Dienstag, 3. November 2020

Ist der Ruf erst ruiniert...


In der seit Jahren nicht endenden Eskalationsspirale, in der die Republicans Normen brechen und die Grenzen des Möglichen immer weiter verschieben, haben sie diese Woche Amy Barett als Richterin am Supreme Court im Amt bestätigt. Nur Tage vor dem Wahltermin, mit zahllosen Ankündigungen, den Supreme Court als Waffe im Kampf gegen ein unerwünschtes Wahlergebnis nutzen zu wollen und nach dem Diebstahl von Merrick Garlands SCOTUS-Sitz 2016 hat diese Tat den allermeisten Beobachtenden und Politiktreibenden endgültig deutlich gemacht, was LeserInnen dieses Blogs bereits seit Jahren wissen: Die Republicans sind keine demokratische Partei mehr, sie handeln in bad faith, und der einzige Weg sie aufzuhalten ist, ebenfalls hardball zu spielen.

Das ist kein Problem, das in einer Person konzentrierbar wäre. Donald Trump hat es weder geschaffen noch verkörpert er es alleine. Der pathologische Lügner ist nicht einmal ein sonderlich gutes Aushängeschild dafür. Stattdessen sind es die republikanischen Abgeordneten, die Parteifunktionäre. Sie mögen Trump nicht, und er mag sie nicht. Beide Seiten glauben, von ihrem Gegenüber Nutzen ziehen zu können, mehr, als der jeweilige Gegenpart aus ihnen selbst bekommt. Jonathan Chait beschreibt das in seinem Artikel "Even If Trump Loses, Republicans’ Authoritarian Ambitions Will Live On":

One passage that stands out from the story four years later is a line uttered by Ed Conard, an investor, an American Enterprise Institute fellow, a Fox Business channel commentator, and the author of The Upside of Inequality — which is to say, an anthropologically perfect specimen of the modern plutocrat. At a gathering of wealthy Republicans, he pondered the challenge posed to the party by Trump’s rise, asking his audience, “So the question is: How do we build a coalition with displaced workers like we did with the religious right after Roe v. Wade and which we used to lower the marginal tax rate from 70 percent to 28 percent … and that leaves us in control, us being advocates of free enterprise, in control of the coalition?” He decided to shock his audience with some bracing candor for what this would entail: “The answer, I believe, is tough, and perhaps even odious, compromises.” Odious compromises have certainly been abundant in the past four years. While Trump’s deal-making skills have been poor, he did strike one important bargain that he never talks about: He ceded control of domestic policy to congressional Republicans in return for carte blanche to engage in a spate of Nixonian crimes. He has fired or neutered inspectors general, made congressional oversight a dead letter, installed loyalists to run crucial agencies, and mostly erased the once rigidly enforced distinction between official government functions and political propaganda. (Jonathan Chait, New York Magazine)

Noch ist unklar, welche der beiden Seiten am Ende Recht behält - oder ob sie sich gar, wie man hoffen darf, gegenseitig in den Abgrund zerren. Gänzlich unwahrscheinlich ist das nicht. Wir hatten bereits im letzten Vermischten in Fundstück 5 beschrieben, dass die Politik der Republicans wahnsinnig unpopulär ist. Jetzt, wo sie ihre Ziele erreicht haben, sind sie noch offener als ohnehin. Es gibt natürlich keine empirische Studie dazu, aber die Häufung solcher offener Aussagen in den Tagen seit der Bestätigung Amy Baretts ist auffällig. Ein Beispiel:

Es ist nach wie vor faszinierend, wie McConnell sich als schierer Hollywood-Bösewicht geriert. Da würde man jemanden wie Hugo Weaving beschuldigen, es doch ein wenig zu übertreiben. Es ist aber, und hier kommt die Hoffnung auf einen beiderseitigen Sturz in den Abgrund wieder ins Spiel, auffällig, dass nicht nur die GOP und ihre Politik unglaublich unpopulär sind, sondern auch die Person Trumps selbst. Und ich rede hier nicht vom progressiven Jetset der Woke-Coastal-Elites. Es sind genau die Leute, die letztes Mal den Ausschlag gaben, die Trump in Scharen verlassen, wie die New York Times zu berichten weiß:

Mr. Trump’s exploitation of resentments over immigration and race was widely credited with fueling his upset victory in 2016, but similar tactics this time have not had the same effect. The president has so far failed to reassemble his coalition of white voters without a college degree across the Northern battleground states, and polls show that many white voters have been repelled by his handling of race, criminal justice and recent protests. The decrease in racial polarization defies the expectations of many analysts, who believed a campaign focused on appeals to issues like Black Lives Matter or “law and order” would do the opposite. It may also upset the hopes of some activists on the left who viewed an embrace of more progressive policies on race as a way to help Democrats carve a new path to the presidency. This path would have been powered by overwhelming support from nonwhite voters, reducing the need to cater to the more conservative white voters who backed Mr. Trump four years ago. Instead, Mr. Biden leads because of gains among those very voters.

