Donnerstag, 30. November 2023

Verfassungsrechtlerin vergleicht Krebstherapien mit Doppelpässen von FDP-Abgeordneten auf dem Grünenparteitag - Vermischtes 30.11.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Mittwoch, 29. November 2023

Rezension: Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

Die Haltung des Westens gegenüber China hatte sich bereits in den 1970er Jahren geändert, weil der Wandel der Beziehung zu Moskau durch Pekings 180-Grad-Wende die Nutzung von China als Hebel gegen die UdSSR erlaubte. Auf diese Art wurde die Volksrepublik vom Feind plötzlich zum Verbündeten der USA und damit der Konservativen. Doch auch die Linken entdeckten ab 1968 eine Liebe zu dem Land, weil die Ernüchterung über den Charakter des Sowjetkommunismus, die spätestens mit dem Prager Frühling weite Teile der europäischen Linken erfasst hatte, zu einem Umschwenken vom Leninismus auf den scheinbar "reineren" und "unverfälschteren" Maoismus ermöglichte. Umgekehrt lief es entsprechend für das sozialistische Deutschland, dessen Beziehungen zu Peking sich drastisch verschlechterten.

Dienstag, 28. November 2023

Putins Bürokratie pusht mit Hilfe von Milliardär*innen Osama bin Laden zur Wahl der AfD - Vermischtes 28.11.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Montag, 27. November 2023

Rezension: Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann (Teil 1)

 

Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann

Die Frage, wann die Moderne beginnt, ist eine in der Geschichtswissenschaft hochumstrittene. Der untere Rand des Spektrums wird üblicherweise durch die Aufklärung und die bürgerlichen Revolutionen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts gebildet. Frank Bösch legt die Latte in seinem vorliegenden Buch wesentlich höher: er lässt unsere moderne Welt 1979 beginnen. Dabei behauptet er nicht, dass Schlag am 1.1.1979 ein neues Zeitalter anbrach, sondern eher, dass in dieses Jahr viele Ereignisse fielen, deren Genese und Folgewirkungen besonders prägend waren. Diese Ereignisse und Dynamiken, die üblicherweise fernab deutscher Grenzen stattfanden, hatten doch immer Rückwirkungen auf das damals noch geteilte Deutschland. Trotz des internationalen Ansatzes der Ereignisse legt er daher den Schwerpunkt darauf, ihre Auswirkungen auf die beiden Deutschland zu beschreiben. Inwieweit dieser Ansatz trägt, soll die folgende Rezension erkunden.

Rezension: Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games

 

Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Hörbuch)

Noch immer sind Videospiele ein vergleichsweise junges Medium. Wenn sie überhaupt als Kunst anerkannt werden, dann üblicherweise in einem sehr eingeschränkten Rahmen. Diejenigen, die das ändern wollen, versuchen durch allerlei Meinungsstücke, Analysen und Geschichtsschreibung, hier Fortschritte zu machen. Ein solcher Versuch liegt mit „Replay“ vor, dessen Autor Tristan Donovan versucht, eine Gesamtgeschichte des Mediums vorzulegen, die sich vor allem auf die Innovationen und wichtigen Entwicklungsschritte und weniger auf die berühmtesten und bekanntesten Titel fokussiert.

Samstag, 25. November 2023

Unternehmen "Rache" [Gesamtartikel]

 

Zu einigen der mittlerweile zum Klischee geronnenen Phrasen der US-Wahlkämpfe ist die Behauptung, dass "the stakes never were this high". Zuverlässig wird beim nächsten Mal dann verkündet, dass sich der Einsatz noch weiter gesteigert habe; die vorliegende Wahl sei noch entscheidender als die letzte. Wenngleich mit unterschiedlichen Untertönen findet sich diese Behauptung auf beiden Seiten des politischen Spektrums: bei den Republicans in apokalyptischen Tönen der drohenden Übernahme durch einen gottlos-sozialistisch-woken Mob, der das Land mit Migrant*innen überflutet und Steaks verbietet, auf der Gegenseite mit nicht minder apokalyptischen Tönen von der drohenden Machtübernahme durch Faschisten, dem Errichten von Camps und der Schaffung einer rechtsgerichteten Diktatur. Das Problem im Jahr 2024 ist, dass eine der beiden Seiten eine wesentlich plausiblere Erzählung hat als die andere, wo idealerweise beide Narrative von kühlen Köpfen als aktivistische Fieberträume entlarvt weren könnten. Die Frage, die man sich angesichts der "dieses Mal geht es wirklich um die Rettung der Demokratie" stellen muss ist selbst bei moderaten Beobachtenden zunehmend: was, wenn es stimmt?

Freitag, 24. November 2023

Rezension: Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Teil 3)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Hörbuch)

Die technischen Voraussetzungen allerdings wurden mit dem Sprung in die Dreidimensionale, wie Kapitel 20, "The Ultimate Display", zeigt, immerhin grundsätzlich geschaffen. Polygone und Bitmapping stellten Durchbrüche in der Grafiktechnologie dar, die den Computer ab Ende der 1980er Jahre erstmals wesentlich mächtiger machten als Konsolen (wenngleich dies VGA-Grafikkarten erforderte, die damals noch nicht weit verbreitet waren). Diese Technologie wurde von  id Software zur Meisterschaft gebracht. Mit der Jump'n'Run-Reihe "Commander Keen" schufen sie farbenfrohe Actionwelten, die man bisher nur aus den Arkaden kannte. Wesentlich relevanter aber war der Sprung in den dreidimensionalen Raum, der mit "Wolfenstein 3D" erreicht wurde (neben einem weiteren Skandal über Gewalt und das Zeigen nationalsozialistischer Propaganda). "Doom" perfektionierte das Genre 1993 und führte das Deathmatch ein, das 3D-Shooter zu dem Internetphänomen der Zeit machte; "Quake" würde später auf diesem Erfolg aufbauen. Der Erfolg der Firma gründete sich zu nicht unerheblichen Teilen auf dem Rockstar-Image des Firmengründers John Romero, der dem Ganzen eine glamouröse Übersteigerung gab.

Donnerstag, 23. November 2023

Unternehmen "Rache", Teil 2

 

Teil 1 hier.

Man sollte sich aber nicht dem Fehler hingeben zu glauben, dass das alles blutleer ablaufen soll. Die Fantasien des Trump-Teams und der affiliierten Think-Tanks sind durchaus gewalttägig und basieren auf der bereits in der Trump-Administration verfolgten Idee, den Insurrection Act (ein Gesetz zur Aufstandsbekämpfung) für den Putsch zu benutzen:

Much of the planning for a second term has been unofficially outsourced to a partnership of right-wing think tanks in Washington. Dubbed “Project 2025,” the group is developing a plan, to include draft executive orders, that would deploy the military domestically under the Insurrection Act [...] Trump has publicly expressed regret about not deploying more federal force and said he would not hesitate to do so in the future. (Washington Post)

Jeffrey Clark, a fellow at Vought’s think tank, is leading the work on the Insurrection Act under Project 2025. The Post has reported that Clark is one of six unnamed co-conspirators whose actions are described in Trump’s indictment in the federal election interference case. Clark was also charged in Fulton County, Georgia, with violating the state anti-racketeering law and attempting to create a false statement, as part of the district attorney’s case accusing Trump and co-conspirators of interfering in the 2020 election. Clark has pleaded not guilty. As a Justice Department official after the 2020 election, Clark pressured superiors to investigate nonexistent election crimes and to encourage state officials to submit phony certificates to the electoral college, according to the indictment. [...] In one conversation described in the federal indictment, a deputy White House counsel warned Clark that Trump’s refusing to leave office would lead to “riots in every major city.” Clark responded, according to the indictment, “That’s why there’s an Insurrection Act.” [...] “I think that the supposedly independent DOJ is an illusion,” Clark said in an interview. (Washington Post)

Unternehmen "Rache", Teil 1

 

Zu einigen der mittlerweile zum Klischee geronnenen Phrasen der US-Wahlkämpfe ist die Behauptung, dass "the stakes never were this high". Zuverlässig wird beim nächsten Mal dann verkündet, dass sich der Einsatz noch weiter gesteigert habe; die vorliegende Wahl sei noch entscheidender als die letzte. Wenngleich mit unterschiedlichen Untertönen findet sich diese Behauptung auf beiden Seiten des politischen Spektrums: bei den Republicans in apokalyptischen Tönen der drohenden Übernahme durch einen gottlos-sozialistisch-woken Mob, der das Land mit Migrant*innen überflutet und Steaks verbietet, auf der Gegenseite mit nicht minder apokalyptischen Tönen von der drohenden Machtübernahme durch Faschisten, dem Errichten von Camps und der Schaffung einer rechtsgerichteten Diktatur. Das Problem im Jahr 2024 ist, dass eine der beiden Seiten eine wesentlich plausiblere Erzählung hat als die andere, wo idealerweise beide Narrative von kühlen Köpfen als aktivistische Fieberträume entlarvt weren könnten. Die Frage, die man sich angesichts der "dieses Mal geht es wirklich um die Rettung der Demokratie" stellen muss ist selbst bei moderaten Beobachtenden zunehmend: was, wenn es stimmt?

