Dienstag, 27. Juni 2023

Schwitzende Polizisten von der AfD konfiszieren das Taschengeld eines rechtsextremen Pistorius - Vermischtes 27.06.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde. 

Fundstücke

1) Using loophole, Seward County seizes millions from motorists without convicting them of crimes

Die Stellvertreter des Seward County fanden 18.000 US-Dollar in bar in Bouldins Auto und behaupteten, es sei Drogengeld. Sie boten ihm an, das Geld aufzugeben und weiter nach Colorado zu reisen, um eine Verhaftung zu vermeiden. Wenn er ablehnte, würde er ins Gefängnis kommen. Solche Verkehrskontrollen sind im Seward County üblich und führen zur routinemäßigen Beschlagnahmung von Geldern ohne Anklageerhebung. Die Praxis der Vermögensabschöpfung ermöglicht es der Polizei, Einzelpersonen auszubeuten, anstatt gegen Drogenbosse vorzugehen. Das Geld teilen sich die Behörden. Die meisten Fahrer unterschreiben und geben ihr Geld auf. Bouldin entschied sich jedoch, nicht zu unterschreiben, obwohl die Anklage später fallengelassen wurde. Die Bezirksstaatsanwaltschaft setzte dennoch die Beschlagnahmung des Geldes im Zivilverfahren fort. Das Seward County behielt die 18.000 US-Dollar, von denen die Hälfte in einen Schulungsfonds und die andere Hälfte in einen Fonds für die Strafverfolgung floss. Bouldin erhielt lediglich eine Verwarnung für die Verkehrsübertretung, die zur Durchsuchung führte. (Natalia Alamdri, Flatwater Free Press)

Das ist leider ein Feature des gesamten amerikanischen Sicherheitsapparats. Polizei und Justiz sind zu Teilen wie eine kriminelle Gang aufgebaut, nur dass sie staatlich sanktioniert sind. Die Vorstellung, dass die kommunalen Budgets davon abhängen, wie viel Geld die Polizei unter Mitarbeit der Justiz von den Bürger*innen plündern kann, ist vollkommen absurd, aber in weiten Teilen der USA Standard. Darüber wird auch viel zu selten gesprochen, weil das ein integraler Bestandteil der #BlackLivesMatter-Debatte ist (und übrigens auch ein Grund, warum sich #BLM nicht 1:1 nach Deutschland transferieren lässt; die Bedingungen hierzulande sind völlig andere).

Grundsätzlich ist die gesamte Struktur dieses Bereichs in den USA sui generis und kein System, das man emulieren möchte. Die Direktwahl von Richter*innen und Staatsanwält*innen ist auch so ein Bereich, der perverse Anreize auf allen Ebenen setzt und zu einem guten Teil mitverantwortlich für die völlig absurden Strafmaße und Gefängnispopulation ist. Die Finanzierung der Budgets über (völlig überzogene) Bußkataloge ist ein weiterer Aspekt.

Diese Aspekte bilden dann gemeinsam einen sich verstärkenden Teufelskreis: weil das Sicherheitssystem gezwungen ist, sich parasitisch von der Bevölkerung teilzufinanzieren, gleichzeitig aber auf die Wahl durch eine herrschende Schicht angewiesen ist, arbeitet das System auch nur für diese Schicht und kompartmentalisiert die negativen Auswirkungen auf die Schwächsten der Gesellschaft. Es ist ein miserabel konstruiertes System, das die erwartbaren Anreize setzt und Ergebnisse produziert, und erst wenn das geändert wird, kann sich da Besserung einstellen. Bei aller berechtigten Kritik hat #DefundThePolice das zumindest erkannt.

