Mittwoch, 14. Juni 2023

Kommunzierende Röhren: die Union und die AfD

 

Teil 1 hier.

Der Umgang mit der AfD stellt vor allem eine Partei immer wieder vor Herausforderungen: die CDU/CSU. Die Union nimmt für sich Werte in Anspruch, die auch die AfD vertreten will: bürgerlich sein, konservativ, das "Normale" vertreten. Patriotismus, ein bisschen Christentum, Familie. Ideologisch konkurrieren die beiden daher um dieselbe politische Immobilie, und entsprechend ist der Umgang mit der Partei für die Union auch am schwersten. Anders ausgedrückt: für die Grünen ist es leicht, eine Strategie der Ausgrenzung und Abgrenzung zur AfD zu fahren, wie es für die Union leicht ist, Distanz zur LINKEn zu wahren: der Überlapp ist gleich null. Die Gretchenfrage "Sag, wie hältst du's mit der AfD?" ist seit dem großen mea culpa Thomas Kemmerichs eigentlich nur noch für die CDU relevant. Die FDP kommt in allen Konstellationen nur als drittes Mitglied einer theoretischen Rechtskoalition vor und ist daher nur von Belang, sofern die CDU sich zur Zusammenarbeit bereit erklärt. Zumindest aus Sicht ihres Vorsitzenden ist die Sache klar:


Das Dumme ist, dass wohl niemand Zweifel hat, dass dies um Bund gilt. Die Fragestellung ist das aber nicht; der Bruch der Brandmauer wäre schließlich am ehesten in den östlichen Bundesländern zu erwarten. Auch hier ist rhetorisch wenig geboten: die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer erklären unisono, nicht mit der AfD koalieren zu wollen. Hinter den Kulissen allerdings rumort es in den Ostverbänden wesentlich mehr als im Westen. Die Stärke der AfD macht hier zudem schwarz-blaue (und sogar blau-schwarze, wobei das die CDU mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mitmachen dürfte; man denke an die Parallele zu Ramelow in Thüringen) Koalitionen möglich; die Mithilfe der FDP, wie sie im Westen weitgehend erforderlich ist, braucht es hier nicht.

Aktuell ist eine solche Zusammenarbeit aber allenfalls sehr regional und sehr indirekt denkbar. Wie es der Welt-Chefredakteur Robin Alexander erklärt: die CDU sei insgesamt ziemlich harmlos, was rechte Parteien angeht. Die aktuelle Sorge um ihren Zustand ist zwar im deutschen Kontext nachvollziehbar; sieht man aber auf einen internationalen Vergleich, dann steht die Union ziemlich mittig da. Das ist ein deutsches Phänomen: die Mehrheitsfindung in Deutschland ist schon immer stark mittig orientiert; ihr institutionelles Gefüge übt für alle demokratischen Parteien einen Zwang zur Zusammenarbeit aus. Dass die Union eher rechte Positionen vertritt, kann kaum überraschen. Wie es Marco Herack so treffend ausdrückt: "Man kann an der Union nicht das Union-sein kritisieren."

Die Situation ist ein wenig paradox. Einerseits ist die Union inhaltlich nahe bei der AfD. Man teilt die Ablehnung der gesellschaftlichen Modernisierung, man möchte grundsätzlich am konservativen Gesellschafts- und Familienbild festhalten, mehr Polizei und so weiter. Gleichwohl sind die Positionierungen der AfD immer viel radikaler, viel rechtsstaatlich unverträglicher, viel schmutziger, als dies mit den Unionspositionen vereinbar wäre. Gleichzeitig ist die Union institutionell nahe an SPD, Grünen und FDP. Man teilt das Bekenntnis zu Pluralismus, Parlamentarismus, Rechtsstaat und so weiter und arbeitet durch alle 16 Bundesländer hindurch in verschiedenen Konstellationen zusammen. Diese Faktoren blockieren eine zu große Annäherung zwischen Union und AfD.

