Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
Richter argumentiert, dass der Vergleich der aktuellen politischen Situation mit der Weimarer Republik irreführend ist und eine angemessene Zukunftspolitik behindert. Die Stärke der rechtsextremen AfD in Deutschland ist nicht auf Weimarer Verhältnisse zurückzuführen, sondern auf verschiedene Faktoren wie den Krieg in der Ukraine und den Klimawandel. Sie betont die Notwendigkeit, sich mit den Verbrechen der Vergangenheit auseinanderzusetzen, jedoch relativiert der Weimar-Vergleich das Ausmaß des Leids in jener Zeit. Die eigentlichen Herausforderungen liegen im 21. Jahrhundert, insbesondere im Umgang mit dem Klimawandel. "Weimar ist neunzig Jahre entfernt, 2,5 Grad Erderwärmung fünfzehn Jahre." Sie argumentiert, dass Deutschland eine stabile Demokratie ist, in der sozialer Frieden herrscht, und dass die Bedingungen für eine erfolgreiche Klimapolitik nicht schlecht sind. Es wird betont, dass die Politik Mut haben und die Bevölkerung auf die notwendigen Veränderungen vorbereiten sollte, um die Chancen der Zukunft zu nutzen. (Hedwig Richter, FAZ)
Richter hat sicherlich Recht, wenn sie betont, dass Weimar nur eingeschränkt Handlungshinweise für die Gegenwart geben kann und dass das Beschwören des Endes der Republik für die aktuelle Lage im Land grotesk und eher kontraproduktiv ist, weil es einen apokalyptischen Unterton schafft. Gleichwohl sehe ich durchaus relevante Lehren, die sich aus der Weimarer Geschichte ziehen lassen, was bestimmte Dynamiken angeht. Vor allem die Abwanderung vormals demokratischer Kräfte ins autoritäre Lager, also die Frage, ab wann es plötzlich denkbar wird, autoritär zu regieren, hat nichts von ihrer Bannkraft verloren. Schließlich war die Kanzlerschaft Brünings die erste autoritäre Regierung Deutschlands, nicht die Hitlers.
Natürlich liegt unsere größte Herausforderung im Umgang mit der Klimakrise. Allein, das zu wissen hilft mir ja nicht, das Problem AfD in den Griff zu bekommen. Denn die Ursache liegt ja nicht in der Klimakrise per se, sondern einerseits in ihren Begleiterscheinungen, vor allem aber in der Ablehnung ihrer Konsequenzen. Es ist ein Nicht-Anerkennen-Wollen von Realitäten und eine Ablehnung der Maßnahmen, die andere ergreifen. Inwieweit das Panacea, "die Bevölkerung auf notwendige Veränderungen vorzubereiten" erreicht werden kann, steht auch völlig in den Sternen.
2) „Ich halte unsere Gesellschaft für nicht besonders wehrhaft“ (Interview mit Carlo Masala)
In dem Interview mit Carlo Masala geht es um das Konzept der demokratischen Wehrhaftigkeit. Er betont, dass demokratische Wehrhaftigkeit nicht nur militärisch verstanden werden sollte, sondern auch die Bereitschaft einer Gesellschaft beinhaltet, für ihre Werte und Fundamente einzustehen. Masala zeigt Besorgnis darüber, dass das Bewusstsein für dieses Privileg abnimmt, da immer mehr Menschen in autokratischen Staaten leben und die Überzeugung von der Besonderheit einer freiheitlichen Demokratie schwindet. Er diskutiert auch das Konzept der Sicherheit als Freiheit der gesellschaftlichen Entwicklung und betont, dass die Sicherheit von Staaten und Gesellschaften auf ihrer inneren Entscheidungsfreiheit basiert. Er erklärt, dass der russische Angriffskrieg nicht nur ein militärischer Konflikt ist, sondern auch gegen die Freiheit und Demokratie gerichtet ist, indem er Desinformations- und Destabilisierungstaktiken einsetzt. Masala spricht auch über die Notwendigkeit, dass demokratische Staaten sich verteidigen können. Er betont, dass eine vielfältige Armee, die die Diversität der Gesellschaft widerspiegelt, ein militärischer Trumpf ist. Er kritisiert jedoch, dass die Bundeswehr in Deutschland noch nicht genügend Vielfalt und Diversität repräsentiert und dass die Diskussion um Landes- und Bündnisverteidigung zu einem Rückschritt führen könnte. Insgesamt betont das Interview die Bedeutung der demokratischen Wehrhaftigkeit und die Notwendigkeit, die Werte und Freiheiten einer freiheitlichen Demokratie zu verteidigen. (Martin Bialecki/Henning Hoff/Joachim Staron/Louisa Warth, Internationale Politik)
Das lange Interview mit Masala ist in seiner Gänze lesenswert. Der in der Überschrift bereits zitierten Aussage lässt sich jedenfalls zustimmen. Ich halte es auch für sehr unwahrscheinlich, dass die Deutschen sich in einer der Ukraine ähnlichen Weise mobilisieren lassen. Wir würden ziemlich sicher kapitulieren. Ich versuche, das an der Stelle wertneutral zu halten. Es gibt ja durchaus Argumente dafür, sich eben nicht in militärische Konfliktaustragung zu begeben, selbst wenn man der Angegriffene ist. Ich teile diese Position nicht, aber ich kann ihre Attraktivität nachvollziehen.
