Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
Die Kanzlerin hat ihr Bestes gegeben, die Deutschen zur Beachtung der neuen Beschränkungen zu bewegen. Die Frage ist nur, ob ihr Bestes noch ausreicht. Nur eine drastische Kontaktbeschränkung wird die Infektionszahlen wieder sinken lassen, und zwar keine verordnete, sondern eine selbst auferlegte Kontaktbeschränkung jeder und jedes Einzelnen. Doch das Virus ist zwar gefährlich wie am Anfang, es hat sich aber dennoch psychologisch abgenützt. Kein Mensch kann in ständiger Anspannung leben, irgendwann setzt Gewöhnung ein, bei manchen Fatalismus, bei einigen Wurstigkeit, bei nicht wenigen eine durch Vernunftappelle kaum noch einzudämmende Frustration über die triste Gegenwart und die düsteren Aussichten. Die neue exponentielle Bedrohung, das hat exponentielles Wachstum nun mal an sich, ist kaum zu bemerken, bevor sie unabwendbar ist. Rational wäre es, die Zahlen – so abstrakt sie gerade noch wirken mögen – zu begreifen, die Bedrohung ernst zu nehmen und deshalb zu verzichten auf praktisch alles, was das Leben abseits der Pflicht ausmacht. Emotional jedoch ist das auf Dauer kaum erträglich. [...] In Umfragen bestätigen nach wie vor erstaunlich viele Befragte ihre Zustimmung zu den Corona-Beschränkungen, auch darauf hat Angela Merkel auf ihrer Pressekonferenz verwiesen. Umfragen werden das Virus allerdings nicht stoppen. (Stefan Kuzmany, SpiegelOnline)
Generell sind die psychologischen Folgen der Pandemie noch sehr unterbewertet. Die Erschöpfung gegenüber den Einschränkungen gerade bei denen, die sie gewissenhaft befolgen, ist glaube ich einer der größten neuralgischen Punkte. Nicht, weil diese Leute plötzlich zu Corona-Leugnern werden und bei den Demos mitlaufen würden, sondern weil die Erschöpfung, die durch das Einhalten der Maßnahmen und den ständigen Abrieb im Leben mit der Pandemie entsteht, irgendwann nicht mehr tragbar sein wird. Und dann kommen die psychischen Zusammenbrüche, Depressionen und so weiter. Wie generell in der Pandemie ist für diese erwartbaren Probleme keine Vorsorge getroffen worden. Wir stehen einem wahrhaft düsteren Winter gegenüber.
2) Ant-Man as a metaphor for the modern professor
In Marvel comics and movies, Ant-Man is a super-hero who can change his size using a special suit and “Pym particles.” When giant, he’s…giant. But when he’s tiny he keeps the same density as a regular human, giving him the ability to lift and move things much bigger than his insect size. The idea of shrinking in size but having to shoulder the same–or greater–burden resonated with me, and in a way feels like a metaphor for the modern professor. [...] Of course, that’s not how it works, as I soon found out. Most of these administrative offices didn’t really reduce my work, they added to it. Instead of being in charge of my class procedures and requirements, I had to negotiate with offices trying to make it easier for students who fell behind. When a student needed a note taker, I had to recruit one from the class. I’ve even heard stories of professors having to carry special chairs to and from class because of student accommodations. I don’t have an issue with any of these steps to help students. I am not qualified to determine what accommodations students need, and am happy to let experts decide. I do get frustrated, however, that the offices meant to handle them often just add extra work for professors instead of taking care of these things themselves. (Peter Henne, Duck of Minerva)
Was Henne hier für die Universitäten darstellt gilt für uns Lehrende im Schulbereich ebenso. Eines der großen Probleme, was ich in meinem Artikel zum Lehrendenberuf ja auch beschrieben habe, ist die ständige, inkrementelle Zunahme an Nebentätigkeiten, die auf das Kerngeschäft aufgeladen bin. Gerade darf ich mich etwa als EDV-Techniker ausprobieren und Office-Probleme der SchülerInnen troubleshooten. Das kann ich nicht wirklich gut, entsprechend lange brauche ich dafür. Das ist völliger Quatsch, das braucht eigentlich eine qualifizierte Stelle für so was. Der Tag ist voll mit diesem Blödsinn.