2) Der Angstfreie

Boris Pistorius, der erst seit knapp fünf Monaten im Amt ist, sieht sich einer weltpolitischen Lage gegenüber, in der die Gewissheiten der deutschen Außenpolitik schwinden. Ehemalige Partner sind zu Feinden geworden und manche Freunde kaum noch von Gegnern zu unterscheiden. Pistorius versteckt diese Gefahren nicht, er spricht offen darüber. Mit seinen oft beunruhigenden Botschaften ist er zum populärsten Politiker des Landes aufgestiegen. Das wirft Fragen auf, die über sein Ressort hinaus von Bedeutung sind: Sind die Deutschen möglicherweise veränderungsoffener als gedacht, wenn ihnen die Wahrheit zugemutet wird? Sind grundlegende Reformen möglich, selbst in einem so schwer regierbaren Ministerium wie dem Verteidigungsministerium, an dem so viele Vorgänger von Pistorius gescheitert sind? Und spielt letztendlich die Persönlichkeit eine Rolle, der Mut zur Entscheidung? Pistorius wird seine Entschlossenheit nicht übel genommen. Ein Grund dafür ist vielleicht, dass er trotz seiner langen Karriere als Berufspolitiker authentisch und zugänglich wirkt. Er lässt sich kaum aus der Fassung bringen, weicht schwierigen Fragen nicht aus und gibt keine schnippischen Antworten. Wenn er mit Delegationen beim Bier über Fußball spricht (VfL Osnabrück), scheint echtes Interesse durch und nicht nur der Wunsch, nahbar zu wirken. Pistorius kann seine Haltung als persönliche Geschichte erzählen, und das kommt gut an. Doch letztendlich geht es um etwas anderes. Es gibt eine emotionale Seite der Sicherheitspolitik, die sich nicht in Tabellen über Truppenstärken und einsatzfähiges Material erfassen lässt. Die Bundeswehr (und das ganze Land) muss sich auf den größten externen Schock seit ihrer Gründung vorbereiten. Die angstfreie Herangehensweise, die Pistorius bei seiner Aufgabe zeigt, wirkt beruhigend. Sein Stil unterscheidet sich deutlich von Olaf Scholz - was natürlich auch damit zu tun hat, dass er keine Koalition zusammenhalten muss. Aber die Tatsache, dass der Minister mit seinem offensiveren Führungsstil den Kanzler in den Umfragen übertrifft, zeigt auch, dass es eine Alternative gibt zur zurückhaltenden Haltung des Kanzlers, die nur selten von Wutausbrüchen durchbrochen wird. Derzeit führt Boris Pistorius die Beliebtheitsumfragen mit einem komfortablen Vorsprung von zehn Prozent vor dem Kanzler an. Man könnte sagen, dass er eine enorme Fallhöhe erreicht hat, um es mit einem Begriff aus der Dramentheorie auszudrücken. (Jörg Lau, ZEIT)

Ich sag es immer wieder: das exakt selbe haben wir 2021 über Robert Habeck gehört. Endlich jemand, der Klartext redet! Jemand mit Kante! Jemand, der unangnehme Wahrheiten blablabla. Es ist der Schweinezyklus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Jetzt ist gerade Pistorius der neue Held. Sobald er gezwungen ist, irgendwas unpopuläres zu machen - oder wenn den Beobachtenden einfach nur langweilig wird - wird sich das drehen. Und dann kriegen wir die ganzen "Bislang galt Pistorius als..." und "Hat Pistorius sein Mojo verloren?"-Artikel. Das ist alles so vorhersagbar und langweilig.

3) Europa-Wahlkampf: AfD will laut Leitantrag Auflösung der EU

Die AfD plant möglicherweise, die Forderung nach einer Auflösung der Europäischen Union (EU) in den Europawahlkampf einzubringen. In einem veröffentlichten Leitantrag für das Europawahl-Programm äußert die AfD-Führung, dass ihre Geduld mit der EU erschöpft sei. Stattdessen strebt die Partei die geordnete Auflösung der EU an und möchte eine neue europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft gründen, einen Bund europäischer Nationen, der jedoch der nationalen Souveränität untergeordnet wäre. Die AfD kritisiert die aktuellen Entwicklungen in der EU und behauptet, dass diese von der ursprünglichen Idee der Gründerväter einer europäischen Gemeinschaft abgewichen sei. Diese Position wäre eine Verschärfung im Vergleich zum bisherigen Grundsatzprogramm der AfD, in dem ein Austritt Deutschlands aus der EU oder eine demokratische Auflösung der EU und die Neugründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft als Optionen genannt werden, falls die grundlegenden Reformansätze innerhalb der bestehenden EU nicht umsetzbar sind. (BR24)

