Nachdem ich im ersten Teil dieser Artikelserie vor allem einige erste Fakten dargelegt und daraus Fragen abgeleitet habe, möchte ich nun zu den Punkten kommen, aus denen wir Lehren ziehen können. Ich möchte dabei eine Metrik nutzen, die sehr subjektiv ist, aber da solche Aufstellungen ohnehin subjektiv sind, dachte ich, ich mache mich einfach direkt ehrlich. Ich unterteile die Lehren in die Dinge, die mich überrascht haben, die Dinge, die ich vorher einfach nicht auf dem Radar hatte, auch wenn sie nicht überraschend sind, und die Dinge, die mir schon klar waren und von denen ich hoffe, dass sie endlich akzeptiert werden. Die geneigte Leserschaft mag die jeweiligen Teile anders einordnen und bewerten. Dafür wäre dann die Kommentarspalte offen :)
Was mich überrascht hat
In diesem Wahlkampf hatten die Democrats deutlich mehr Geld zur Verfügung als ihre republikanischen Gegner. Daraus sollte man nicht die abgeleierte Botschaft ablesen, dass Wahlen gekauft werden; wer gewinnt, bekommt mehr Wahlspenden. Auch Obama hatte mehr Geld als seine Herausforderer. Unangenehm ist, dass die Democrats ihren Geldvorteil nicht wirklich nutzen konnten. Dies mag zum Teil daran gelegen haben, dass das Geld als Spendentusanmi mit dem Tod Ruth Bader Ginsburgs kam und deswegen nicht mehr effektiv genutzt werden konnte. Es lag gewissermaßen herum. Und obwohl sie mehr Geld für Werbung hatten, haben sie keine Botschaft senden können. Es gab keine eindeutige Botschaft.
Das war bereits 2016 ein Problem gewesen, als man Hillary Clinton heftig dafür kritisiert hat. Aber da Biden dieses Jahr gewonnen hat (und er zudem nicht Hillary Clinton ist) steht nicht zu erwarten, dass er sich ähnliche Kritik wird anhören müssen. Das klingt etwas zynischer, als es gemeint ist, denn der Mangel an einer eindeutigen Botschaft von Team Blau ist ein klarer Nachteil der offensichtlich gewählten Biden-Strategie. Wir Deutschen kennen das. Angela Merkel gewann auch Wahl um Wahl, aber ohne eine Botschaft außer "Sie kennen mich", was zugegebenermaßen sehr gut funktionierte, aber eben gleichzeitig auch nicht gerade inspirierend war. Das ist okay, wenn man gegen Gegner antritt, gegen die man nicht unbedingt Inspiration braucht, mag aber in Zukunft ein Problem darstellen.
Vor allem stellte es für die finanziell zwar gut ausgestatteten, aber insgesamt eben ohne ein packendes Narrativ antretenden demokratischen KandidatInnen für den Kongress und die bundesstaatlichen und in der föderalen Hierarchie tiefer liegenden Ämter ein Problem dar. Ihre republikanischen GegnerInnen können sich immer darauf verlassen, dass das Standardrepertoire der republikanischen Identitätspolitik - culture war, Waffen, Christentum, Abtreibungsgegnerschaft - die Basis schon mobilisieren wird. Aber den Democrats fehlt so eine "one size fits all"-Botschaft, wie wir später auch noch sehen werden. Das ist Fluch und Segen für die Partei zugleich.
Ebenfalls überraschend ist das Ausmaß, das man dem Bündnis Trumps mit Paul Ryan zu Beginn seiner Präsidentschaft als Grundstein für seine Niederlage zugestehen darf, zumindest wenn man dem New York Review of Books folgen will. Denn die krassen Steuersenkungen für die reiche Elite und, vor allem, der Versuch Obamacare abzuschaffen haben gerade im Angesicht der Covid-Krise wohl mitgeholfen, einige derjenigen WählerInnen wieder ins demokratische Lager zu ziehen, die in der Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Situation den orangenen Rattenfänger gewählt hatten.