Mittwoch, 22. November 2023

Rezension: Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Hörbuch)

In Kapitel 11, "Macintonshization", wendet sich Donovan der niederländischen Cracking- und Demoszene zu. Die niederländischen Computer-Geeks waren besonders gut darin, Programme zu cracken, um Kopierschutzversuche zu umgehen, und diese dann zu teilen. Die idealistischen Grundlagen der Szene schufen aber gleichzeitig eine neue Subkultur und ein neues Genre, die Demo: auf der einen Seite war dies eine Testversion des Programmes, auf der anderen Seite nutzten die Programmier*innen aber das Cracken, um ihre eigenen Fähigkeiten zu zeigen. Viele der Cracker*innen fanden dann auch Jobs bei den Firmen, deren Produkte sie "crackten" und oft verbesserten (was in der "Demo" dann vorgeführt wurde).

Dienstag, 21. November 2023

Anthropolog*innen benennen Kitas zusammen mit Meloni und der thüring'schen Ministerialbürokratie dank technologische Fortschritt um - Vermischtes 21.11.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Montag, 20. November 2023

Rezension: Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne

Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne

Der Begriff der Moderne ist ein unglaublich normativ aufgeladener. Um die Jahrhundertwende das erste Mal benutzt, kennzeichnete er Entwicklungsprozesse des 19. Jahrhunderts in einer stark eurozentrischen Perspektive. Die Zeitgenossen, allen voran Karl Marx und Max Weber, gingen davon aus, dass es einen bestimmten Weg in die Moderne gebe, der nur temporal versetzt wahrgenommen werde. Er zieht sich über die Industrialisierung hin über die Nationalstaatsbildung zu einer gesellschaftlichen Modernisierung. Diese These ist mittlerweile überholt. Bereits zu Webers Lebzeiten fiel Sombart auf, dass die USA nicht über eine sozialistische Bewegung verfügten, wie sie für Europa so typisch war. Über das 20. Jahrhundert zeigte sich, dass weder der Prozess der Nationalstaatsbildung noch die Modernisierung in anderen Teilen der Welt dem europäischen oder amerikanischen Vorbild folgen mochte. Stattdessen gibt es eine Vielfalt von Modernisierungen, die Komparativ untersucht werden müssen. Um die Jahrtausendwende unternahm Shmuel Eisenstadt in einer viel beachteten Vorlesungen, die er später in das vorliegende Buch umwandelte, Genau diesen Versuch.

Sonntag, 19. November 2023

Bohrleute 63 - Donnerschlag aus Karlsruhe, mit Ariane Sophie

 

 

Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit seinem jüngsten Urteil zum ersten Mal einen bundesrepublikanischen Haushalt für verfassungswidrig erklärt hat, hängt die deutsche Politik in der Luft - von Wirtschaft und Klima ganz zu schweigen. Mit Ariane rede ich darüber, wie wir das Urteil einordnen, welche Konsequenzen daraus erwachsen.

~

(Musik: Intro aus Accou – Sarabande BWV 1002 (Partita No.1 for violin solo in B-minor), Outro aus Accou – Bourree (I.S. Bach BWV 1002, Violin Partita No 1 in B minor))

~

Shownotes:

Freitag, 17. November 2023

Was ist mit der Schule los?

 

Bei einem Gespräch mit Bekannten stellte jemand (nicht Lehrkraft) die böse Frage: warum sind die Schulen so schlecht? Die Frage nahm natürlich Bezug auf die zahlreichen Hiobsbotschaften bezüglich des durchschnittlichen Niveaus der Deutschkenntnisse der Schüler*innen in Deutschland, die, höflich ausgedrückt, verbesserungsfähig sind. Besonders die Rechtschreibfähigkeiten stehen seit mittlerweile deutlich über einem Jahrzehnt im Fokus, aber auch bei anderen Kernkompetenzen sind die Werte nicht gut. Beklagt wird auch gerne die Studierfähigkeit, besonders bei Mathematik, wo die Kenntnisse für das erste Semester selbst bei guten Abiturient*innen unzureichend sind. Die Antworten, die man auf diese Frage bekommt, laufen üblicherweise in zwei Richtungen: einerseits werden die Grundschulen verantwortlich gemacht, in denen eine fehlgeleitete Didaktik (Stichwort "schreib wie du es hörst") zu einem Flächenschaden bei der Rechtschreibung geführt habe, und andererseits Menschen mit Migrationshintergrund, die es wahlweise an der richtigen Einstellung vermissen ließen oder aus anderen Gründen zurückfielen. Ich will versuchen, eine eigene Antwort auf die Frage zu geben, inklusive einer Klärung dessen, was die Frage eigentlich ist. Denn das ist gar nicht so einfach, wie man denkt. Aber ich greife vor.

Donnerstag, 16. November 2023

Was ist mit der Schule los?, Teil 3: Abschluss

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

Der mit Abstand größte Faktor, der in der Diskussion beharrlich ignoriert wird, hat mit der Tiefenstruktur des deutschen Schulsystems zu tun und ist auch der größte Grund, warum die soziale Ungleichheit ein so beharrlicher und im internationalen Vergleich übermäßig großer Faktor im Schulerfolg bleibt: egal ob Gymnasium, Realschule oder Werkrealschule (vor allem aber im Gymnasium), die implizite Annahme des gesamten Systems ist, dass eine qualifizierte nebenberufliche Nachhilfekraft zuhause zur Verfügung steht. Das ist üblicherweise die Mutter, die in Deutschland als vollzeit erwerbstätiges und/oder akademisch nicht vorgebildetes Wesen immer noch nicht anerkannt ist.

Mittwoch, 15. November 2023

Rezension: Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Teil 1)

 

Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Hörbuch)

Noch immer sind Videospiele ein vergleichsweise junges Medium. Wenn sie überhaupt als Kunst anerkannt werden, dann üblicherweise in einem sehr eingeschränkten Rahmen. Diejenigen, die das ändern wollen, versuchen durch allerlei Meinungsstücke, Analysen und Geschichtsschreibung, hier Fortschritte zu machen. Ein solcher Versuch liegt mit „Replay“ vor, dessen Autor Tristan Donovan versucht, eine Gesamtgeschichte des Mediums vorzulegen, die sich vor allem auf die Innovationen und wichtigen Entwicklungsschritte und weniger auf die berühmtesten und bekanntesten Titel fokussiert.

Dienstag, 14. November 2023

Die Hamas zerstört mit Kubicki die deutsche Bildungsinfrastruktur und baut mit Abtreibungswahlkampf ein Untergrundimperium auf - Vermischtes 14.11.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Montag, 13. November 2023

Rezension: Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne (Teil 3)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne

Als Nächstes wendet sich Eisenstadt den historischen Wurzeln der Meiji-Restauration zu. Sie ähnelt für ihn den klassischen westlichen Revolutionen, weil ein bestehender Herrscher vollständig abgesetzt wird. Gleichzeitig benötigte sie eine Legitimation wegen ihres zutiefst gesellschaftsverändernden Programms. Dieses war seiner Natur nach modern und versuchte Japan für die Moderne bereit zu machen und dem Land einen Rang in der Welt einzuräumen. Die neue Ideologie ich liebe dich betonte deswegen die Gleichheit aller Japaner. Dieser gleichheitsbegriff unterschied sich allerdings vom westlichen und war „funktional egalitär“, indem er es allen ermöglichte, die Pflichten der Samurai zu erfüllen. Theologische und sakrale Elemente fanden dagegen praktisch keinen Einfluss. Stattdessen wurde der Nationalstaat stark ethnisch definiert. Das japanische Kollektiv wurde dabei als unvergleichlich und einzigartig definiert, weil sie meine Veranlagung zum Rassismus gab, 27. Jahrhundert mörderische Folgen haben würde. Stets aber gehörte die Idee, dass das Land mit der Zeit gehen müsse, was Technologien und ähnliche Veränderungen anbelangte, mit zu dieser neuen Ideologie. Mein versuchte, eine Zweckrationalität auf der einen Seite von einer Werttraditionalität auf der anderen Seite zu trennen.