Dass der Krieg in der Ukraine ein Verteidigungskrieg westlicher Werte und Normen ist, ist gerade etwas, das man nicht Konsens nennen kann. Die Gegner*innen einer Unterstützung der Ukraine und "Verhandlungen"-Fordernder jedenfalls werden das so sicherlich nicht anerkennen. Auch hier stimme ich Masala völlig zu, und ich halte die Unterstützung für dringend geboten. In dem Zusammenhang freue ich mich auch über Masalas konsequentes Eintreten für eine Vereinbarkeit von modernen Werten und Resilienz, wie er sie im Schlagwort "woke und wehrhaft" zusammenfasst. Unsere Diversität ist unsere Stärke, nicht unsere Schwäche.
Der Text behandelt die Klimapolitikkrise und argumentiert, dass die Bemühungen um den Klimawandel auf halben Wahrheiten basieren, was zu Widerständen und mangelnder Akzeptanz führt. Eine Illusion besteht darin, dass die Klimawende ohne größere Veränderungen im Verhalten der Menschen und nur durch technologische Lösungen erreicht werden kann. Diese Annahme führt zu ökologischer Hypochondrie und Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Ein weiteres Problem ist der Versuch, den antiökologischen Kulturkampf zu umgehen und stattdessen auf Klimapolitik als Wachstumsmotor zu setzen, was ebenfalls nicht effektiv ist. Die Kosten für die Klimakrise und den Umbau des Landes sind enorm und führen zu Verzicht in anderen Bereichen. Die Hoffnung, dass die Klimakrise durch konkrete Erfahrungen mehr Unterstützung erhält, wird widerlegt, da die Öffentlichkeit die Krise abstrakt beantwortet. Ulrich argumentiert, dass die Klimabewegung die ganze Wahrheit über Verhaltensänderungen und Opferbereitschaft kommunizieren sollte, um die Glaubwürdigkeit zu stärken. Der Westen muss sich bewusst werden, dass die Nebenwirkungen seines Handelns nicht mehr in die Zukunft oder auf andere abgewälzt werden können. Diese Erkenntnis stellt eine kulturelle Schwelle dar, da Privilegien nicht mehr selbstverständlich sind und die Akzeptanz der Klimamaßnahmen behindern. (Bernd Ulrich, ZEIT)
Ich mag den Begriff "ökologischer Hypochondrie". Davon abgesehen: Illusionen herrschen definitiv zahlreiche. Obwohl mittlerweile die Berichterstattung ja wirklich sichtbarer und größer geworden ist, ist breiten Teilen das Ausmaß der Klimakrise überhaupt nicht bewusst; das Ganze gilt immer noch als eine Art Lifestyle-Frage. Sämtliche diskutierten Maßnahmen, vom Heizungsgesetz zum Tempolimit, entbehren völlig den Ernst der Situation, die Größe der Aufgabe, in den nächsten 20 Jahren klimaneutral zu werden. Da kommen noch ganz andere Konflikte auf uns zu.
4) A very short review of the question, “Is social media bad for teens?”
Die Frage, ob soziale Medien für Jugendliche schädlich sind, wird durch die bisherigen Beweise nur durch einen ernsthaften negativen Einfluss beantwortet: Depressive Mädchen, die täglich 5-6 Stunden soziale Medien nutzen, neigen dazu, noch depressiver zu werden. Es gibt auch eine interne Studie von Instagram, die zeigt, dass Instagram fast alles positiv beeinflusst, aber einen negativen Effekt auf das Körperbild von Mädchen hat. Abgesehen davon bezeichnen Kritiker die bestehenden Studien über den Zusammenhang zwischen sozialen Medien und der psychischen Gesundheit von Jugendlichen als "schwach", "inkonsistent", "unerklärt", "ein Gemisch von Ergebnissen" und "belastet durch einen Mangel an Qualität" sowie "widersprüchliche Beweise". Trotzdem gibt der Autor zu, dass er dazu tendiert, zu glauben, dass soziale Medien insgesamt einen ungesunden Einfluss auf Jugendliche haben. Dies liegt daran, dass viele Plattformen toxische Targeting-Algorithmen verwenden, die Empörung priorisieren; die Bildschirmzeit im Allgemeinen zu hoch ist; der FOMO-Effekt (Fear of Missing Out) süchtig macht und Angst verursacht; und schriftliche Nachrichten oft gemeiner und aggressiver sind als persönliche Gespräche. Allerdings hat er keine Beweise dafür, und ein Großteil seiner Meinung beruht wahrscheinlich darauf, dass er 64 Jahre alt ist und soziale Medien kaum nutzt. Menschen wie er - und sie sind diejenigen, die soziale Medien am häufigsten kritisieren - sind wahrscheinlich am wenigsten in der Lage, eine fundierte Meinung zu haben. (Kevin Drum, Jabberwocky)
Es ist tatsächlich super schwierig, das alles auseinanderzuhalten. Drum beweist eine bewundernswerte Selbstreflexion, wenn er betont, dass sein Bauchgefühl ihn womöglich trügt. Denn tatsächlich ist ja niemand von uns mit ständig verfügbaren Taschencomputern und Sozialen Medien aufgewachsen. Die erste solche Generation steht gerade erst in den Startlöchern. Dazu kommt, dass sich noch praktisch jede Sorge um den negativen Einfluss neuer Kulturmerkmale, von Rock'n'Roll über Comics zu MTV und Videospielen, als falsch erwiesen hat. Das darf natürlich umgekehrt nicht zum Kehrfehlschluss verleiten, dass alles eitel Sonnenschein sei und keine Probleme existierten.