Für mich völlig unerwartet war die Wahlkampfstrategie, die Trump wählen würde, nämlich das Dauerbrennerthema "Immigration" praktisch völlig fallenzulassen. Sowohl 2016 als auch 2018 (und natürlich in den Wahlen zuvor ebenfalls, wie der "Obduktionsreport" der GOP nach der verlorenen Wahl 2012 deutlich zeigte, aber wir konzentrieren uns auf die Ära Trump), kostete dieses die GOP Stimmen bei den Latinos. Der ausufernde, offene Rassismus tat sein Übriges, die Schwarzen ins Lager der Democrats zu treiben.
Was mich überrascht ist weniger dass das der Fall war - eher, wie viele dieser Gruppen immer noch bereit waren, die GOP zu wählen - sondern wie effektiv es war, nur ein halbes Jahr auf allzu krassen Hass zu verzichten, dass große Teile dieser Gruppen bereit waren, das zu vergessen und das Lager zu wechseln. Im dritten Teil der Artikelserie werden wie die Konsequenzen dieser Erkenntnis noch thematisieren, aber es sind keine guten Nachrichten für die Democrats und erst recht nicht für die "demographics as destiny"-Apologeten, deren Voraussagen seit mittlerweile 20 Jahren nicht eintreffen wollen.
Denn eine deutliche Lehre aus diesen Zahlen, die an den Republicans sicherlich nicht vorbeigehen wird, ist das gewaltige Potenzial, das der richtige Kandidat für sie hier haben kann. Man stelle sich einen schwarzen social conservative aus den Südstaaten vor, der kein kompletter Clown wie Herman Cain oder Ben Carson ist, sondern seriös und mit Kompetenz und Ruhe für die Partei kandidiert. Das dürfte für diverse Strategen der Democrats ein absolutes Horrorszenario sein. Es ist hauptsächlich der Rassismus der Partei, der die GOP gerade davon abhält, auf dieses Pferd zu setzen.
Ein anderes Thema ist die Bedeutungslosigkeit der Never-Trumpers. Als der Wahlkampf begann, war sich sehr skeptisch gegenüber Max Boot, Tom Nichols, Rick Wilson und den anderen Never-Trumpers, die sich zum "Lincoln Project" zusammenschlossen. Aber praktisch meine komplette progressive Bekanntschaft versicherte mir, dass sie einerseits wertvolle Verbündete und andererseits effektiv seien, und bei Gott, die Leute konnten gute Memes produzieren. Leider war meine initiale, dann aber über Bord geworfene Skepsis berechtigt gewesen. So wie es aussieht, waren die Never-Trumpers eine insgesamt recht bedeutungslose Kraft. Vielleicht täuscht das auch noch, aber es wäre nicht verwunderlich. Schließlich hat Joe Lieberman den Republicans auch nicht eben gewaltige Gewinne beschert.
Ebenfalls unter die Rubrik "hätte man wissen können" fällt die simple Rechnung, dass die Wahlbeteiligung zu erhöhen und das Wählen einfacher zu machen den Stimmenanteil BEIDER Seiten erhöht. Aber der offene Krieg, den die Republicans führten um das Wählen so schwer wie irgendwie möglich zu machen, verhehlte dieses Fakt. Es dürfte stark dazu beigetragen haben, dass die Wahl eine doppelte Welle wurde, wie wir im ersten Teil der Artikelserie gesehen haben. Natürlich gewinnen die Democrats insgesamt, einfach, weil sie die Mehrheitspartei in diesem Land sind. Aber die Verhältnisse ändern sich dadurch nicht großartig, zumindest bei weitem nicht in dem Ausmaß, wie Progressive erwartet und conservatives befürchtet haben.