Freitag, 10. November 2023

Rezension: Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne

Als Nächstes wendet sich Eisenstadt der Grundlegung der amerikanischen Institutionen in der Jackson Ära zu. In dieser Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts bildeten sich die meisten der von ihm beschriebenen Strömungen heraus. Der große Unterschied zwischen der Jacksonian Ära und der vorangegangenen republikanischen liegt für Eisenstadt vor allem im Expansionsstreben der USA. Nicht nur breitete sich das Land geographisch und territorial aus, sondern es begann durch eine breitere Einwanderung auch eine Art demographische Expansion.

Mittwoch, 8. November 2023

Was ist mit der Schule los?, Teil 2: Stellungnahme

 

Teil 1 hier.

In Teil 1 nannte ich die Faktoren, die von den verschiedensten Seiten als Gründe für die Schulmisere genannt werden. Einige dieser Gründe schließen sich gegenseitig ein wenig aus, andere sind problemlos komplementär; manche sind eher sekundär, andere ursächlich. Ich will versuchen, meine eigene Einschätzung zu geben, inwieweit das alles zutreffend ist oder auch nicht.

1) Grundschulen

Hier habe ich gleich zu Beginn die wohl unbefriedigendste Antwort: ich habe keine Ahnung. Ich bin kein Grundschullehrer, und von Grundschuldidaktik verstehe ich nur unwesentlich mehr als die Durchschnittsdeutschen, wohl gerade so viel mehr, dass ich mir kein Urteil anmaße. Ich kann nur sagen, dass die "schreib wie du es hörst"-Panik genau das ist: eine Panik. Wenn das überhaupt je so gemacht wurde (was ich nicht sicher weiß) kann ich nur sagen, dass es seit mindestens sechs Jahren - nämlich seit meine eigenen Kids durch das Schulsystem laufen - nicht mehr gemacht wird, und den Aussagen befreundeter Grundschullehrkräfte nach ist das Thema schon lang durch und eigentlich nur noch ein medialer Dauerbrenner. Was auch immer in den Grundschulen läuft, DAS ist es nicht. Denn die im IQB-Test so furchtbar aufgefallenen Jahrgänge hatten diese Didaktik nicht.

Dienstag, 7. November 2023

Ängstliche und verantwortungslose Autobauende streiken für transparente Vermögensverhältnisse im Klimaschutz - Vermischtes 07.11.2023

 

Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Montag, 6. November 2023

Was ist mit der Schule los?, Teil 1: Problemanalyse

 

Bei einem Gespräch mit Bekannten stellte jemand (nicht Lehrkraft) die böse Frage: warum sind die Schulen so schlecht? Die Frage nahm natürlich Bezug auf die zahlreichen Hiobsbotschaften bezüglich des durchschnittlichen Niveaus der Deutschkenntnisse der Schüler*innen in Deutschland, die, höflich ausgedrückt, verbesserungsfähig sind. Besonders die Rechtschreibfähigkeiten stehen seit mittlerweile deutlich über einem Jahrzehnt im Fokus, aber auch bei anderen Kernkompetenzen sind die Werte nicht gut. Beklagt wird auch gerne die Studierfähigkeit, besonders bei Mathematik, wo die Kenntnisse für das erste Semester selbst bei guten Abiturient*innen unzureichend sind. Die Antworten, die man auf diese Frage bekommt, laufen üblicherweise in zwei Richtungen: einerseits werden die Grundschulen verantwortlich gemacht, in denen eine fehlgeleitete Didaktik (Stichwort "schreib wie du es hörst") zu einem Flächenschaden bei der Rechtschreibung geführt habe, und andererseits Menschen mit Migrationshintergrund, die es wahlweise an der richtigen Einstellung vermissen ließen oder aus anderen Gründen zurückfielen. Ich will versuchen, eine eigene Antwort auf die Frage zu geben, inklusive einer Klärung dessen, was die Frage eigentlich ist. Denn das ist gar nicht so einfach, wie man denkt. Aber ich greife vor.

Freitag, 3. November 2023

Bücherliste Oktober 2023

 

Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt. Viele Rezensionen sind bereits als Einzel-Artikel erschienen und werden hier zusammengefasst.

Diesen Monat in Büchern: 19. Jahrhundert, TV, Faschismus

Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: -

Rezension: Sascha Lobo - Die große Vertrauenskrise. Ein Bewältigungskompass

 

Sascha Lobo - Die große Vertrauenskrise. Ein Bewältigungskompass (Hörbuch)

Vertrauen ist ein hohes Gut. Ohne Vertrauen in das politische System hat die Demokratie ein Problem. Und das Vertrauen war noch nie so niedrig, ob in die gewählten Politiker*innen, die Parteien, die Behörden, die Medien, die Wirtschaft - die Vertrauenskrise ist, das bestätigt Umfrage um Umfrage, allumfassend und hat keine Autorität unberührt gelassen. Sascha Lobo hat sich die Frage gestellt, wo und wie das Vertrauen verloren ging, warum das so ist und was man dagegen tun kann. Und weil Dinge zu fragen eine gute Sache ist, darüber ein Buch zu schreiben aber noch eine bessere, hat er genau das gemacht. Und ich rezensiere es hier. Und hoffe, dass niemand merkt, dass ich Selbstverständlichkeiten ausspreche um meine fehlenden Ideen für eine schmissige Einleitung zu kaschieren und darüber, notabene, das Vertrauen in dieses Blog verliert, so es je existiert hat. Womit wir endlich beim Thema wären.

Donnerstag, 2. November 2023

Rezension: Kim Stanley Robinson - The Ministry for the Future

 

Kim Stanley Robinson - The Ministry for the Future (Kim Stanley Robinson - Das Ministerium für die Zukunft) (Hörbuch)

Der Klimawandel eignet sich nur eingeschränkt für spannende Geschichten. Er vollzieht sich über einen langen Zeitraum, lässt sich von einzelnen heldenhaften Akteuren nicht effektiv bekämpfen und kennt keine leicht personalisierbaren Antagonisten. Entsprechend muss der Versuch, eine Geschichte über den Klimawandel und seine Bekämpfung zu schreiben, eine umfassende, Institutionelle und mosaikartige Erzählung darstellen. Genau eine solche hat Kim Stanley Robinson mit seinem Buch „The Ministry for the Future“ vorgelegt. Über einen Zeitraum von über zwei Jahrzehnten erzählt es eine mögliche Zukunft, deren Absprungpunkt im Jahr 2024 liegt. Bei der jährlichen Sitzung des COP, der Versammlung aller Nationen, die die Pariser Klimaverträge von 2014 unterschrieben haben, wird angesichts des mangelnden Fortschritts eine neue internationale Institution geschaffen, die den Spitznamen „Ministerium für die Zukunft“ erhält und von der ehemaligen irischen Diplomatin Mary Murphy geleitet wird. Auf diesem Ministerium und der Person Mary liegt der Fokus der Erzählung, sofern diese überhaupt so etwas wie einen Fokus hat.

Der Roman öffnet in Indien, mit dem Entwicklungshelfer Frank, der zusammen mit der Bevölkerung in einer nie dagewesenen Hitzewelle gefangen ist. Über mehrere Tage geht langsam das Wasser zur Neige und der Strom fällt aus, so dass die Klimaanlagen nicht mehr laufen. Die Menschen sterben in ihren Wohnungen ebenso wie auf den Straßen. Am Ende überlebt Frank nur durch eine Laune des Schicksals, indem er komplett in einem See untergetaucht und nur mit dem Gesicht an der Wasseroberfläche die Hitze übersteht - Zufall deswegen, weil praktisch niemand anderes dies überlebt hat. Rund 20 Millionen Inder*innen fallen dieser Hitzewelle zum Opfer.