Dass sich die Rechnung auch für den Staat als Arbeitgeber wirklich lohnt, ist inzwischen aber mehr als zweifelhaft. Beamte sind teuer, und zwar insbesondere dann, wenn die Staatsdiener schon gar nicht mehr arbeiten, sondern ihren Ruhestand genießen. Denn für die Pensionen steht der Staat gerade. [...] Nun sind die Pensionen keine unverdienten Sonderprämien, sondern über ein Arbeitsleben hinweg erworben und verdient. Umso mehr muss man sich fragen, ob wirklich so viele Aufgaben des Staates mit einem hoheitlichen Beamtenstatus einhergehen müssen – mit den entsprechenden Folgerisiken für die Staatsfinanzen. Braucht es das für den Lehrerberuf, für eine Hochschul-Professur oder eine Karriere beim Zoll? Beamte sollen „hoheitliche Staatsaufgaben“ wahrnehmen. Doch was „hoheitliche Aufgaben“ sind, werde zunehmend mit Blick auf den klammen Haushalt definiert, monieren Kritiker. Beispiel Lehrer. Dort, wo die Kassenlage angespannt ist – also in allen Bundesländern –, wird auf die Verbeamtung von Lehrern mittlerweile großzügig verzichtet. Stattdessen vergibt der Staat Angestelltenverträge, häufig in Form kurzfristiger Anstellungen, oft nur von Schuljahr zu Schuljahr. Das spart Geld. Vergessen sind die vielbeschworenen „hoheitlichen Aufgaben“ des Lehrerberufs. Stattdessen ist eine Zweiklassenzunft mit ungleicher Bezahlung für gleiche Arbeit und einseitigen Privilegien entstanden. Das ist Gift für das Betriebsklima im Lehrerzimmer. Grundsätzlich aber ist der Wandel richtig. Lehrer werden gebraucht, aber sie müssen keine Beamten sein. Sie sollten vielmehr grundsätzlich nach Angestelltentarif entlohnt werden und entsprechend auch in die Rentenkasse einzahlen. Schließlich sind 60 Prozent der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst keine Beamten – und trotzdem bekommt man zuverlässig Steuerbescheide und Strafzettel, Schulzeugnisse und Sozialhilfe. (Helmut Ortner, Salonkolumnisten)
Wäre ich Beamter an einer staatlichen Schule, betrüge mein Einstiegsgehalt (!) 3704,81€ NETTO im Monat. Um das im Öffentlichen Dienst zu erreichen, müsste ich ein Brutto-Jahresgehalt von 77.683,08€ bekommen. Einstiegsgehalt. Darin ist weder die 50% Beihilfe zur PKV enthalten - ich rechne mit freiwilliger gesetzlicher Versicherung, für die Vergleichbarkeit - noch die Pensionszusagen. Diese belaufen sich auf jeweils noch einmal etwa 900 Euro im Monat, die der Arbeitgeber zahlen müsste. Um also als Angestellter auf dasselbe Lohnniveau zu kommen wie ein Beamter, müsste der Staat mir ein EINSTIEGSGEHALT von 88.483,08€ brutto bezahlen. Ich verzichte darauf auszurechnen, wie es am Ende der Laufbahn aussehen würde, mir steigen schon so Tränen in die Augen. Vor diesem Hintergrund davon zu reden, es "lohne" sich für den Staat nicht, lässt nur einen Schluss zu: der Autor will das Gehalt der Lehrenden drastisch kürzen.
Das ist nicht ohne Beispiel, denn die im Artikel genannten Bundesländer, die auf die Verbeamtung verzichten, machen genau das, ebenso wie die Länder, die zwar verbeamten, aber auch angestellte Lehrende haben. Diese verdienen übrigens in Baden-Württemberg als Einstiegsgehalt 4.623,89€ im Monat, brutto. Das macht im Jahr 55.486,68€. Zugegebenermaßen gibt das Land diesen Angestellten einen Hebel auf die GRV, um das Niveau der Pensionen zu erreichen, weswegen wir wie oben rund 600€ im Monat auf das Brutto aufschlagen können, für ein Gesamt 62.686,68€. Da fehlen immer noch über 20.000€ im Jahr. Und klar kann ich sagen "wir kürzen die Lehrendengehälter entsprechend". Danach kann ich mich auch darüber wundern, warum diese Bundesländer riesige Probleme mit der Lehrendenversorgung haben. Aber besonders überraschend kann das für jeden, der sich die Zahlen einmal angeschaut hat, kaum sein.