Wie immer liegt auch bei den voter-suppression-Maßnahmen der Teufel im Detail. Denn die Republicans, was auch man sonst über diesen verkommenen Haufen sagen mag, sind gut in dem, was sie tun. Wer daran nach Project REDMAP noch Zweifel hegt, dem ist nicht zu helfen. Deren Maßnahmen nämlich mögen zwar gelegentlich mit dem arg breiten Pinsel malen, vor allem dort, wo Trumps Leute am Werk sind (die überwiegend grotesk inkompetent sind), aber wo Mitch McConnells Hand hinfällt, dort ist dämonische Kompetenz zugange. In vielen Counties und Bundesstaaten und sind die Ergebnisse sehr knapp, und strategische Wahlunterdrückung dort wirkt Wunder. Die Maßnahmen der Democrats dagegen sind - weil die Democrats die Guten sind - in den ganzen USA gültig. A rising tide lifts all boats.
Eine letzte Überraschung bereitete mir die Nachwahlanalyse von Branko Milanovic. Ich bin noch nicht sicher, ob ich diese Analysen teile, aber sie sind in jedem Fall nachdenkenswert und haben mich zum Grübeln gebracht, weswegen ich sie an dieser Stelle kommentarlos teilen möchte:
Trump tore off the curtain which divides citizens, the spectators of the political game, from the rulers and displayed the wheeling-dealing, exchange of favors, the use of public power for private gain in an open, in-your-face manner, available for all who attended the show to see. While in the past administrations such illegal and semi-legal actions, as receiving money from foreign potentates, moving from one to another lucrative position, cheating on taxes were done with discretion and some decorum, with the curtain lowered so that spectators could not see and participate in the malfeasance, this was now done in the open. It was thus thanks to Trump that we could see the immense corruption lying at the heart of the political process.
Und:
Thus from knowing more about Trump we know more about the means used to succeed in the rich business milieu of New York, and even of the world, as Trump and his companions, made deals in Scotland, Russia, the Middle East, China and elsewhere. His close confidantes and family members who betrayed him in order to garner multi-million dollar contracts exhibited a behavior that Trump himself would have done (and approved of) but that showed clearly what kind of ethical standards are prevalent in that environment. Trump thus gave us another very valuable lesson: it showed the rot, corruption and impunity that lay at the heart of many powerful businesses.
Was macht ihr daraus?
Was ich nicht auf dem Radar hatte
Damit sind wir bei den Punkten, die ich zwar nicht überraschend finde, an die ich aber schlicht nicht wirklich gedacht habe und die von daher eher Ergänzungen bestehender Überlegungen sind. Legen wir los!
Das erste ist: Wahlkampfkosten und Wahlbeteiligung korrelieren deutlich. Der Wahlkampf 2016 hatte ja bereits Kostenrekorde aufgestellt, aber 2020 hat das nochmal um 160% gesteigert! Die Wahlkampfkosten sind damit in den vergangenen zehn Jahren förmlich explodiert. Das ist kein Zufall, denn die Regelung von John Roberts, dem Vorsitzenden des Supreme Court von 2010 (Citizens United), dass Geld eine Form der Meinungsäußerung und damit vom ersten Verfassungszusatz geschützt sei (ein völlig absurdes Urteil) hat alle Schleusen geöffnet. Seitdem kennt das nur eine Entwicklung: nach oben Zum Glück ist es den Democrats entgegen mancher auch von mir geäußerter Unkenrufe gelungen, in diesem Rüstungswettlauf nicht abgehängt zu werden, unter anderem deswegen, weil Obama und noch mehr Bernie Sanders das Einsammeln von Kleinstspenden von Millionen BürgerInnen zu einer hohen Kunst entwickelt und so die Millionenspenden der Umweltverpester und ArbeiterInnenunterdrücker, die traditionell die GOP finanzieren, ausgleichen können.
