Donnerstag, 14. April 2022

Rezension: Flix - Faust. Der Tragödie erster Teil

 

Flix - Faust. Der Tragödie erster Teil

Ein Graphic Novel bei Reclam? Da kann es sich ja praktisch nur um Hochkultur handeln! Über eine Fortbildung wurde ich auf diese vor rund zehn Jahren erschienene Comic-Adaption des recht unbekannten Dramas Faust des Nischenautors Johann Goethe aufmerksam, der aus unerfindlichen Gründen gerade wieder einmal im Abitur besprochen wird. Aber Scherz beiseite, Comicadapationen (gerne mit dem bildungsbürgerlich tauglicheren Label "Graphic Novel" versehen, das in den meisten Fällen ungefähr so berechtigt ist wie "Premium" auf den Discounter-Eigenmarken) literarischer Klassiker gibt es zuhauf. Die Zielgruppe sind vermutlich wohlmeinende Verwandte und Lehrkräfte, in der irrigen Hoffnung, dass ein Comic den Nachwuchs eher zur klassischen Literatur bewegen möge. Meist handelt es sich dabei um kaum mehr als illustrierte Ausgaben, deren Text zufällig in Sprechblasen drapiert wurde ("Wer die Nachtigall stört" wäre da so ein Kandidat, den ich auch im Regal stehen habe). So die gute Nachricht vorweg: diesen Vorwurf muss sich Flix mit seiner Faust-Adaption nicht machen lassen.

Stattdessen haben wir es hier mit einer eher losen Adaptio zu tun, bei der Faust ein Berliner Künstler ist, der zusammen mit seinem Freund Wagner in einer Mietskaserne lebt und undefiniert unglücklich ist. Zum Glück schließen der christliche Gott und Mephisto auf Arbeit zwischen zwei Ramazotti eine Wette darüber ab, ob Mephisto Faust dazu bringen kann, auf Abwege zu geraten (nicht, dass es mit seiner Treue zu Gottes ohnehin kleiner Stammkundschaft weit her wäre). Nachdem sie aussortieren, dass Gott Faust nicht einfach töten darf, um seine Seele Mephistos Zugriff zu entziehen (clever!), schließt Mephisto sein Bündnis mit Faust, der sein Glück kaum glauben kann: eine Woche lang erfüllt ihm Mephisto jeden Wunsch, ganz kostenlos. Und Faust wollte schon immer die Deutsch-Türkin Margarethe aus dem Gemüseladen gegenüber in die Arme schließen.

Was Flix hier versucht, ist eine Modernisierung des Stoffes, einerseits. Andererseits versucht er eine witzige Geschichte zu erzählen. Und zuletzt soll das Ganze wohl auch Aufschluss über das Deutschland des 21. Jahrhunderts geben, irgendwie.

Die Modernisierung des Stoffes können wir getrost abhaken. Flix nutzt Faust eigentlich nur als Zitate- und Anspielungswiese, damit die einschlägig gebildete Lesendenschaft wissend nicken oder gepflegt lachen kann, wenn die entsprechenden Zitate kommen ("Habe doch nun, ach, Türkisch studiert, durchaus mit heißem Bemühn..."), was zwar gelegentlich für ein Schmunzeln sorgt (Punkte für das Ziel einer witzigen Geschichte), aber mit dem Ursprungsstoff wenig zu tun hat. Klar, Gott und Mephisto schließen eine Wette, aber deren Inhalt hat mit dem Original praktisch nichts zu tun. Zwar erlebt Faust mit Mephisto irgendwelche Abenteuer, aber diese sind bestenfalls "based on true events" und abgesehen von Zitaten und ästhetischen Parallelen mit der Originalhandlung kaum identisch. Auch die Figuren von Wagner (zu ihm gleich mehr) und Margarethe haben mir ihren Originalen effektiv nichts zu tun; der Versuch, den Handlungsstrang der Gretchentragödie umzusetzen, schlägt völlig fehl und endet in völligem cringe, wie die Jugend heute angeblich zu sagen pflegt.