Hervorragend. Ich finde das absolut super. Ich hoffe, dass die AfD diese Forderung oft betont und mit Nachdruck vertritt. Nichts hat über die letzten 20 Jahre rot-rot-grüne Koalitionen auf Bundesebene zu zuverlässig verhindert wie die beknackte Forderung nach dem deutschen NATO-Austritt durch die LINKE. Die Auflösung der EU und den deutschen Austritt hier dürfte zuverlässig eine Koalition mit CDU und FDP unmöglich machen. Das heißt im Umkehrschluss für alle demokratischen Parteien, vor allem aber SPD und Grüne: Hängt es ihnen um den Hals. Betont bei jeder Gelegenheit, dass die AfD das will und wie unmöglich es das macht, ihr jemals bundespolitische Verantwortung zu geben. Das schafft zumindest eine gute Brandmauer auf der Ebene; auf Landesebene wird die ziemlich sicher nicht mehr lange halten. - Solche Manöver sind da übrigens auch super hilfreich.

4) Eine Zeitenwende der Sicherheit

Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland insgesamt 1.229 Straftaten im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg registriert. Diese Straftaten fallen in den Bereich des "auslandsbezogenen Extremismus" und stiegen um 154 Prozent an. Die Straftaten umfassten prorussische Autokorsos, Bedrohungen, Sachbeschädigungen und Gewalttaten. Der Verfassungsschutz stellt fest, dass auch die rechtsextreme Szene versuchte, den russischen Angriffskrieg zu instrumentalisieren und zu rechtfertigen. Obwohl die rechtsextreme Szene insgesamt um 5.000 Personen auf 38.800 Extremisten angewachsen ist, wurde die von ihnen angestrebte "Wutwinter"-Bewegung nicht erfolgreich. Die größte extremistische Bedrohung für die Demokratie bleibt jedoch der Rechtsextremismus, und die Szene hat sich auf 14.000 gewaltbereite Extremisten ausgeweitet. Die AfD wurde erstmals als Verdachtsfall eingestuft und dem Rechtsextremismus zugeordnet. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass es in der rechtsextremen Szene auch selbstradikalisierte Täter gibt, die nicht unbedingt einer Gruppierung angehören. Die Reichsbürgerszene wuchs ebenfalls an, und obwohl nur 1.250 von ihnen als klar rechtsextrem eingestuft werden, gilt jeder zehnte Reichsbürger als gewaltorientiert. Die Gefahr durch Islamisten bleibt bestehen, insbesondere durch Einzeltäter mit einfachen Tatmitteln. Auf linksextremer Seite wurde der Krieg gegen die Ukraine überwiegend verurteilt, aber auch hier gab es eine Steigerung der Szene auf 36.500 Personen. Einzelne Gewalttaten gegen Rechtsextreme sind jedoch erheblich. Der Verfassungsschutz warnt vor einer möglichen Radikalisierungsspirale und der Entwicklung terroristischer Strukturen. (Konrad Litschko, taz)

Man muss mit diesen Zahlen extrem vorsichtig sein. Sie sind für den Rechtsextremismus ziemlich verzerrt, weil die AfD als Extremismusverdachtsfall erfasst wurde und so natürlich tausende neue Verdächtige auf der Liste landen. Dazu kommt, dass das politische Verbrechen des Rechtsextremismus grotesk häufiger ist als das des Linksextremismus, weil das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole darunterfällt, das auf linker Seite kein Gegenstück hat. Geschmierte Hakenkreuze, Hitlergrüße, Holocaustleugnungen etc. haben weder eine linke noch eine islamistische Entsprechung. Das relevanteste für die Sicherheit sind aber die Gewalttaten - und da sind die Unterschiede wesentlich kleiner, als die absoluten Zahlen es erscheinen lassen. Wenn es um die richtig krassen Gewaltverbrechen geht, schenken sich Links und Rechts praktisch nichts.