Ein anderer Punkt ist, dass in ländlichen Gegenden rechtsextreme Medien deutlich stärker dominieren, als man das gemeinhin auf dem Schirm hat. Gleichzeitig gehen dort die WählerInnenzahlen für Trump und die GOP in die Höhe. Wir reden hier nicht von FOX News, sondern von einer Reihe von low-budget-Sendern, die oftmals nur in bestimmten Regionen vertreten sind. John Oliver hat da zwei gute Erklärvideos dazu (einmal über OAN und einmal über die Sinclair Group), die das Phänomen aufgreifen. Das gilt auch und besonders für ländliche Gegenden, die von Latinos bewohnt werden. Wie groß die Kausalität zwischen dem Vormarsch dieser Sender und den Gewinnen bei den Latinos ist, bleibt noch zu untersuchen, aber null wird sie sicherlich nicht sein. Irgendwie muss diesem Vormarsch extremistischer Medien Einhalt geboten werden, gegen die FOX News seriös aussieht. Nur wie das in den völlig zerstörten regionalen Medienmärkten funktionieren soll, ist unklar.
Etwas, über dessen Anwesenheit in dieser Kategorie ich mich ehrlich gesagt ärgere, ist die an und für sich simple Erkenntnis von Clare Malone auf 538:
Of course, Trump wasn’t the first politician to serve rhetoric instead of substance. But the lack of even an attempt at some concrete policy was remarkable. My high school English teacher used to say, “Image evokes emotion.” Convey a powerful enough image or idea (and make it vague enough) and people will project onto it what they will. This is the heart of many a savvy PR strategy — just ask Beyoncé. The great lesson politicians of all stripes have taken from the Trump era is that you can have all the policy ideas in the world but they don’t matter if you can’t convey a resonant enough message to a broad enough swath of people. Of course Mexico wasn’t going to pay for the border wall, but what a triumphant idea to grasp onto. What a succinct articulation of a set of cultural, racial, economic and political values!
Ich meine, duh. Das ist ein Vetter der Erkenntnis von weiter oben, dass des den Democrats an einer klaren Botschaft mangelte. Wir wussten ja alle, dass Trump ein guter Verkäufer ist, aber als jemand, der an dem was er verkauft völlig uninteressiert ist und der seine Masche absolut abstoßend findet erwischt es einen dann doch immer wieder auf dem kalten Fuß, wenn es anderen gefällt. Das erinnert mich an den Verkäufer eines Küchenstudios vor zwei Jahren, dessen sexistisch-machoistische Masche sicherlich bei vielen erfolgreich war, meine Frau und mich aber rückwärts wieder aus dem Laden getrieben hat. Gibt eben solche und solche, und man vergisst das nur allzu gerne. Und um den Punkt von vorher zu wiederholen: Den Democrats fehlt gerade sowohl der Verkäufer als auch das Produkt. Am ehesten kommt Bernie Sanders da ran, und der ist einerseits zu alt und andererseits bin und bleibe ich skeptisch bezüglich seiner Chancen.
Noch etwas, bei dem ich eigentlich skeptisch war und mich dann von der allgemeinen Begeisterung angesichts der Umfragewerte habe mitreißen lassen: Democrats haben in komplett chancenlose Distrikte investiert. Ähnlich wie bei der Bedeutungslosigkeit der Never-Trumpers habe ich mich hier dazu hinreißen lassen, meine eigenen Instinkte zu ignorieren; ich packe das vor allem deswegen in diese Kategorie, weil ich erst in den letzten Wochen durch die hohen Umfragewerte zu zweifeln begann, ob Amy McGrath nicht doch eine Chance gegen Mitch McConnell haben und Jaime Harrison nicht vielleicht doch Lindsay Graham vertreiben würde. In beiden Fällen war die Antwort ein klares Nein. Überraschen sollte das nicht; sowohl Kentucky als auch South Carolina sind Bastionen der Republicans. Graham war zwar extrem unbeliebt, aber South Carolina ist einer der unelastischsten Staaten der USA, was nichts anderes bedeutet als dass die WählerInnen kaum zwischen den Parteien hin und her wandern. Ein Democrat kann im Palmetto State zwar locker 45-48% der Stimmen erreichen; die 50% aber sind praktisch unmöglich. In Kentucky nicht einmal das. Das hätte man wissen können. Und eigentlich wusste ich es auch. Aber Hoffnung ist eine potente Droge.