Diese gigantische humanitäre Katastrophe erzeugt einen großen Handlungsdruck in Indien. Eine Terrororganisation, die sich die „Kinder Khalis“ nennt, nimmt ihre Tätigkeit auf. Sie wird im späteren Romanverlauf noch eine größere Rolle spielen; an dieser Stelle hören wir vor allem ihr Gründungsmanifest. Die Wut Indiens hat auf der Weltbühne erst einmal nur wenig Widerhall. Innerhalb des Landes allerdings stößt sie Veränderungen an, die sich noch als bedeutsam erweisen werden.

Der erste ist der Entschluss der indischen Regierung, durch das Versprühen von Chemikalien in der Stratosphäre Geo-Engineering zu betreiben: in Hunderten von Flügen wird eine Chemikalie ausgebracht, die einen Bruchteil des Sonnenlichts reflektiert und so eine Abkühlung erwirken soll. International wird diese Maßnahme wegen ihrer unabsehbaren Konsequenzen und globalen Auswirkungen scharf kritisiert, doch Indien akzeptiert die Sanktionen und führt die Operation trotzdem durch. Tatsächlich verhindert dies in den nächsten Jahren eine weitere Hitzewelle und scheint keine dramatischen Konsequenzen zu haben. Die Drohung, die Operation jederzeit zu wiederholen, wird zum Standardrepertoire indischer Außenpolitik.

Robinson beschreibt hierbei auch die Konturen der politischen Debatte, in denen Indien sich auf seine koloniale Vergangenheit beruft und auf dieser Grundlage jegliche Einmischung der westlichen Mächte ablehnt, die es für den Klimawandel verantwortlich macht. Zwar wird ihm diese Debatte der Heuchelei Indiens, dem es wahrlich nicht an Kohlekraftwerken mangelt, durchaus Raum gegeben; es bleibt aber offensichtlich, dass das Land hier einen Punkt hat. Das moralische Dilemma, einerseits global wirksames Geoengineering auf nationaler Ebene zu betreiben, andererseits aber zu versuchen die eigene Bevölkerung zu beschützen, weist bereits auf viele weitere solche Fragestellungen im Verlauf des Romanes hin.

Die Romanhandlung kehrt nun zu Frank zurück, der durch seine Erlebnisse schwer traumatisiert ist und versucht, den Kindern Khalis beizutreten, die ihn allerdings nicht haben wollen. Solcherart zurückgewiesen, versucht er durch Arbeit in Kühlhäusern und zuletzt sogar in der Antarktis sein Trauma zu bekämpfen, scheitert aber damit genauso wie mit psychiatrischer Behandlung. Schließlich verschlägt es ihn in die Schweiz, wo auch das Ministerium für die Zukunft in Zürich seinen Sitz hat. In einem zufälligen Zusammenstoß mit einigen jungen reichen Klimasündern tötet er aus Versehen einen von ihnen im Streit. Ein moralisches Problem hat er damit nicht.

Im Ministerium indessen werden wir Zeugen einer Besprechung unter den führenden Politiker*innen: das Ministerium hat natürlich nur ein sehr kleines Budget, so dass die Frage, wie man dieses am effektivsten einsetzen kann, eine entscheidende darstellt. Letztlich dreht sich die Debatte über den Bau und die Förderung von Infrastruktur auf der einen Seite oder den Versuch, die Gesetzgebung zu beeinflussen, auf der anderen Seite. Robinson und das Ministerium vertreten letztlich klar die Position, dass die wahre Macht immer bei der Legislative liegt und die rule of law letztlich über allem steht. Der erfolgversprechendste Ansatz ist daher, die Parlamente zu beeinflussen. In einem der vielen Exkurse, die in Art eines dialektischen Lerngesprächs geschrieben sind, ohne dass dessen Teilnehmende namentlich benannt wären und die sich anfühlen, als wären die Lesenden selbst Teil davon, untersuchte Robinson einige Ursachen für die Probleme, die aktuell vernünftige Gesetzgebung verhindern. Seine Antwort besteht in der großen Ungleichheit, die vor allem anhand des Gini-Koeffizienten deutlich gemacht wird. Die daraus zu ziehende Konsequenzen werden mit einer gewissen Ironie „as an exercice to the reader“ überlassen, ein Distanzierungsinstrument, das der Autor im Verlauf der Romanhandlungen immer wieder benutzen wird und das seine eigene Sicht auf die Dinge trotzdem keine Sekunde in Zweifel lässt, selbst wenn man nie ein Interview mit ihm gelesen hat.

Die Handlung kehrt nun zu Frank zurück, dessen Pfad sich erstmals mit dem Marys kreuzt. Er entführt sie und zwingt sie in einem Gespräch zu der Einsicht, dass sowohl sie als auch das Ministerium zu wenig tun. Auf ihre Frage, was sie mit Ihren beschränkten Mitteln denn noch mehr tun solle, erklärt er rundheraus, dass dies letztlich eine feige Verweigerungshaltung sei. Das Ministerium brauche eine Art „black wing“, der wie staatliche Geheimdienste Attentate und Sabotageakte vollführt. Mary ist von dieser Idee völlig geschockt und lehnen sie sofort instinktiv ab. Frank flüchtet schließlich und lässt Mary allein mit ihren Gedanken zurück, die mit ihrem Stabschef über genau diese Thematik spricht. Dabei stellt sich heraus, dass das Ministerium bereits eine solche Unterorganisation besitzt, von der Mary nichts weiß, damit im Falle eines Skandals das Ministerium und seine Spitze glaubhaft Unkenntnis versichern können. Was für Operationen diese geheime Flügel durchführt, bleibt allerdings unklar - was sich im gesamten Romanverlauf nicht ändern wird.

Die Schweiz wird indessen wie viele andere Länder der westlichen Welt von Klimaflüchtlingen geradezu überflutet. In seinem unkoordinierten Bestreben, irgendetwas zu tun, das ihn von der Antarktis zu dem Totschlag über Marys Entführung gebracht hat, beginnt Frank eine Beziehung mit einer Flüchtlingsfrau und ihren beiden Kindern und verschafft ihnen so ein besseres Leben. Diese Beziehung ist allerdings nicht von langer Dauer, zu volatil ist der traumatisierte Frank. Die Flüchtlinge indessen leben in Lagern ohne eine Zukunftsperspektive. Da sie in der Schweiz leben, bei einem rechtsstaatlichen Land, geht es ihnen materiell soweit gut, weil sie nicht existenziell gefährdet sind. Ein beneidenswerter Zustand allerdings ist ihr Dasein sicherlich nicht.

Damit wendet Robinson den Blick wieder zurück nach Indien. Das Land hat in den letzten Jahren eine eigene Methode entwickelt, mit dem Klimawandel umzugehen. Diese Methode beruht auf insgesamt drei Faktoren: einerseits die Lage Indiens, dessen Sonnenreichtum er ist zu einem prädestinierten Ort für einen möglichst schnellen Wandel hinzu Solarenergie macht, andererseits die Landwirtschaft, die wesentlich auf lokale Gegebenheiten, eine größere Diversität der angebauten Fruchtsorten und dadurch höhere Resilienz setzt sowie als letzten Faktor die Demographie des Landes, die durch die vielen Menschen die höhere Ineffizienz dieses Systems mit seinem wesentlich gestiegenen Arbeitskräftebedarf stemmen kann. Die relative Armut Indiens macht eine gestiegene Beschäftigung Millionen von Menschen im Landwirtschaftssektor zudem wesentlich unproblematischer, als dies in „höher entwickelten“ Ländern der Fall wäre.

Geoengineering indessen ist nicht auf Indien beschränkt. In der Antarktis versuchen diverse Forschungsgruppen, den rapiden Anstieg des Meeresspiegels dadurch aufzuhalten, das in irgendeiner Art und Weise das Abschmelzen der Gletscher verhindert wird. Der erfolgversprechendste Ansatz scheint zu sein, das durch die Klimaerwärmung stark angestiegene Wasser unter den Gletschern abzupumpen und dadurch deren Abrutschen ins Meer wieder auf sein natürliches Niveau zu verlangsamen. Dafür gibt es jedoch keine Mittel. Stattdessen werden fantastische Pläne diskutiert, vor allem von irgendwelchen Milliardären, die sich um das Abpumpen von Wasser aus dem Meer und das Verteilen über das Eis der Antarktis drehen. Dies ist bereits theoretisch so gut wie unmöglich, was gleichwohl niemanden davon abhält, diese fantastischen Pläne zu verfolgen, die wesentlich spannender klingen als das Verlangsamen von Gletschern. Die Arktis indessen schmilzt zum ersten Mal komplett ab und regeneriert sich durch einen Teufelskreis aus weiterer Erwärmung des Nordatlantiks auch nicht mehr – „a feedback loop with teeth“, wie Robinson das ausdrückt.