Die Verbindungen zwischen der Union und der AfD sind daher gar nicht so eindeutig, wie sie es auf den ersten Blick scheinen mögen. Natürlich befinden sich beide in der größten Konkurrenz zueinander, nehmen denselben Mantel des bürgerlich-konservativen für sich in Anspruch, aber deckungsgleich sind weder Strategien noch Wählendensegmente. Stattdessen verhalten sich beide ein wenig wie kommunizierende Röhren. Ihre scheinbare Nähe bestimmt den Sound der Opposition. Für die Union ist das ein gefährlicher Eiertanz. Genauso wie die SPD 2005 bis 2021 das Problem hatte, dass jede ihre Forderungen, jede Abkehr von der Agenda-Politik (von der sie sich in dieser Zeit auf Raten de facto komplett verabschiedete) durch die LINKE rhetorisch getoppt werden konnte (forderte die SPD 12 Euro Mindestlohn, forderte die LINKE 13 Euro), genauso kann die AfD jede Volte der Union übertreffen. Fordert Friedrich Merz energischere Abschiebungen, gibt die AfD als Ziel 100% Abschiebungen aus. Fordert er mehr Polizei, fordert die AfD noch mehr. Kritisiert er das Gendern, will die AfD es direkt verbieten. Und so weiter. In rhetorischen Überbietungswettbewerben lassen sich Populisten niemals schlagen. Da sie keine Verantwortung übernehmen müssen (und wollen), können sie IMMER eins draufsatteln.

Die Gefahr in diesem Eiertanz besteht darin, dass der Gegner normalisiert und das Overton-Fenster verschoben wird. Schreien Unionspolitiker*innen von der "Heizungsstasi", fällt der nächste Vergleich von AfD-Oberen zwischen DDR-Diktatur und bundesrepublikanischer Demokratie gleich weniger auf. Spricht Dorothee Bär von "queeren Rändern", klingt das AfD-Statement zur Verfolgung von Transsexuellen gleich viel gewöhnlicher. Nun ist polemische Rhetorik grundsätzlich ein valides Mittel des politischen Streits, dient der Zuspitzung und der Deutlichmachung von Positionen. Problematisch wird, wenn außer der Rhetorik nichts mehr da ist.

Oder, in den Worten Friederike Haupts in der FAZ:

Gefährlich ist also nicht der Streit, sondern die Vermeidung des Arguments. Sie verleiht Erregungsgrad und Lautstärke eine Bedeutung, die ihnen nicht zukommt. Thüringens CDU-Chef Mario Voigt spricht von „Heizungswahn“ und „Energie-Stasi“, als sei Habeck ein Irrer und die Regierung auf Diktaturkurs. Und der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz beschreibt im jüngsten Rundbrief an seine Anhänger die Ampel als „hemmungslos“ und kritisiert, das Land werde von den „normalen“ Menschen ganz anders wahrgenommen als „im Justemilieu der Regierungsparteien“. Das wertet Millionen Wähler von SPD, FDP und Grünen als Unnormalos ab und suggeriert, sie wären dem echten Leben enthoben. Dieser Ton ist es, der Angst, Ahnungslosigkeit und Wut stärkt, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern, in denen Populisten auf dem Vormarsch sind. Die Rede davon, dass die Welt in Normale und Unnormale einzuteilen sei, in Wohltäter und Egoisten, in Pazifisten und Kriegstreiber, klingt der ganzen Menschheit im Ohr.

Der besorgniserregende Trend ist daher die Normalisierung der AfD. Man sieht dies sehr gut an einer aktuellen Umfrage: rund 57% der Bundesbürger*innen können sich eine AfD-Wahl gar nicht vorstellen. Das ist der mit Abstand höchste Wert aller Parteien, was aber nur solange hoffnungsfroh stimmt wie man sich klar macht, dass diese Zahl vor zwei Jahren noch bei über 70% lag. Damals war das Wählendenpotenzial der AfD bei ihrem aktuellen Umfragenhöchstand quasi gekappt und stieß an eine harte Grenze. Diese existiert immer noch, ist aber bedeutend höher: rund 9% können sich diese Wahl über die 17% der aktuellen Umfragen hinaus vorstellen. Mit diesem Wert wäre die AfD stärkste Partei im Bundestag. Natürlich sind das Momentaufnahmen; die Wahrscheinlichkeit, dass die aktuellen Umfragewerte halten, ist glücklicherweise ebenfalls gering. Die Zahlen zeigen aber, welchen Effekt der toxische Cocktail aus Verunsicherung und Unzufriedenheit einerseits und der Normalisierung populistisch-radikaler Rhetorik auf der anderen Seite haben kann.