Die gesamte Handlung ist daher erkennbar an Faust angelehnt, weil die Charaktere die entsprechenden Namen tragen und sich hin und wieder willkürlich einige direkte Zitate aus dem Originaltext an den Kopf werfen, aber sie entkernt sie praktisch völlig. Das ist nachvollziehbar, ist doch die spezifische Verankerung derselben im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert gerade eine der Hauptschwierigkeiten, die Schülr*innen im Umgang mit der Lektüre haben. Das Wertesystem, das der gesamten Gretchentragödie zugrunde liegt, ist uns vollkommen fremd; jeder Modernisierungsversuch muss scheitern. Flix' Ansatz, das Ganze in den Deutsch-Türkischen Kontext zu verlagern, macht das nur noch schlimmer. Ja, dass Sex vor der Ehe in diesem Kontext ein größeres Problem darstellt als für den Westberliner Faust macht das Ganze zumindest grundsätzlich logischer, aber es ist dafür voll rassistisch-stereotyper Seitenhiebe (inklusive Zwangsheirat Gretchens mit dem unattraktiven türkischen Cousin, den sie nicht kennt), dass man bei der Lektüre schmerzhaft das Gesicht verzieht.

Viel davon hat mit dem Humor zu tun. Gretchens Mutter etwa verdient ihren Lebensunterhalt damit, das im Großmarkt gekaufte Gemüse mit Bio-Labeln zu bekleben ("die Deutschen kaufen alles, wo Bio draufsteht"). Sie verbietet Gretchen das Ausgehen und kontrolliert ständig, ob sie einen Freund hat, ist aber gleichzeitig wie Gretchen selbst (die sie ständig "Özlem" nennt, weil sie sich ihren Namen nicht merken kann(!!!)) religiös total liberal und weltoffen, um einen Kontrast zu setzen. Dadurch geht aber die komplette Dimension der bürgerlichen Welt und Moral verloren, ebenso wie Kirchenfrömmigkeit, die Gretchen und ihre Mutter ausmachte und die, Stichwort Gretchenfrage, ein zentraler Bestandteil des Dramas sind. Ohne diese Voraussetzungen kann die Gretchentragödie nicht funktionieren. Was macht Flix also? Die Mutter stirbt, weil sie einen Herzinfarkt bekommt, als sie zufällig sieht, wie sich Gretchen (Özlem) und Faust küssen. Bei der Beerdigung rutscht Gretchens Bruder Valentin auf einer Pfandflasche aus und stirbt, weil er sich den Kopf am Grabstein der Mutter aufschlägt. Die Geschmacklosigkeit kennt keine Grenzen.

Wer glaubt, schlimmer als diese Ladung von Islamklischees geht es nicht mehr, muss sich nur Wagner anschauen. Der ist schwarz (weil progressive Werte, nehme ich an) und sitzt im Rollstuhl. Außerdem hat er einen Pudel (intertextuelle Anspielung in 3, 2, 1, ...). Wagner macht Faust permanent ein schlechtes Gewissen und lässt sich von ihm durch die Gegend schieben und fahren und benimmt sich generell wie der hinterletzte Mensch, als wolle er die Prämisse des "Toten Hosen"-Songs, dass auch lesbische schwarze Behinderte ätzend sein können, Seite um Seite belegen. Zwischendurch wird Wagner von Mephisto komplett geheilt und verschwindet dadurch als dramatisches Element weitgehend aus der Geschichte.

Das macht aber nicht viel aus, weil die Geschichte selbst nur ein dünner Vorwand ist, um eine Reihe von Gags aneinanderzureihen, die mal mehr, mal besser funktionieren. Allzu oft funktionieren diese nach Motto von Mario Barth ("Kennste, kennste?") und bestehen kaum mehr aus Anspielungen auf "dieses Ding, das du anderswoher kennst", nach dem leider inzwischen auch ein Großteil der Disney-Produktionen funktioniert. In dem Sinne ist Flix geradezu avantgardistisch. Besser macht das den Band leider nicht. Das generell eher flache Niveau der Gags verhindert daher auch Aussagekraft und Biss. Über die moderne Bundesrepublik wird hier wenig ausgesagt (stattdessen ist die workplace comedy der Szenen im Himmel mit den Ramazottis und langen Pausen eher Boomer-Humor, der merkwürdig deplatziert wirkt).

Was bleibt also? Für den Unterricht ist der Comic (und nein, es ist kein graphic novel) bestenfalls dafür zu gebrauchen, die Schüler*innen erkennen zu lassen, dass Intertextualität noch keine Adaption macht und ihr Verständnis für die Motive und Strukturen des Dramas zu schärfen, indem sie ihre Abwesenheit in der Umsetzung bemerken. Wer das Drama nicht gut kennt, wird auch keine Freude haben, weil die meisten Anspielungen noch flacher aufklatschen als ohnehin. Relevant scheint mir das Ding nur für Leute zu sein, die gerne politisch unkorrekten Humor der harmlosen Sorte mögen, sich bildungsbürgerliche Meriten wenigstens einbilden und die alt genug sind, die abgestandene Chose nicht als solche zu empfinden. Ich bin, falls man das nicht bemerkt hat, kein Fan.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.