An dieser Stelle folgt die nächste Serie von Exkursen. Robinson erklärt die neoliberale Wirtschaftsordnung und den großen Einfluss der Reichen. Bei allen Erklärungen zur grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen haben sie offenkundig wesentlich mehr macht als der Großteil der Menschheit. Daraus resultiert für ihn die Notwendigkeit, ökonomische Anreize zu ändern. Der zukünftige Generationen in wirtschaftlichen Überlegungen praktisch keine Rolle spielen („going short on the future“), ist es notwendig, zukünftige Kosten greifbar zu machen und gleichzeitig eine Art Abschlusspunkt zu schaffen, damit Handlungsfähigkeit überhaupt gewahrt bleibt und nicht vor der immensen, uneinsehbaren Zukunft verloren geht. Er erklärt dies anhand eines Abschlags, der dazu führen müsse, dass eine Wette auf die Zukunft („going long on the future“) sich lohnen müsse. Diese Idee wird im späteren Romanverlauf für die Aktionen Marys noch zentral werden.

Ein weiterer Exkurs beschäftigt sich mit der Idee der Effizienz: diese ist eine Grundprämisse der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, sei aber nicht so selbstverständlich, wie dies oft erscheint. Robinson unterscheidet zwischen guter und schlechter Effizienz (so wie im Umkehrschluss guter und schlechter Ineffizienz). Dazu gehört auch das Paradox, dass größere Effizienz zu mehr Nutzung führt (neue Autobahnen mildern den Verkehrsstau nicht, effizientere Motoren senken nicht den Benzinverbrauch, etc.). Er sieht die Notwendigkeit, in bestimmten Sektoren weniger Effizienz zuzulassen, um so mehr Nachhaltigkeit zu erreichen und die Neigung des kapitalistischen Systems zur Selbstzerstörung einzuhegen. Dies geht nicht komplett in die Richtung von Degrowth, ist aber zumindest benachbart.

Weltweit nehmen indessen Katastrophen weiter zu. Langanhaltende Dürren und dazu ein Erdbeben machen exemplarisch klar, wie wichtig und gleichzeitig selbstverständlich die Gesellschaft ist: für Robinson ist dies eine weitere Zurückweisung neoliberaler Mantras, allen voran natürlich der plakativen Widerlegung von Margaret Thatchers „ there is no such thing as society“, das er in lyrischer Überhöhung durch die Opfer der Katastrophe in der dritten Welt ausstoßen lässt. Stattdessen bestätigt sich einmal mehr, dass die Menschen im Angesicht der Katastrophe zusammenrücken und sich gegenseitig helfen. Wir sind eine gemeinschaftliche Spezies, die, so die Moral dieser spezifischen Geschichte, sich nur lange Zeit eingeredet hat, aus egoistisch handelnden Individuen zu bestehen.

In der eigentlichen Handlung indessen wird die Welt durch eine Reihe koordinierter Terrorangriffe erschüttert: mit Schwärmen von Drohnen werden Flugzeuge zum Absturz gebracht, in denen ausschließlich oder vorrangig Geschäftsreisende untergebracht sind. Gleichzeitig werden mit ebenfalls Drohnen betriebenen Torpedos Containerschiffe versenkt. Als sich diese Anschläge in den folgenden Tagen und Wochen wiederholen, bricht der weltweite Verkehr ein und sorgt für einen tiefen Wirtschaftscrash. Der Tag der Anschläge ist von nun an als Crashday bekannt.

Im Ministerium für die Zukunft werden derweil zum ersten Mal Alternativen zum Wirtschaftssystem debattiert. Der erste Pfeiler hierfür ist der Anstieg an Leistungskraft von Künstlicher Intelligenz, die das alte Dilemma der sozialistischen Planwirtschaften, nicht und vor allem nicht rechtzeitig über die nötigen Datenmengen zu verfügen und diese auswerten zu können, potenziell lösen könnte. Da die „Tragik der Allmende“ ohnehin nicht existiert und ein Mythos ist, sind kommunale Reformen der Bewirtschaftung grundsätzlich denkbar. Vorerst allerdings bleibt das alles reines Gedankenspiel. Dasselbe gilt für die Überlegungen eines neuen sozialen Netzwerks, dass die Marktmacht der bestehenden soziale Netzwerke ersetzen könnte. Grundsätzlich soll ein solches Netzwerk Open Source und von den Nutzen selbst besessen und verwaltet werden, während die Daten durch Blockchain gesichert und im alleinigen Besitz der Nutzenden sind, so dass diese sie auf dem globalen Markt verkaufen können.

Die letzte systemische Idee ist die radikalste: ebenfalls durch Blockchain unterfüttert soll eine neue weltweite Reservewährung auf Basis des Einsparens von CO2 geschaffen werden. Diese Idee ist auch die erste, die Mary umzusetzen versucht, indem sie bei den Zentralbanken vorspricht. Diese lehnen sie allerdings rundheraus ab: die Idee, Quantitative Easing zur Rettung des Klimas anstatt zur Rettung der Banken zu betreiben, ist für sie systemwidrig und entspricht nicht dem Auftrag der Zentralbanken, gegen den zu verstoßen für sie unvorstellbar ist - obwohl sie, dies eine zentrale These Robinsons, so etwas wie die Weltregierung darstellen.

Von diesen luftigen Höhen der Weltpolitik begibt sich die Handlung nun wieder zurück zu den Klimaflüchtlingen in der Schweiz. Frank hat eine neue Berufung darin gefunden diesen zu helfen Und bietet daher für die Geschehnisse einen Blickwinkel. Es kommt zu Aufständen der Flüchtlinge, die mit der Gesamtsituation unzufrieden sind. Die aus der Sicht eines Geflüchteten erzählte Eruption von Gewalt ist auch deswegen interessant, weil aus Sicht der Geflüchteten die Behandlung in der Schweiz wesentlich besser ist als in den Ländern in denen sie vorher waren, aber der Anspruch der Schweiz ein viel höherer ist, so dass die vergleichsweise harmlose Entmenschlichung im Schweizer Flüchtlingssystem das Fass zum Überlaufen bringt. Eher am Rande wird der Aufstieg der rechtsradikalen Parteien erwähnt, was angesichts einer Flüchtlingspopulation in der Schweiz, die die angestammte Bevölkerung übersteigt, kaum verwundern dürfte.

Neben Indien wird als weiteres Positivbeispiel der Einstellung auf die Klimakrise Kalifornien vorgestellt. Der Bundesstaat erreicht den Robinsons Erzählung unter seinen progressiven Regierungen schnell Klimaneutralität und sticht besonders durch seine effiziente Wasserwirtschaft, die vor allem eine Mangelwirtschaft darstellt, sowie durch Renaturalisierungmaßnahmen hervor.

Weltweit, mit einem besonderen Zentrum in Frankreich, finden zu dieser Zeit gewaltige Proteste statt. Diese fallen vor allem durch ihre neuartigen Organisationsformen auf: gewaltige Menschenmassen sind involviert und legen das Leben in den Großstädten praktisch lahm. Angesichts der großen Wirtschaftskrise werden neue Formen gesellschaftlicher Organisationen ausprobiert. Die Proteste, zu groß und umfassend um von Polizei und Militär unterdrückt zu werden, wir werden so zu einem Labor neuer Gemeinschaftlichkeit.

Für Mary wird immer deutlicher, dass der Erfolg versprechend ist der Ansatz für das Ministerium darin besteht, sich auf Regulierung zu konzentrieren. Dies ist die logische Konsequenz der Analyse, dass die wahre Macht grundsätzlich in der Legislative liegt. Gleichzeitig sind die Marktkräfte und Marktmechanismen immer im Hinterkopf aller Beteiligten: Mary argumentiert deswegen für einen Ansatz von Zuckerbrot und Peitsche. Auf der einen Seite müssen Investitionen in CO2-Emissionen unattraktiv werden, wofür sie (und Robinson) vor allem für eine CO2-Steuer argumentieren. Gleichzeitig müsse es aber das Zuckerbrot geben, das Investitionen in saubere Investments oder sogar in CO2-negative Bereiche attraktiv macht. Genau hier kommt die Carbon Coin ins Spiel, die sie den Zentralbanken zu pitchen versucht: eine durch die Zentralbanken gedeckte Parallelwährung, die niemals unter einen bestimmten Preis fallen kann und durch Blockchain gesichert digital verfolgbar ist. Eine neu zu schaffende Industrie von Zertifizierungen müsste garantieren, dass die auf Grundlage von CO2-Einsparungen erfolgende Ausgabe der neuen Währung tatsächlich funktioniert. Auf diese Art und Weise würde eine zukunftssichere Investition geschaffen, die gleichzeitig garantiert den Klimawandel bekämpft, ohne dabei in kleinteilige Steuerung zu verfallen.