Eine eher positive Überraschung ist, dass mein Zynismus gegenüber FOX News nicht zu hundert Prozent gerechtfertigt war. Ich hatte vollkommen korrekt die letzten Jahre immer wieder auf die Bedeutung des Netzwerks ie der ParteifunktionärInnen hingewiesen, ohne die sich Trump niemals im Amt halten könnte. Die Lehre der Wahl dürfte klar sein: FOX News ist notwendig für den Putsch. Ohne die Unterstützung dieses riesigen Propaganda-Netzwerks ist es (noch) nicht möglich, die amerikanische Demokratie aus den Angeln zu heben. In dem Moment, als der Sender Trump fallen ließ wie eine heiße Kartoffel und Joe Bidens Wahlsieg verkündete, war der Mann politisch erledigt.
Es war offensichtlich, dass Trump vor allem versuchen würde, so lange wie möglich Geld aus seiner ohnehin schon betrogenen Anhängerschaft zu ziehen. Was ich vergessen hatte war, dass er als Verlierer des Wahlkampfs ziemlich sicher mit einer ordentlichen Schuldenlast zurückbleibt. Deswegen betrügt er seine Anhänger, indem 60% aller Spenden "für den recount" in die Schuldenbegleichung gehen. Der Vergleich mit Hillary Clinton ist dabei instruktiv. Sie hatte nämlich nach den aufreibenden primaries 2008 ebenfalls hohe Schulden. Sie musste jahrelang hart arbeiten, um sie abzubezahlen - unter anderem, indem sie hoch dotierte Reden hielt, was 2016 einer der vielen Mühlsteine um ihren Hals war. Trump sorgt sich um so etwas nicht, er betrügt einfach seine Anhänger und missbraucht sein Amt (wie wir im nächsten Teil der Artikelserie sehen werden). Aber sicher, crooked Hillary.
Eine interessante Perspektive zum Schluss kommt vom Washington Monthly. Hier wird über die Merkwürdigkeit, zwei Legislaturperioden als Standard zu sehen nachgedacht. Und ich muss sagen: Ja, habe ich auch. Irgendwie geht man tatsächlich im Kopf davon aus, dass zwei Amtszeiten "normal" sind und die Abwahl eine Abweichung von der Norm darstellt, nicht die Norm selbst. Das machen wir in Deutschland ja auch so. Vermutlich gilt das für jede Führungsfunktion, ob in Politik, Medien, Wirtschaft, Verwaltung oder Kegelverein. Aber man sollte vielleicht versuchen, diese Denkmuster zu durchbrechen, gerade angesichts des hohen Alters von Joe Biden, der ohnehin bereits damit geflirtet hat, es nach einer Legislaturperiode gut sein zu lassen.
Was mir klar war
Die erste Sache, vor der ich - wie viele andere Kommentierende auch - ausdrücklich und mehrfach gewarnt habe, nur um von eher auf der rechten Seite des Spektrums sitzenden Leuten Panikmache vorgeworfen zu bekommen, ist offensichtlich eingetreten: Es gibt einen Putschversuch. Sowohl Donald Trump als auch die Republicans versuchen, das Ergebnis dieser Wahl zu unterminieren oder sogar umzuwerfen. Dass dieser Putsch mit größerer Wahrscheinlichkeit fehlschlägt als gelingt liegt unter anderem daran, dass Trump und seine Unterlinge furchtbar inkompetent sind. Aber so viel Glück hat man nicht immer.
Man muss sich von dem Bild verabschieden, jeder Putsch würde erfordern, dass irgendwelche bewaffneten Schlägertrupps durch die Straßen rennen. Das ist hier sicherlich nicht der Fall. Dieser Putschversuch kommt einerseits durch den Missbrauch exekutiver Macht - etwa in der kompletten Enthauptung der zivilen Pentagon-Führungsebene innerhalb von 24 Stunden, die Trump initiiert hat. Dazu kommen Versuche, die Auszählung von Stimmen zu stoppen, per ordre de mufti Ergebnisse zu bestimmen und generell die Ergebnisse anzuzweifeln oder schlicht nicht zur Kenntnis zu nehmen, die existieren. Die zweite Hauptwaffe bei diesem Putschversuch sind die Gerichte, die in den letzten Jahren voll mit Rechtsextremisten gepackt wurden.