Der Philologenverband Rheinland-Pfalz begrüßt die Initiative von Bundesgesundheitsminister Lauterbach, einen "Hitzeschutzplan Deutschland" zu erstellen, während er dem eigenen Bildungsministerium Untätigkeit vorwirft. Die Landesregierung habe es versäumt, angemessen auf die steigenden Temperaturen und trockeneren Sommer mit einer geeigneten Strategie zu reagieren. Es besteht Handlungsbedarf bei der Dämmung der Schulgebäude sowie der Bereitstellung von Schattenflächen auf Schulhöfen und Kitas. Der Philologenverband fordert die Landesregierung auf, gemeinsam mit den Schulträgern Konzepte für den Gesundheits- und Arbeitsschutz zu entwickeln und bauliche Maßnahmen schnell umzusetzen. Insbesondere sollen gut erreichbare Wasserspender in allen Schulgebäuden des Landes aufgestellt werden. Die Verbraucherzentrale NRW unterstützt diese Forderung und betont, dass Landesregierungen eine Vorreiterrolle übernehmen könnten, indem sie schrittweise alle Schulen mit Trinkwasser-Zapfstellen ausstatten. Der Sanierungsstau bei Schulgebäuden in Deutschland wird auf rund 47 Milliarden Euro geschätzt. (News4Teachers)
Ich habe über dieses Thema schon in meinem Artikel "Rechtsfreier Raum Klassenzimmer" geschrieben. Die Umstände, unter denen Unterricht stattfinden muss, spotten jedem Arbeitsrecht. Gerade hier in Baden-Württemberg, wo die Sommerferien mit Ende Juli super spät beginnen, findet die heißeste Phase des Sommers in Klassenzimmern statt, die vollbesetzt und kaum lüftbar sind. Räume gehen nach Süden raus und haben als einzigen Sonnenschutz eine Lamellenjalousie. Wie die Luft in diesen Räumen nach sechs Stunden steht, kann sich jede*r vorstellen. Zu all dem anderen Investitionsnotstand im deutschen Bildungssystem kommt nun auch noch fehlender Hitzeschutz hinzu.
Resterampe
a) Schäffler ist echt ein so lächerlich offensichtlicher Lobby-Troll.
b) Sehr gute Gedanken zu den strukturellen Mechanismen von Debatten.
c) Die Temperatur des Atlantiks ist echt crazy.
d) Noch mehr Gedanken zur AfD.
e) Selbstaufgabe von Politik. Furchtbar.
f) Sehr guter Thread zur NATO-Osterweiterung.
g) Spannende Gedanken zu Elitenselbstwahrnehmung und Gangstergeschichten.
h) Absolut zutreffend zu Autos.
i) Das ist doch so eine alberne Aussage.
j) So sehr ich Colin Kaepernicks grundsätzlicher Kritik zustimme, der Satz "Any attempt to whitewash the past should actually be understood as a concrete step toward fascism" ist einfach Unfug.
k) Dieses unreflektierte "Wir" kann ich auch nicht leiden.
l) The lab leak hypothesis continues to look pretty far-fetched.
m) Why do so many tech bros support RFK Jr.?
n) Amazon is being sued for making it ridiculously hard to cancel a Prime subscription. Das darf gerne Schule machen.
p) Latest NAEP long-term test shows disastrous results during the pandemic. Ich bin ultravorsichtig, was das Attributieren der miesen Schulergebnisse der letzten zwei Jahre auf Covid angeht, einfach, weil so eine bequem Ausrede ist. Da braucht es definitiv noch mehr Forschung. Aber man sollte es immer im Blick behalten.
r) Ich warte natürlich auf die gleiche Empörung auf liberaler Seite, wie es sie bei Habeck gab.
s) Ich halte Stoeckers Argumentation, dass die FDP maßgeblich von den Koch Brüdern beeinflusst sei, für reichlich überzogen.
t) Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was dieser FAZ-Artikel zur CDU mir sagen soll.
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