Mittwoch, 21. Februar 2007

Bürgerliche Konservative in einer Zeit ohne bürgerliche Konservative

Die CDU/CSU ist eine der ältesten Parteien Deutschlands. Auch wenn sie nicht eine Historie wie die SPD vorzeigen kann – rechnet man die Zeit des Zentrums mit, kommt sie auf ein stattliches Alter, und ihre Wurzeln reichen bis in die Zeit der Französischen Revolution, in der der Konservatismus überhaupt entstand. Gegründet wurde die Partei an mehreren Orten gleichzeitig im Juni 1945, als Parteien eigentlich noch verboten waren und vereinigte sich bis Ende der 1940er Jahre.

Im Laufe ihrer Geschichte machte sie programmatische Sprünge, die man immer wieder zu vergessen suchen macht. 1947 wurde das Ahlener Programm verabschiedet, das einen christlichen Sozialismus (!) propagierte, bereits zwei Jahre später bekannte man sich in den Düsseldorfer Leitsätzen zur Sozialen Markwirtschaft. Deren Konstrukteur wurde Ludwig Erhard, dem die Geschichte hinreichend Recht vor den planwirtschaftlichen Gegenvorschlägen der SPD gegeben hat, die selbige erst 1957 in Godesberg überwand. Seit dem ersten, denkbar knappen Wahlsieg der bürgerlichen Koalition, der damals noch deutlich mehr Parteien angehörten vor der SPD etablierte sich die CDU als „die“ Regierungspartei der BRD und schluckte bis in die späten 1950er Jahre alle anderen bürgerlichen Parteien mit Ausnahme der FDP. Triumphe wie 1953 und 1957 schienen die Rolle der CDU dauerhaft zu bekräftigen, und anhaltender Erfolg macht träge. Der SPD gelang es aufzuholen und sich als Partei der Jungen und der Intellektuellen zu profilieren. Die Große Koalition wurde von der CDU immer noch angeführt, und die Erwartungen gingen Ende 1969 alle in Richtung Ausbau des Vorsprungs vor der SPD und Fortsetzung der Großen Koalition. Umso überraschender kam der Schlag, dass es mit denkbar knapper Mehrheit (drei Stimmen) zu einer rot-gelben Koalition kam. In den Folgejahren gelang es der CDU nicht, ihren Platz als Oppositionspartei zu finden, sie gebährdete sich, als wäre sie immer noch an der Regierung und versuchte mit aller Macht, Brandt zu stürzen und gleichzeitig konstruktive Regierungsarbeit zu leisten. Das gegenseitige Hochschaukeln der beiden Volksparteien zum Wahlkampf 1972 nach dem Misstrauensvotum gegen Brandt im Bereich der Rentenreform kann als hervorragendes Lehrstück hierzu dienen.

Aggressive Rhetorik war dieser Tage wieder salonfähig, besonders personifiziert durch den Vorsitzenden der Schwesterpartei CSU, Franz Josef Strauß. Niederste Instinkte sollten bedient werden, und die gesamte Klaviatur der Konservativen wurde gespielt, um gegen „die Roten“ mobil zu machen. In jenen Tagen zeigte sich deutlich was mit dem CDU-Leitsatz gemeint war, man wolle rechts von der CDU keine demokratischen Parteien dulden. Völlig offen wurde am rechten Rand nach Stimmen gefischt. Es reichte trotzdem nicht. Erst der Verrat der FDP verhalf der CDU wieder an die Regierung, wo Strauß indessen von Kohl als Heilsbringer abgelöst worden war, der pfälzische Gemütlichkeit mit scharfem politischem Instinkt paarte. 1990 gelang ihm nur aufgrund der Wiedervereinigung die Wiederwahl, und bis 1998 wollten die deutschen Wähler den dicken Mann nicht mehr sehen – er langweilte, und er klebte am Sessel – wie so viele vor ihm. Sein prädestinierter Nachfolger war Wolfgang Schäuble, ein Hardliner und Scharfmacher, der seit einem Attentat querschnittgelähmt ist. Doch wie große Teile der CDU-Riege stolperte dieser über die Spendenaffäre, und in deren Windschatten gelangte Angela Merkel an die Macht – eine grandios unterschätzte Newcomerin aus dem Osten, kaum Erfahrung, aber mit herausragendem politischen Instinkt und einer Skrupellosigkeit gesegnet, wie man sie braucht, um es nach ganz oben zu schaffen. Sie trimmte der CDU das Konservative aus, in dem sie nie heimisch geworden war und schmiedete die Partei zur neoliberalen Reformwaffe um. Seit den überraschenden Landtagssiegen (wo besonders Roland Kochs Unterschriftensammlung gegen die Ausländer eine unrühmliche Rolle spielte) wurde Deutschland wie noch nie von einer informellen Großen Koalition regiert, da die CDU den Bundesrat blockieren konnte. 2002 entging ihr der Sieg nur wegen Oderflut, Irakkrieg und dem Westerwelle’schen Spaßmobil.