In der Antarktis stellt sich mittlerweile heraus, was alle bereits wussten: Meerwasser auf die Antarktis zu pumpen ist nicht nur logistisch nicht machbar, sondern auch praktisch nicht, so dass als einzige Alternative das Abpumpen des Wassers unter den Gletschern bleibt. In einem weiteren Experiment zeigt sich, dass dies auch möglich ist und dass, so man das im entsprechenden Maßstab betreibt, das Problem des Meeresspiegelanstiegs lösbar ist. Kalifornien muss indessen erfahren, dass auch gute Politik nicht vor Naturkatastrophen schützen kann. Sintflutartige Regenfälle sorgen für eine komplette Überschwemmung von Los Angeles, bei denen die Stadt praktisch vollständig zerstört wird.

Einige Jahre später gelingt es Mary Murphy unter dem Eindruck der sich drastisch verschlimmern und Klimakrise und den zunehmenden Naturkatastrophen endlich, die Zentralbanken von der Notwendigkeit der Einführung der Carbon Coin zu überzeugen. Gleichzeitig startet das Ministerium für die Zukunft sein eigenes soziales Netzwerk, YourLock, von dem man sich innerhalb ein bis zwei Jahren eine weitgehende Ersetzung sämtlicher bestehender sozialer Netzwerke erhofft. Jemand scheint zu glauben, dass diese Maßnahmen erfolgreich sein werden: Terroranschläge auf verschiedene UN-Institutionen, das Ministerium und die Schweizer Banken zwingen Mary in ein von Bodyguards bewachtes Versteck, sorgen aber dafür, dass die bisher eher ambivalente Schweizer Regierung zu einem der engsten Verbündeten des Ministeriums wird.

Insgesamt ist in diesen Jahren ein Wandel der Weltwirtschaft zu beobachten: es werden immer weniger fossile Brennstoffe verbrannt, mit dem größten Rückgang im Verkehrssektor durch das fast völlige Wegbrechen des Flugverkehrs und der Containerschifffahrt, wenngleich vor allem in der Energieerzeugung und im Individualverkehr weiterhin CO2 verbrannt wird. Die Wirtschaftskrise allerdings bleibt bestehen und hat ein Ausmaß wie in der Great Depression erreicht. In vielen Teilen der Welt werden deswegen alternative Konzepte ausprobiert, die potenziell als Vorbilder für den Rest der Welt dienen können. Besonders erfolgreich sind hier eine Art Bankenunion, gewissermaßen eine genossenschaftliche Organisation von Banken um die Macht des Finanzsektors zu beschneiden so wie die Kooperativen im Baskenland, die unter dem Stichwort Mondragon Schule machen sollen und in vielen von Robinsons Romanen eine Rolle spielen.

Die Carbon Coin erweist sich als ein großer Erfolg. Sie erfüllt die ihr zugedachte Rolle als sichere Investition und befeuert Investments zur Lösung der Klimakrise. Durch Blockchain ist zudem die lückenlose Verfolgung von Geld auf der ganzen Welt Standard geworden, was Steuervermeidung unmöglich macht und eine ganze Reihe progressiver Steuersysteme erlaubt. Damit sind die Grundlagen für einen Systemwechsel gelegt, der nur noch gewagt werden muss. Zahlreiche Staaten beginnen in den folgenden Jahren, Verhältnisse von minimalen und maximalen Vermögen festzulegen. Vorbild hierfür ist ausgerechnet die US Navy, in der die Admirale gerade einmal achtmal so viel verdienen wie die niedrigsten Mannschaftsdienstgrade, ohne dass dies die Leistungsfähigkeit der hoch effizienten Organisation mit ihrem ausgeprägten Korpsgeist angreifen würde. Die neue Regel ist ein Verhältnis von 1 zu 10 bei einem legalen Maximalvermögen von 50 Millionen Dollar, was dank des neuen Währungsregime auch in der Realität durchgesetzt werden kann.

Dieser Wandel geht allerdings nicht gerade ohne Probleme vonstatten. Die ohnehin leidende Wirtschaft stürzt in einen neuen Crash, Industrien werden nationalisiert, globale Finanzströme brechen zusammen. Neue Ideen werden ausprobiert. Wandel liegt in der Luft. Die Zeitgenossen vergleichen die Stimmung mit der etwa 100 Jahre zurückliegenden Revolutionsperiode der 1840er Jahre, die in dieser Erzählung weitgehend von unten und ohne zentrale Lenkung zu zahlreichen Protesten und dem Ausprobieren neuer Gesellschaftsformen geführt hat.

Ein weiterer wichtiger Faktor für das Funktionieren der neuen Parallelwährung ist die wirtschaftliche Wirksamkeit von CO2-Einsparungen. Da die neue Währung auf dieser Basis ausgegeben wird, werden wirtschaftliche Anreize vollkommen verschoben. Die in kleinem Maßstab etwa in Indien bereits ausprobierten Veränderungen im Landwirtschaftssektor hin zu nachhaltigeren Wirtschaftsmethoden lohnen sich plötzlich wirtschaftlich ungemein, vor allem für die niedrigsten sozialen Ränge in den am wenigsten entwickelten Ländern der Erde. Die neue Währung stellt somit ein gigantisches Umverteilungsinstrument dar, das auf Basis von CO2-Einsparungen funktioniert. Die globale Wirtschaftskrise ebnet daher im globalen Maßstab Ungleichheiten deutlich ein - durch gigantische Verluste an der Spitze in den entwickelten Nationen und durch große Gewinne am Breitenboden des globalen Südens.

Der nächste große Schritt in den Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise ist die sogenannte Half-Earth-Bewegung. Hinter diesem Schlagwort verbirgt sich die Idee, dass die Hälfte der Landfläche hat die Natur zurückgegeben und verwildert wird, da die intensive industrielle Landwirtschaft und die wesentlichen zu breite Besiedelung der Landschaft von den Emissionen her zu ineffizient sind. Zumindest für eine Übergangszeit von einigen Jahrzehnten ist eine starke Verdichtung der menschlichen Siedlungsgebiete ebenso notwendig wie ein Wandel zur regenerativen Landwirtschaft. Das Prinzip wird zuerst in unbewohnten Gebieten wie in Montana umgesetzt. Es ruft natürlich den Widerstand der eingefleischten Waffenfans in den USA hervor, die den ersten großen Treck der Wildtiere mit Gewalt aufhalten wollen. Das Ministerium organisiert dagegen einen friedlichen Massenprotest und hat darin Erfolg, das Mediennarrativ zu ihren Gunsten zu formen, was in einer breiten Akzeptanz für diese Form der Politik mündet. Die in kleinen Dörfern auf dem flachen Land lebenden Menschen werden ebenso wie die Menschen in den ausufernden Vorstädten durch großzügige Kompensationsangebote zum Umzug in die Städte bewegt. Da dies zur Einsparung von CO2 führt, können diese Maßnahmen mit Carbon Coins bezahlt werden.

Das globale Flüchtlingsproblem ruft ebenfalls neue Ideen auf den Plan. Analog zu in den 1920er Jahren existierenden globalen Reisepässen soll eine Art Weltbürgerschaft initiiert werden, die die Ansiedlung erlaubt. Es wird noch Jahre dauern, bis dieses Prinzip umgesetzt wird, und Robinson legt Wert darauf, dass es sich nicht um Open Borders handelt: auch mit diesen Pässen dürfen die Länder weiterhin Quoten für die Ansiedlung festlegen und werden Flüchtlinge vor allem nach ihrer Verweildauer und dem durch die Klimakrise angerichteten Schaden verteilt. Die finalen Zahlen allerdings bleiben beeindruckend: die Schweiz allein nimmt am Ende die doppelte Zahl Flüchtlinge auf, die bereits im Land wohnt. Gleichzeitig versuchen die Länder der Welt das Möglichste, eine sichere Rückkehr in die Ursprungsländer der Geflüchteten zu ermöglichen.