4) How The Right Can Organize Like The Left
It turns out that inspiring ideas aren’t useful unless you train people in the mechanics of building power. That’s not what we do. As conservatives, we have trained ourselves to elect politicians, who are seemingly allergic to passing legislation, or to be pundits, who have no actual power. State power is the only kind of power conservatives have taught their people how to understand, and when we gain it, tut-tutting conservative elites argue it is immoral to use. At some point in the last 40 years, the conservative movement should have taught us to exercise power in ways that don’t involve the state. This is what leftists do. They actively train people to create effective pressure movements that coerce compliance with their demands. The response of conservatives to this coercion is to double down on—the importance of ideas. [...] Republican voters don’t want YouTube videos or pugnacious tweets from their elected officials. We can produce those on our own, thanks. What we want is material effect. If you’re an officeholder, and you’re not willing to materially help your allies and materially hurt your enemies, there’s really not any point of you being there. For an idea of how conservative politicians have shirked this part of their job, consider this: pro-life protestors are a rare exception to the right’s inability to form a crowd the way lefties do. So why don’t we take a cue from leftist tactics and peacefully occupy abortion clinics? Because when the Democrats controlled Congress and the White House, they made doing so a federal felony. That’s actual material loss. (David Hines, The American Conservative)
Besonders angesichts des Wahlausgangs ist es etwas merkwürdig zu lesen, die Rechte solle sich an der Linken ein Beispiel nehmen, was das Organisieren angeht, schließlich war sie da in dieser Wahl deutlich erfolgreicher als ihre Kontrahenten. Aber wenn man sich anschaut, was Hines dann als den Vorteil der Linken beschreibt, kann man sich nur verwundert am Kopf kratzen. Sie gewinnt Wahlen, weil sie durch Druck eine Akzeptanz ihrer Ideen erzeugt?
Auf der anderen Seite sehe ich deutlich eher, was er bemängelt, wenn es um Aktivismus geht. Tatsächlich ist die Abtreibungsbewegung die einzige genuine grassroots-Bewegung, die die Rechten in den USA haben (vielleicht noch die Waffenlobby, aber die ist so krass durch die gewerbemäßigen Lobbyisten durchsetzt dass das schwer zu trennen ist). Da können die Linken viel mehr, von #BLM zu #MeToo. Die Antwort darauf ist aber recht einfach: die Linken haben halt Mehrheiten, die Rechten nicht. In dem Moment, in dem die GOP populäre Politiken fordern würde, hätten sie auch größere Unterstützermengen auf den Straßen.
In den vergangenen Jahren gab es in Polen immer wieder Gesetzesinitiativen zur Verschärfung des Abtreibungsrechts, wie Anna Rakowska-Trela ausgeführt hat. Keiner der Vorschläge wurde letztlich Gesetz. Was dem positiven Gesetzgeber politisch nicht gelungen ist, hat nun der negative Gesetzgeber durchgesetzt. [...] Das Urteil wurde also gesprochen. Plötzlich begannen aber massive Proteste dagegen. PiS hat bestimmt nicht damit gerechnet, dass die Demonstrationen der letzten zwei Wochen sie fast zehn Prozentpunkte in den Umfragen kosten würden. Selbst viele PiS-Anhänger sind gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts in der vom Verfassungsgericht servierten Form und bei der Regierungspartei läuten wegen der auf einmal steil fallenden Umfragewerte die Alarmglocken. Das Urteil wird also zum Problem für die Regierungslager und man zerbricht sich jetzt den Kopf darüber, wie damit umzugehen ist. Auf einmal wird vorgeschlagen, den Richterspruch zu ignorieren. Ein anderer Ansatz bringt Staatspräsident Duda ins Spiel und schlägt ein Gesetz vor, das bestimmte schwere Defekte des Fötus im Abtreibungsgesetz nennen soll, die eine Abtreibung trotz des Urteils zulassen würden. Egal auf welche Lösung sich die PiS verständigt, die Autorität des Verfassungsgerichts wird untergraben. Die Regierung möchte jetzt einfach so tun, als sei nichts passiert und das Urteil gar nicht oder verspätet veröffentlichen. Das hatte sie schließlich schon 2015 mit dem Urteil über die verfassungswidrige Neubesetzung des Verfassungsgerichts so gemacht. Das Urteil steht nicht im Gesetzesblatt und hat deswegen keine allgemeinbindende Kraft, führte die Regierung damals aus. Aber kann man auch mit dem „eigenem“ Gericht so umgehen? Die Regierung kann das Urteil nicht einfach als „eine Meinung von ein paar Richtern“ abtun, wie sie das nach dem Urteil über die verfassungswidrige Ernennung von fünf statt zwei Richtern getan hat. (Jan Muszynski, Verfassungsblog)
Es ist immer wieder spannend und ermutigend zu sehen, wenn die zivilgesellschaftlichen Mechanismen einen unvorhergesehenen backlash gegen autoritäre Maßnahmen erzeugen. Die Ironie, dass die PiS-Regierung darüber nachdenkt, das so mühsam in ihrem Sinne gleichgeschaltete Verfassungsgericht zu ignorieren, weil seine klare parteipolitische Instrumentalisierung und Unpopularität ihr nun Probleme zu machen, ist fast zu schön um wahr zu sein. Die Hoffnung wäre, dass dieser judikative overreach auch in anderen Ländern, etwa beim SCOTUS der USA, zu einer entsprechenden Reaktion führen würde.
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