Während Merkel konsequent ihre Machtbasis ausbaute und die CDU die Regierung teils blockierte, teils im Verbund mit ihr Reformen durchzwängte, bereitete die politische Stimmung im Land den Boden für die zweite Große Koalition. Im Wahlkampf 2005 zeigte Merkel erneut, dass sie keine echte Politikerin war – der Instinkt war da, aber die Präsentation ging ihr vollkommen ab. Eine Reihe desaströser Fehler rettete der SPD die Wahl. Leider, denn das mutige Konzept der Ehrlichkeit wird damit wohl begraben werden.

Heute steht die CDU vor der Zerreißprobe, die die SPD bereits hinter sich hat. Da mag Merkel von Auftrieb gebenden Flügeln schwadronieren, wie sie will: die Basis murrt. Und die Basis sind die Landesverbände, und die sind konservativ und von der neoliberalen Reformpolitik einer Merkel weiter entfernt als die Erde vom Mond, zusammengehalten nur von den Lippenbekenntnissen und dem gemeinsamen Label „CDU“. Die heilige Kuh der CDU, das christlich fundamentierte Familienbild, schickt sich gerade an von einer kinderlosen, protestantischen Ostfrau und einem Karriereweibchen geschlachtet zu werden. Der Begriff der Sozialen Gerechtigkeit und der Sozialen Marktwirtschaft wurden bis zur Unkenntlichkeit verformt, und vor der EU vertritt Merkel offen eine Verfassung, die sich nicht auf Gott beruft.

Die Geschehnisse um die „Königsmörderin“ Gabriele Pauli, die Stoiber stürzte und nun Polizeischutzes bedarf, weisen auf viele ungelöste Konflikte und das unheilvolle Potenzial markiger Stammtischreden hin. Während die Führungsspitze der CDU sich bereits mit dem einen Fuß in der Zukunft befindet und die Ministerpräsidenten mehr aus Tradition und Küngelei denn aus echter Überzeugung die Bremser und Mahner spielen, verharren große Teile des Basis in einer Zeit christlich unterfütterten Konservatismus, in dem „drüben“ noch der Kommunismus zu bekämpfen und vor der eigenen Haustür die Unruhen der Studenten die heile gutbürgerliche Welt, korrumpiert bis in ihre Grundfesten in ihrer eigenen Verlogenheit bedrohten. Dies lässt sich auch an den sprunghaft-demagogischen Artikeln des CDU-Hausblatts, der „BILD“ ablesen, die auf der einen Seite die neoliberale Reformpolitik mit vollem Einsatz unterstütz und auf der anderen Seite geradezu anachronistisch an konservativen Positionen festhält.

Der innere Widerspalt der CDU ist unübersehbar geworden. Für die wirtschaftlich orientierten Leistungseliten von heute ist die CDU mit ihrer regional verhafteten Funktionärsstruktur trotz aller Reformrhetorik kein Ort. Stammwähler werden durch die neoliberale Reformpolitik vergrätzt und sterben aus, einer alle drei Sekunden. Denn die CDU ist, unübersehbar, eine Partei der Alten, der Nachkriegsgeneration. Der Katholiken. Und der Süddeutschen. Nirgendwo ist das Erfolgsrezept der CDU so offensichtlich zu sehen wie in Baden-Württemberg und Bayern, wo die Kartoffelsackregel greift: hier würde sogar ein Kartoffelsack gewählt werden, so er nur für die CDU antritt.
Dass gerade Baden-Württemberg Vorreiter der neoliberalen Reformpolitik und der Erosion der Werte ist, für die ihre Stammwähler besonders auf dem Land sie unverdrossen wählen, ist dabei kein Widerspruch. Es zeigt auch etwas auf, das tief im Herzen der CDU und ihrer Wähler verborgen ist, dieses latent antidemokratische Element, das sich vor Verantwortung und Wahl, vor dem Nachdenken und Reflektieren fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Ein großer Teil der Anhängerschaft der CDU schätzt unterbewusst jene autoritäre Ausrichtung der Partei, die ihnen aufzeigt, was sie zu tun haben, ihnen verbindliche Leitlinien für ihr Leben setzt und ihnen die Verantwortung abnimmt. Der Aufstieg in der CDU ist extrem berechenbar und hängt von Verbindungen auf Regionalebene ab; Angela Merkel ist der Widerspruch, der in der Feindschaft aller CDU-Oberen Tag für Tag die Regel bestätigt.

Ob die Partei an diesen inneren Widersprüchen zerbrechen wird ist ungewiss. Vermutlich reicht es, sie auszusitzen. Wenn die Reformer auch bei den Wählern gegenüber den traditionellen Konservativen in der Mehrheit sind, löst sich dieser Widerspruch auf biologische Weise. Die Tage als 40%+ Volkspartei sind jedoch gezählt.

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2 Kommentare:

  1. "hier würde sogar ein Kartoffelsack gewählt werden, so er nur für die CDU antritt."

    Naja, immerhins sind's Biokartoffeln ;o).

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  2. Hab leider auf die Schnell keine "echt Deutschen" auftreiben können :D

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