Der Terrorismus des Crashday erfährt in diesen Jahren eine Ausdehnung auf den staatlichen Bereich. Neue Militärtechnologie, die im Endeffekt eine Kombination aus traditioneller Raketentechnik und Drohnen darstellt, macht praktisch sämtliches bisheriges militärisches Equipment überflüssig und ist nicht zu stoppen. Weltweit fallen den Anschlägen Institutionen und Einzelpersonen sowie wichtige Infrastrukturen Attacken dieser neuen Waffen zum Opfer, ohne dass jemals klar würde, wer die Angreifer sind. Es ist nur offensichtlich, dass die Waffen staatlich produziert wurden, nicht aber, an wen sie weitergegeben wurden und wer sie abfeuert. Im Kontext der Handlung bedeutet dies den Zusammenbruch des staatlichen Gewaltmonopols und eine gewaltige Unsicherheit, die allerdings direkt vor allem die Elite betrifft, während die breite Masse eher durch Beschädigungen der Infrastruktur und die weiteren Verheerungen des Weltwirtschaftssystems betroffen ist.

Ein weiterer großer Wandel jener Ära am Ende der 2040er Jahre ist der weltweite Zusammenbruch des Internets. Nach dem großen Erfolg von YourLock hat sich eine vollkommen neue digitale Biosphäre etabliert. Auf dem Gebiet der KI werden große Fortschritte gemacht; zahlreiche neue Entwicklungen dieser Zeit sind von einem Reichtum an Daten und Auswertungsmöglichkeiten geprägt und sorgen für eine Verbesserung bestehender Technologien. So wurden bereits im Rahmen des Half-Earth-Projekts Zehntausende von Tieren mit Peilsendern ausgestattet, eine Entwicklung, die immer weiter zugenommen hat und zu der Beschreibung als „internet of animals“ führt. Nicht nur bestehen so deutlich intimere Kenntnisse über die Tierwelt; diese ist auch enger mit der der Menschen verbunden. Robinson beschreibt ein größeres Zugehörigkeitsgefühl der Menschen mit der Fauna.

Die tiefgreifende Wirtschaftskrise hat zudem zahlreiche neue Wirtschaftsmodelle hervorgebracht, so dass der klassische Kapitalismus nur noch in einigen wenigen Weltregionen betrieben wird und durch die Kontrolle der Währungen und die damit einhergehende Wiedergewinnung der Souveränität der Legislativen ohnehin nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Gleichwohl sind viele dieser Initiativen Revolutionen unterhalb der Oberfläche, sie kommen ohne Guillotinen und spektakuläre Umstürze aus. Die alten Machtzentren existieren zwar weiterhin - so verschwinden die Oligarchen wieder von einem Tag auf den anderen, noch tun sie das widerstandslos - aber Ihre Position wird zunehmend prekärer, weil offener und auf wenige Bereiche begrenzt, so dass die von Keynes beschriebene „Euthanasie der Rentier-Klasse“ immer näher zu rücken scheint.

Franks Geschichte kommt in diesen Tagen zu einem traurigen Abschluss: nachdem ihm ein Gehirntumor diagnostiziert wurde, stirbt er im Hospiz unter Begleitung häufiger Besuche von Mary. Für diese kommt ihre Zeit im Ministerium ebenfalls an ein Ende: auf einer Sitzung der COP wird im Endeffekt der Sieg über die Klimakrise verkündet, seit Dank der Geoengineering-Maßnahmen der CO2-Gehalt der Atmosphäre konstant und relativ schnell zu sinken beginnt, nachdem er sieben Jahre zuvor stagniert war. Es bleibt zwar unglaublich viel zu tun, und die Probleme menschlicher Gesellschaften mit Ungleichheit, Bürgerkrieg, Unterdrückung und was der Möglichkeiten der Menschen, einander das Leben zu ruinieren, nicht noch mehr ist. Sie ist allerdings deutlich an einem Schlusspunkt ihres Lebens angelangt.

Nach ihrem Rücktritt nutzt sie daher die neu gewonnene Zeit und macht sich auf eine große Reise in einem Luftschiff rund um die Welt, die Robinson gleichzeitig die Gelegenheit gibt, eine Art Bestandsaufnahme zu unternehmen. Von der Regenerierten Tierwelt über menschenleere Landstriche zu immer wiederkehrenden Erkenntnis, wie dumm man in vergangenen Jahrzehnten gewesen war, hin zu den Erfolgen des Geoengineering (von einem riesigen chemischen Teppich auf dem Arktischen Ozean, der Sonnenlicht reflektiert, zu den Bestrebungen in der Antarktis, wo mittlerweile die militärisch nutzlos gewordenen Flugzeugträger als perfekt gewartete Atomreaktoren die Basis für einige zehntausend Arbeiter bilden). Der Roman findet seinen Ausblick in Marys Teilnahme an einem Fastnachtsfest in Zürich, der noch einmal eine Liebeserklärung an die Alpenrepublik bietet.

---

Das Buch als Roman zu bezeichnen, erscheint mir immer ein wenig als Etikettenschwindel. Eine klassische Handlung gibt es kaum, sieht man von den wenigen Elementen mit Mary und Frank ab. Stattdessen werden philosophische Untersuchungen gemacht, geradezu historische Abhandlungen eingefügt oder Augenzeugenberichte und Protokolle wiedergegeben. Diese Kombination hat ihren eigenen Reiz, ja hat aber eher etwas von einer Mockumentary als einem klassischen Roman. Das sollte vor der Lektüre bewusst sein. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die Charaktere, sofern man diese überhaupt so nennen möchte. Überwiegend sind sie Gefäße für Ideen und kommen ohnehin nur kurz vor; im Fall der wiederkehrenden Charaktere reicht üblicherweise ein einziges Charaktermerkmal. Obwohl Mary in rund einem Drittel der Kapitel vorkommt, erfahren wir praktisch nichts über sie. Sie hat keinerlei Privatleben, ihre definierende Charaktereigenschaft ist Irisch zu sein und ansonsten wird sie graduell älter, ohne dass dies Auswirkungen hätte. Deswegen zieht sich das Ende des Romans auch furchtbar: der lange Ausblick der letzten rund 15% hat ein Feeling von "Die Rückkehr des Königs", nur haben uns da die Charaktere interessiert und wir haben mit ihnen Gefühle verbunden. Auf den letzten 80 Seiten mehr Charakterentwicklung für die Hauptfigur zu betreiben als in den 500 zuvor ist nicht die cleverste Strukturentscheidung.

Überhaupt ist die Stagnation der Charaktere typisch für Robinsons Romane. In seiner berühmten Mars-Trilogie wurde ein Mittel erfunden, dass die gesunde Lebenserwartung und deutlich erhöhte und so die Erzählung über mehrere Jahrzehnte ermöglichte, ohne neue Charaktere einführen zu müssen. In diesem Roman bleibt Mary die Chefin einer politischen Institution, ohne auch nur ein einziges Mal einen Machtkampf kämpfen zu müssen oder über den Verlauf von rund 30 Jahren jemals von der Ablösung bedroht zu sein. Auch das Team um sie herum übernimmt in 30 Jahren keine neuen Aufgaben oder wendet sich zu neuen Ufern. Ich halte das nicht für einen Fehler Robinsons, sondern für eine bewusste Entscheidung. Seine Charaktere sind, wie gesagt, keine Charaktere; sie sind Gefäße für Ideen. Mary sollte man sich daher nicht als eine existierende Frau vorstellen, sondern eher als generische Verkörperung des Vorsitzes eine Institution.

Was die eigentliche Handlung anbelangt, sind solche Vereinfachungen natürlich ebenfalls angelegt. Robinson schreibt in einem etwas eigenwilligen Genre. Auf der einen Seite ist die Handlung von zahlreichen Katastrophen und Zusammenbrüchen gekennzeichnet, die sich bei dem Gegenstand des Klimawandels auch kaum vermeiden lassen. Das Buch ist aber auf der anderen Seite eine Utopie. Die Gegenseite kommt deswegen praktisch kaum vor. Sie wird mit geradezu lächerlicher Leichtigkeit ausgeschaltet und marginalisiert; der eigentliche Gegner bleibt die Klimakrise selbst und die Stupidität des Menschen. Selbst in den größten Katastrophen dominiert eine positive Sicht auf die Dinge. Der in einem Kajak durch das überflutete LA paddelnde Stadtbewohner Sich angesichts des Gemeinschaftsgeistes der Menschen beeindruckt. Obwohl die Weltwirtschaft mehrere große Crashs hinlegt und sich über die Handlung eigentlich nie auf das Niveau vor 2024 erholt, dominieren Erzählungen von Experimenten und spontane Massenorganisation, die geradezu linken Fieberträumen entsprungen scheinen.