Und wir reden hier nicht einfach nur von "weißen Wählern". Ich verzichte hier bewusst auf das Gendern. Denn die blaue Welle von 2018 wurde von dem endgültigen Wechsel der weiblichen Wählenden, gerade auch der weißen Frauen aus den Vorstädten, die seit der Erringung des Wahlrechts verlässlich konservativ gewählt hatten, bestimmt. Gibt es 2020 eine weitere blaue Welle, so wird sie von den Leuten kommen, die Trumps unwahrscheinlichen Sieg von 2016 ermöglicht haben: weiße Männer.

Among men, Trump won by 11 points in 2016. This year he’s likely to lose them by 4 points. That’s an astonishing 15-point drop. It’s among men that he’s truly cratered. And this has happened across nearly all demographic and racial groups. (Kevin Drum in Mother Jones)

Die Gründe für diese Wechsel sind aus einfachen Wahlpräferenz-Umfragen nur schwer zu erahnen. Wie wir aus der Politikwissenschaft aber wissen, richten die meisten Wählenden ihr Wahlverhalten an den politischen Vorbildern aus, denen sie sich zugehörig fühlen: Parteien, JournalistInnen, AktivistInnen, etc. Und unter diesen Leuten hat das Verhalten der GOP vor allem in diesem Jahr zu einem massiven Umschwung, einer Radikalisierung geführt. Die Nominierung Baretts war für viele der Strohhalm, der den Rücken des Kamels brach, um das Sprichwort einmal krude einzudeutschen:


Oder hier:

Das sind Leute, über die ich mich seit Jahren fürchterlich aufrege, weil ihr ständiger Mittelweg den Republicans das Zerstören so vieler Normen, das Erreichen so vieler Erfolge ermöglicht hat. Bothsiderismus und ein zwanghafter Versuch, sich irgendwie mittig zu positionieren, kennzeichnete die zentrale Identität dieser Leute. Es muss echt was passieren, um sie über die Linie zu schubsen. Und das ist passiert. Man sehe sich etwa Jonathan Swan an, der Ted Cruz im Interview geradezu bekniet ihn doch bitte, bitte wie immer anzulügen:

Aber Ted Cruz tut das einfach nicht. Klar, sagt er, wenn ein Democrat gewählt wird, dann ist das Haushaltsdefizit für uns wichtig. Vorher nicht. Er sagt es Swan offen ins Gesicht, und der Mann kann es nicht verstehen. Um ihn herum bricht eine illusionäre Welt zusammen. Die Idee, dass sie, die ehrenhaften, objektiven, stets bemühten JournalistInnen einfach so angelogen werden könnten, dass man ihnen den Respekt, den sie gewerbsmäßigen Lügnern und Betrügern, den sie Autokraten und Verbrechern entgegenbrachten, nicht erwidert, sondern ihnen quasi lachend ins Gesicht zurückwirft - die war völlig außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Es hat vier Jahre gedauert, in denen sie angelogen, lächerlich gemacht, bei jeder Gelegenheit missbraucht wurden. Aber etwas ist ihnen gebrochen. Nicht einmal mehr eine republikanische Hauspostille wie das Wall Street Journal war mehr bereit, die offensichtlichen Lügen der Trump-Administration zu drucken:

Es brauchte ein drittklassiges Schmierblatt wie die New York Post - ungefähr auf einem Level wie die B.Z. -, um die Story überhaupt unterzubringen. Für die amerikanische Prawda-Redaktion von FOX News reichte das dann aus, aber nicht für das Wall Street Journal, nicht für die New York Times, nicht für CNN. Waren sie 2016 noch allzu bereit, Hillary Clinton mit all dem Schmutz zu überziehen, den die republikanischen Spin-Doktoren ihnen kübelweise bereitstellten und sich zu Handlangern zu machen, ist es nun zu viel. Ich weiß nicht, warum es ausgerechnet Amy Barett war, die das Fass zum Überlaufen brachte. Aber übergelaufen ist es.

