der freie Besitz von Waffen, das beständige owning the libs, der Kampf gegen den Klimawandel und nun ganz neu der Kampf gegen Rechte für Transpersonen.

Eines der strategischen Ziele der christlichen Rechten sei die Heranzüchtung einer neuen Generation von Gotteskriegern (die dahinterstehende Ideologie, möglichst viele Kinder für "die Sache" zu bekommen, nennt sich übrigens "quiverfull", also einen "Köcher voller Kinder"). Die Idee ist, sie von der Wiege an im christlich-rechten Milieu hochzuziehen und dann in  Machtpositionen zu bringen. Entsprechend wichtig sei der christlichen Rechten der Kampf für "school choice" , also die unter Trump von Betsy deVos betriebene Zerstörung des öffentlichen Schulsystems zugunsten christlicher Privatschulen. An diesen wird die bereits erwähnte Purity Culture nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt.

Ein weiterer Baustein der christlichen Rechten ist ihr Verschwörungsglaube: Von der John Birch Society zeichnet Brockschmidt das Bild über den Antisemitismus, die Rapture-Erwartungen, die Vorstellung der Civil-Rights-Bewegung als antiamerikanische Verschwörung, die "Satanic Panic" der 1980er Jahre und viele mehr. Sie vertritt die These, die Rechte sei generell anfälliger für solche Theorien als die Linke, weil die Vereinfachung auf so große Ressonanz stoße. Das sei auch beim Thema Corona festzustellen, das ein eigenes Kapitel bekommt und wo die evangelikalen Rechten den größten Widerstand gegen Masken, Impfungen und Co zeigen.

Die letzten Kapitel befassen sich mit der "Big Lie" des gestohlenen Wahlsiegs als "neue Dolchstoßlegende" und dem Sturm auf das Kapitol. Beides stoße in christlich-rechtlichen Kreisen auf besonders viel Ressonanz. Zu Ende findet sich ein Ausblick auf den aktuellen Stand der GOP it ihrer moral panic gegen "Critical Race Theory" (oder was man dafür hält), den Versuchen, die Demokratie zu zerstören und vielem mehr, was Lesenden dieses Blogs sattsam bekannt ist.

Ich möchte zu Beginn meiner Kritik noch einmal auf die Debatte eingehen, die mit dem Erfolg dieses Buches verknüpft war. Zur Erinnerung: Brockschmidt wurde vorgeworfen, zur Recherche für ihr Buch nicht in die USA geflogen zu sein, sondern es aus Archivmaterial geschrieben zu haben. Brockschmidt verteidigte dieses Vorgehen damit, dass sie ein Geschichtsbuch geschrieben habe, wofür vor allem Textquellenrecherche relevant gewesen sei. Nachdem ich das Buch nun gelesen habe, kann ich meinen Beitrag von damals nur unterschreiben: die Idee, dass das Buch besser wäre, wenn sie in den USA gewesen wäre, ist albern, aus all den bereits genannten Gründen.

Aber.

Gerade die riesige Masse an Belegen, die ständigen Zitate, sind eine der zwei großen Schwächen des Bandes, weil sie einer klaren Struktur massiv im Weg stehen. Oftmals lesen sich die Kapitel wie Volltextversionen einer Quellensammlung, die Autorin springt vom einen christlichen Radikalen zum nächsten, über zeitliche und geografische Grenzen hinweg. Für mich war das irgendwann nur noch ermüdend und stand jeglicher Lesefreude entgegen. Auch ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn entsprang dieser Detailfülle nicht wirklich, weniger wäre hier manchmal mehr gewesen (so sehr ich auch, gerade angesichts der dämlichen Debatte um das Buch, den Versuch einer Immunisierung gegen Unkenntnis-Vorwürfe verstehen kann).

So aber entsteht der Eindruck einer allumfassenden, monolithischen christlichen Rechten - und man kann denke ich durchaus den Vorwurf erheben, dass das zumindest gerne billigend in Kauf genommen wird. Zwar betont Brockschmidt an verschiedenen Stellen den Facettenreichtum der verschiedenen Denominationen und die verschiedenen Grade von Extremismus, Radikalismus oder einfach nur Frömmigkeit, die sich dort finden lassen. Aber diese Unterschiede werden in der Flut von Beispielen und Zitaten regelmäßig plattgedrückt.

Das geht auf Kosten der analytischen Schärfe. Sicher, die extremistische Rechte hat einen ideologischen Einfluss auf die Republicans. Das beweist das Buch zur Genüge. Nur, die radikale Linke hat auch einen Einfluss auf die Democrats. Die relevanten Fragen sind: wie groß ist dieser Einfluss wirklich? Und gerade die Beantwortung dieser eigentlich entscheidenden Frage kommt merkwürdig zu kurz. Durch die Struktur des Buches wird in jedem Kapitel erneut der große Bogen geschlagen, werden die John-Birch-Leute aus den 1960er Jahren auf derselben Seite präsentiert wie die Anti-Abtreibungskampagne der 2000er Jahre. Alles wird eins.

Klar gibt es christliche Rechte, die die Idee eines Gottesstaats hegen, die ihre Kinder als Waffe sehen und sie ideologisch indoktrinieren. Allein, wie viele innerhalb der großen evangelikalen Bewegung sind das tatsächlich? Welchen realen Einfluss entfalten sie? Dass republikanische Politiker*innen Lippenbekenntnisse zu den talking points der Evangelikalen abgegen ist sicher ein Beweis für ihre Bedeutung, aber die jahrzehntealte Wut darüber, dass jede republikanische Regierung dann doch die Versprechen nicht einzulösen vermag (oder will), ist etwas, das bei Brockschmidt wesentlich zu kurz kommt.

Auch das Zusammenrühren sämtlicher ideologischer Versatzstücke ist ein Problem. Ja, unter Anhänger*innen der "Big Lie", unter Rassist*issen, unter Rapture-Ideolog*innen, unter Möchtegern-Theokrat*innen und Trump-Fans, unter Gegner*innen von Corona-Maßnahmen und Black-Lives-Matter-Protestierenden, unter Klimawandelleugner*innen und unter Waffenfans finden sich überdurchschnittlich viele Evangelikale, aber letztlich erweckt das Buch den Eindruck, dass es sich dabei um ein in sich geschlossenes System handelt, in dem alle alles davon mit vergleichbarer Intensität glauben und praktisch deckungsgleich mit den Wählenden der GOP sind. Und dem ist einfach nicht so.

Ich weiß, dass Brockschmidt das so nicht sagt, und dass sie an verschiedenen Stellen im Buch darauf hinweist, dass dem nicht so ist. Aber die strukturellen Schwäche sorgen dafür, dass der Eindruck permanent hervorgerufen wird. Das ist das eine. Und der Mangel an einer klaren analytischen Struktur, der auf irgendeine Gesamtthese hinauslaufen würde - außer "diese Extremisten glauben eine Menge gefährlichen, extremistischen Mist", was praktisch ein tautologischer Schluss ist - ist augenfällig und sorgt dafür, dass Buch in seiner Gesamtheit wesentlich weniger ist als die Summe seiner Teile. Ich gönne Brockschmidt ihren Erfolg, und das Thema ist grundsätzlich auch wichtig. Aber das Buch bestätigt den Eindruck, den ich auch von ihrem Twitter-Feed habe, dass sie in die Falle tappt, in ihrem Thema einen Hammer zu haben und aus allem, was aus den USA kommt, nur noch Nägel zu machen.

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