Auch wenn Robinson wert darauf legt, nicht in das Horn der Degrowth-Bewegung zu blasen, läuft es doch oft darauf hinaus - zumindest für die oberen 10% der westlichen Gesellschaften. Das passt zu seiner grundsätzlichen ideologischen Ausrichtung: er lässt wenig Zweifel daran, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise sowohl selbstzerstörerisch ist als auch zu großer Ungleichheit führt, die ihrerseits zahlreiche negative Effekte hat. Die Einebnung dieser Ungleichheit ist für ihn deswegen ein klares Plus. Wenn er dafür den narrativen Zauberstab schwingen und die Politik eine erfolgreiche Nationalisierungen auf globaler Ebene durchführen lassen muss - so sei es.

Dabei muss man betonen, dass diese Visionen nicht einmal komplett unrealistisch sind, weil durchaus zu erwarten ist, dass die schiere Fülle von Katastrophen und Zusammenbrüche tatsächlich Handlungsspielräume eröffnen wird, die aktuell noch undenkbar sind. Gleichwohl erscheint es mir als ein deutliches Manko, wie wenig Widerstand vor allem von rechts sich all diesem Wandel entgegenstellt. Stattdessen dominieren wishfulfillment fantasies, etwa die Massenproteste selbst, die in ihrer friedlichen Selbstorganisation und unabgesprochenen Koordinierungsfähigkeit selbst manchen Anarchisten peinlich sein dürften. Auch der Erfolg des vom Ministerium produzierten sozialen Netzwerks ist so umfassend und widerstandslos, das ist kaum anders denn als Utopie beschreibbar ist.

Spannend allerdings bleiben diese Utopien alle dennoch - und auch erschreckend. Denn selbst in dieser vergleichsweise positiven Entwicklung, wie Robinson sie hier skizziert, sind die Katastrophen allgegenwärtig und leiden Millionen von Menschen.

Mit das revolutionärste Potential hat die Idee der durch Blockchain und die Zentralbanken abgesicherten Parallelwährung, weil sie wie eine Art silberne Kugel zahlreiche Umsetzungsprobleme angeht. Ohne marktwirtschaftliche Mechanismen aufzugeben werden diese in produktive Richtungen gelenkt und erlauben eine dezentrale Umverteilung, indem autonome Akteure am unteren Ende der Wertschöpfungskette plötzlich gewinnbringend arbeiten können. Dasselbe gilt für die unglaublich teure Zusammenarbeit der Staaten und die notwendigen Buyouts der Maßnahmenverlierer. Die dafür nötigen gigantischen Summen werden ausschließlich dadurch überhaupt möglich. Dies ist explizit eine Art Anwendung von MMT.

Was die Lesenden aber mit Sicherheit mit dem größten flauen Gefühl in der Magengrube zurücklassen dürfte ist die Rolle des Terrorismus. Ohne ihn wären die meisten der Klimamaßnahmen nicht vorstellbar. Es ist der Klimaterrorismus, der in Robinson Erzählung die Initialzündung allen Wandels gibt und der quasi eine notwendige Bedingung darstellt (wenngleich nicht hinreichend; die Kinder Khalis geben im Verlauf der Handlung nach ihrem Erfolg auf Intervention ihres Gurus den Terrorismus auf und winden sich Produktiveren Handlungsweisen zu). Robinson macht daraus auch wenig hehl; seine Romanfiguren sind allesamt Befürworter, egal wie zögerlich, von Gewalt gegen die Klimaverbrecher, wenngleich sie sich in der Ausprägung unterscheiden: manchen reicht die Sabotage und Zerstörung ihrer Besitztümer, andere gehen zu gezielten Ermordungen über. Als Leser in die Situation gebracht zu werden, mit Terroristen zu sympathisieren, gehört aber sicherlich nicht zu den leichtesten Leseerlebnissen.

Eine Idee des Romans, die sich sehr realistisch anfühlt, ist die der Notwendigkeit des Respekts für sämtliche Kulturen der Welt. Solche Nationen und Kulturen, die sich nicht respektiert fühlen, werden an den internationalen Maßnahmen nicht teilnehmen. Die erste erfolgreiche Integration nach der Indiens ist die Chinas, die zentrale Treiber bei der Carbon Coin darstellen. Hier fällt leicht, dass die Chinesen die Finanzwirtschaft immer schon als Instrument des Staates betrachtet haben und daher für sich das Narrativ entwickeln können, dass der Rest der Welt effektiv ihr System übernimmt. Dasselbe gilt im späteren Verlauf für Russland. Dieses entdeckt seine sowjetische Vergangenheit wieder und vergleicht diese positiv mit den zunehmenden Verstaatlichungen und Vergesellschaftungen im Roman. Historisch ist dies natürlich kompletter Quatsch, es ist allerdings sehr realistisch, dass ein solches Narrativ entstehen würde. In diesem Fall hat es die gute Auswirkung, eine positive Alternative zu den autoritären Regime Putins und Konsorten darzustellen.

Etwas merkwürdig ist das Auslassen der islamischen Welt; zwar wird in einem Satz betont, dass sie neben Russland am größten unter diesem Problem leidet, Sie kommt allerdings danach effektiv nicht mehr vor. Geradezu anachronistisch ist die Sicht auf China, in dem Hongkong es schafft, durch Massendemonstrationen seine Unabhängigkeit zu bewahren und ein China der vielen Systeme mit Hoffnungen auf eine Öffnung irgendwann in der Zukunft zu erschaffen - eine Aussicht, die aktuell eher in eine gegenteilige Richtung läuft.

Auffällig für mich ist auch der Technologieoptimismus Robinsons. Auch wenn er eine sehr kritische Haltung gegenüber den Kryptowährungen hat, glaubt er doch an den durchschlagenden Erfolg des Blockchain Konzepts, glaubt denn die digitale Vernetzung der Menschen in einem besseren, nicht kapitalistischen System, das zu einer größeren Zusammengehörigkeit der gesamten Menschheit führen werde und beschreibt die KI als eine praktisch ausschließlich positiv genutzte Technologie.

Insgesamt ist der Roman für mich eine faszinierende, wenngleich teilweise frustrierende Lektüre. Nicht nur wegen der strukturellen und erzählerischen Schwächen, sondern auch, weil die Utopie ein Genre ist, das zwangsläufig stark von spezifischen politischen Überzeugungen geprägt ist (anders als die meist wesentlich generalisiertere Dystopie). Aber Robinsons Sachkenntnis und detaillierte Recherche machen das Werk zu einem spannenden Gedankenspiel und gibt Konzepte an die Hand, mit denen sich unsere heutigen Herausforderungen denken und bearbeiten lassen. Allein das lohnt die Lektüre allemal.

Mittwoch, 1. November 2023

Rezension: Sascha Lobo - Die große Vertrauenskrise. Ein Bewältigungskompass (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

Sascha Lobo - Die große Vertrauenskrise. Ein Bewältigungskompass (Hörbuch)

Abschnitt 2, "Die komplizierte Gegenwart", versucht sich an Erklärungsansätzen, die die Vertrauenskrise weiter verstärken, und wendet sich konkreten Einzelphänomen zu.

In Kapitel 8, "Das Coronadebakel - Die tiefen Spuren der Pandemie", behandelt Lobo das einschneidendste Ereignis der letzten Jahre, die Corona-Pandemie. In einem Umfeld ständig wechselnder Informationen fand ein gewaltiger Vertrauensverlust in Staat und Medien statt, der zu einem Teil selbstverschuldet ist (die unten näher beschriebene katastrophale Krisenkommunikation des Staates und die offenkundigen Defizite in der Vorbereitung trotz Pandemieplan), zum Teil aber in einem Missverständnis über die Funktion von Wissenschaft begründet ist, die sich selbst in Echtzeit beobachtbar und höchst öffentlich korrigierte (von der Wirksamkeit von Masken und Impfungen bis hin zu Übertragungswegen).