Anders sieht es bei der potenziellen Unterstützung aus. Weder linke noch islamistische Extremisten haben allzuviel Rückhalt. Ihre Positionen sind selbst in den radikalen (und damit grundsätzlich erlaubten) Varianten mehrheits- oder auch nur pluralitätsfähig. Linke und islamistische Extremisten sind eine Gefahr für die Sicherheit, nicht aber für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die geht einzig und allein von rechts aus, ist aber - glücklicherweise - auch hier (noch) überschaubar. Die Hoffnung wäre, dass die AfD wieder Kontraktionen erlebt und sich als realistische Machtbasis wieder aus dem Spiel nimmt. Wir werden sehen.

5) Why organisations should sweat the small stuff

Es gibt eine Ansicht, die besagt, dass die geringen Zahlen hinsichtlich der rassischen Ungleichheit bei Personenkontrollen und dem Fehlen strafrechtlicher Konsequenzen nicht besorgniserregend sind. Es wird argumentiert, dass Bildung und der Erwerb von Abschlüssen wichtiger seien. Es besteht jedoch die Meinung, dass dies eine falsche Dichotomie ist. Es wird angenommen, dass Schulen mit weniger Vorurteilen auch bessere Bildungsergebnisse erzielen. Bezüglich der Polizei wird angezweifelt, dass Beamte, die unschuldige Menschen kontrollieren, tatsächlich effektiv bei der Verbrechensbekämpfung sind oder korruptionsfrei arbeiten. Es gibt zahlreiche Beweise dafür, dass die Polizei in London bei vielen Dingen versagt. Zwei wichtige Lehren können gezogen werden: Organisationen sollten auch auf die Details achten, da eine gute Führung positive Auswirkungen auf alle Bereiche hat. Zudem sollten Organisationen sich um messbare Dinge kümmern, da diese oft auch indirekt auf andere Bereiche Einfluss haben. Die rassische Ungleichheit bei Personenkontrollen ist nicht nur ein Nebenaspekt, sondern hat auch Auswirkungen auf die allgemeine Leistungsfähigkeit der Polizei. (Stephen Bush, Financial Times)

Ich finde das sehr relevante Gedanken von Stephen. Einerseits machen viele Organisationen Dinge, die kompletter Quatsch sind, die man aber "immer schon so gemacht hat". Das gibt es in jedem Unternehmen, jeder Behörde, jeder sonstigen Institution. Die Idee, dass wenn der Kleinkram läuft die Qualität insgesamt steigt, klingt ein bisschen wie institutionelles "Broken Windows", macht aber Sinn, vor allem mit dem Gedanken, dass einzelne High Performer eine insgesamt schlechte Qualität verdecken. Food for Thought.

Resterampe

a) Manche Menschen sind doch echt das Letzte.

b) Aus dem Untergenre "Was tun gegen die AfD?" schlägt Liadne Bednarz vor, einen Keil über die Russlandpolitik in die Partei zu treiben. Ich bin da ja sehr skeptisch, weniger, dass es gut wäre, sondern dass es klappen kann.

c) Noch ein guter Artikel zur Causa Pechstein in der ZEIT. Dieser unaufgeregte Erklärartikel zu Sportförderung schafft dazu Kontext.

d) Noch von 2021, aber die Empirie zeigt zweifelsfrei, dass die Genderdebatte von rechts, nicht von links kommt.

e) Interessanter Vergleich der Wahlen 2012 und 2024.

f) Hey, mehr Argumente für meine Milliardärs-Thesen.

g) Interessantes Interview mit Wirtschaftsweiser Malmendiesen.

h) Das passt.

i) Das auch.

j) Sehr guter Punkt zu Unternehmensbürokratien.

k) Spannende Gedanken zum Kulturkampf in diesem Thread.

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