Die Schlussfolgerung für die Union daraus lautet bereits seit Jahren, dass man um die AfD-Wählendenschaft konkurrieren möchte, zumindest um diejenigen, die von der Union zur AfD gewandert sind. "Die AfD halbieren" war die Devise, mit der Friedrich Merz sein Amt als Parteivorsitzender antrat. Nimmt man diese Metrik, ist er nicht nur krachend gescheitert, sondern hat ein Waterloo erlitten: die Partei ist mittlerweile um rund 70% STÄRKER als zu Beginn seiner Amtszeit. Das hängt natürlich bestenfalls zu Teilen und mittelbar an ihm, aber die aktuelle Strategie der Union geht offenkundig nicht auf. Die Wählenden, sie sie in den Umfragen seit 2021 hinzugewonnen hat, kommen aus anderen Lagern - vor allem SPD und FDP.

Verbleiben wir aber für einen Moment bei jenen 9%, die sich eine Wahl der AfD grundsätzlich vorstellen können. Sie sind es, um die vorrangig gekämpft werden muss. Sie haben aktuell nicht die Absicht, die Partei zu wählen, haben es vermutlich auch noch nie getan. Anders als Teile der bisherigen Wählendenschaft sind sie wohl nicht grundsätzlich rechtsradikal - zumindest noch nicht -, weswegen ihnen einerseits Alternativen geboten werden müssen (die genuine Rolle der Union sowohl als rechtsdemokratische als auch als Oppositionspartei) als als auch das Tabu der Rechtsradikalen aufrechterhalten werden muss.

Wie schwierig dieser Prozess ist, zeigte sich exemplarisch im bayrischen Erding vergangene Woche. Markus Söder sprach auf einer Demonstration gegen die übliche Horrorversion der Heizungspläne der Regierung (die mit den realen Absichten ja praktisch nichts zu tun haben), auf der sich alle möglichen Arten von Verschwörungstheoretiker*innen, Freien Wählern, AfD-Leuten und einer Menge "besorgter Bürger" tummelten. Die Idee war wohl dieselbe wie bei Sigmar Gabriels Auftritten bei Pegida seinerzeit: den Protest nicht den Rechtsradikalen zu überlassen, sondern zu versuchen, eine weniger durchgeknallte Ableiterfunktion zu bieten. Je nach Sichtweise ging das kolossal in die Hose oder war ein großer Erfolg. Letztere Deutung würde sich aus der Anfeindung, die Söder von großen Teilen der Anwesenden entgegenschlug, nähren. In dieser Lesart hätte Söder Grenzen aufgezeigt und gleichzeitig ein Integrationsbemühen demonstriert. In der anderen Sichtweise normalisierte er die abgedrehte Rhetorik des rechten Randes und adelte sie quasi mit seiner Anwesenheit. Was von beidem zutrifft, ist nur schwer herauszuarbeiten; vermutlich ist es in bisschen von beidem. Wenig kontrovers dagegen dürfte die Rolle von Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger sein. Seine Rhetorik ist von der AfD praktisch nicht unterscheidbar.

Auch wenn derzeit kein echter Zweifel am Bestand der Brandmauer in Sachen Zusammenarbeit mit der AfD bestehen kann (mittelfristig sieht die Lage völlig anders aus), so ist doch die "Brandmauer zum Irrsinn", von der Cem Özdemir spricht, massiv gefährdet:


Und das ist der letzte Punkt, der die kommunizierenden Röhren der Union und AfD betrifft. Wenn die Union nicht vorsichtig bei ihrer Rhetorik ist, adelt sie nicht nur eklige politische Positionen. Sie zerstört auch die Grundlagen eines ohnehin fragilen Diskurses, der in Deutschland zumindest im Ansatz noch auf einem Set geteilter Fakten beruht. Wer sehen will, was geschieht, wenn die Brandmauer zum Irrsinn einreißt, muss nur einen Blick in die USA werfen.

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