Das heißt nicht, dass Trump keine UnterstützerInnen mehr hätte oder die Wahl zwingend verlieren wird. Es gibt immer noch genügend Menschen, die ihr Kreuz bei diesem Monster machen. Einige tun es aus Überzeugung; aber mehr als 20, vielleicht 30% der amerikanischen Bevölkerung sind das nicht. Der Rest kommt vielmehr aus solchen Motivationen:


Es ist, wie Jet Heer schreibt, alles erstunken und erlogen:

Oder nehmen wir diese beiden Beispiele aus dem American Conservative, der nicht müde wird zu betonen, wie schrecklich Donald Trump doch als Mensch ist und dass man keinesfalls, keinesfalls! irgendwie etwas mit ihm gemein habe:

Vote For The Good Dad This NovemberThis Election Isn’t Just Binary, It’s Existential

One campaign slogan might be “Get your act together, do something worthwhile with your life,” Peterson suggested. Perhaps not much of a speechwriter, the professor did stress that young people “hunger” for that sort of message. “The more responsibility you take on, the more meaning your life has, and the higher degree of responsibility that you agree voluntarily to try to bear, the richer your life will be, and no one’s ever told that,” he said. Whether this is a winning strategy or not may be determined in the outcome of the 2020 election. The funny thing about Trump is that he’s probably no one’s ideal anything, but as an outsider president, he is closer to that standard than any president since Ronald Reagan a generation ago. How much of that stirs the American people to select their next leader may be incalculable, but so is the value of a fatherly leader to a nation in dire need of hope and a new direction. (Nick Hankoff, The American Conservative)

America is on the ballot this election. Vote for the Republicans if you love your country. Vote for the Democrats if you’d rather see it burn to the ground. [...] It’s tempting to dismiss this contrast as hyperbole, and say Klingenstein is simply being a partisan, or a conspiracy theorist, or both. But, unfortunately, the more you listen to what left-wing activists say to each other when they aren’t actively gaslighting the public, the more and more his argument is proven true. It is now clear that the vast majority of the Left truly does believe that the American system is rotten to its core, and needs to be done away with entirely. Look no further than the 1619 Project and Black Lives Matter. (Jon Schweppe, The American Conservative) 

Ich habe diese beiden Artikel vor allem deswegen hier verlinkt, weil sie so ungeheuerlich abwegig sind. Für diese Gruppe von ideologischen Fanatikern ist völlig irrelevant, wen die Democrats aufstellen. Sie gerieren sich gerne als kritisch, aber am Ende wählen sie Republican. Die Erklärung, warum Trump doch nicht so schlimm ist, wird aufgepropft. Der Schluss ist, dass man Biden nicht wählen kann. Warum das so ist, wird nach Tageslage entschieden. Der Schluss aber steht von Anfang an fest. Bei einem Kandidaten wie Trump ist die Begründung dann entsprechend bescheuert, weil man seine eigene Logik so sehr verknoten muss. Aber geknotet wird. Noch viel wirrer ist dieser Artikel, nur um ein weiteres Beispiel dieses ekligen Genres zu bieten.

Letztlich steht und fällt der Erfolg der Autokraten damit, dass sie HelferInnen im gesamten System haben. Es braucht BürokratInnen, die menschenrechtsverletzende Anordnungen umsetzen. Es braucht RichterInnen, die dem Diebstahl von Stimmen ihren Segen geben. Es braucht PolizistInnen, die bereit sind, auf Demonstrierende einzuschlagen. Es braucht UnternehmerInnen, die bereit sind, Millionen dafür zu spenden, dass das Klima zerstört wird. Es braucht JournalistInnen, die bereit sind, all das als Teil des demokratischen Meinungsstreits zu legitimieren.

Es ist ein hoffnungsvolles Signal, dass die Republicans gerade einen Teil dieser Leute verlieren. Ich bin skeptisch, dass das über den Wahlabend hinaus anhalten wird. Aber wenn Trump und die GOP die Wahl verlieren - und oh, Bitte, das müssen sie!  - dann haben wir die Hoffnung, dass es ausreichen wird und ein Heilungsprozess einsetzen kann. Die Alternative wäre katastrophal. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.