In der aktuellen Stufe halten sich die Republicans wie stets alle Optionen offen. "What's the downside of humoring Trump?" fragen die Republicans ernsthaft, wenn man sie dafür kritisiert, Bidens Wahlergebnis nicht anzuerkennen. Solcherlei Lügengeschichten aber stärken den extremistischen Rand. Es ist die voranschreitende QAnonisierung der GOP. Und das hat bereits jetzt einen Effekt: Vor der Wahl hatte das Feuern gegen den demokratischen Prozess keinen messbaren Effekt. Die Niederlage Trumps aber sorgte dafür, dass ein Drittel der Republicans jetzt sagt, dass derselbe nicht funktioniert. Demokratie wird nur dann als legitim anerkannt, wenn man gewinnt. Auch hier übrigens: Demokratische HerausfordererInnen gestehen die Niederlage ein und gratulieren ihren GegnerInnen zum Sieg, während in Kalifornien ein republikanischer Kandidat mit 13,6% der Stimmen einen Recount verlangt. Both sides are NOT doing it.
Diese offensichtliche Heuchelei, wo Stimmen nur gelten, wenn Republicans angekreuzt wurden, ist schon lange Programm in dieser Partei. Beide Wahlsiege Obamas wurden auf diese Weise konsequent angezweifelt; Präsidentschaftskandidat Mitt Romney stellte sich im Wahlkampf 2012 öffentlich hinter solche Thesen, als er die Birther-Thesen akzeptierte. Die GOP ist keine demokratische Partei! Dazu gehören auch die vielfach angekreideten Maßnahmen zur voter suppression. Beispielsweise in Pennsylvania ist klar, wie die Republicans ihre Macht nutzten, um Distrikte zu verzerren und die Auszählung zu behindern. Das ist nur ein Beispiel unter vielen.
Dass aber der offensichtliche Versuch unternommen wird, die Legitimität des Wahlergebnisses anzuzweifeln, und dass weder Trump noch seine Partei auch nur die geringsten Probleme damit hätten, mit diesem Putsch im Amt zu bleiben, so er denn gelingen sollte (was glücklicherweise die weniger wahrscheinlichere Option ist), lässt tief blicken. Und es wurde deutlich vorher gesagt. Vielleicht sehen die ewigen Zweifler jetzt endlich ein, was die Republicans tatsächlich sind, ziehen diese Lehre. Ich bin leider eher skeptisch.
Eine weitere Lehre, die wirklich niemanden überraschen sollte: Die fundamentals sind nach wie vor der größte Ausschlaggeber für ein Wahlergebnis. Und sie sind weitgehend außer Kontrolle des jeweiligen Amtsinhabers. Trump war eigentlich der Favorit für die Wahl; dass er verloren hat, liegt vor allem an seinen unglaublichen Schwächen, weniger an den Stärken seines Herausforderers. Die Wirtschaft befand sich zum Zeitpunkt der Wahl in einer Erholungsphase, und viele WählerInnen schätzten ihre persönliche wirtschaftliche Situation als auf dem Weg der Besserung befindlich ein.
Ein gewaltiger Faktor dafür waren die Corona-Hilfen, die, egal wir unzureichend, Geld in die Kassen der Bevölkerung spülten. Diese Hilfen wurden, wie jedes staatliche Handeln, natürlich der Regierung zugeschrieben und kamen deswegen Trump zugute. Das war von Anfang an klar. Trotzdem mussten die Democrats selbst diese bescheidenen Hilfen von den Republicans abkämpfen. Wären die Rollen vertauscht gewesen, hätten die Republicans jede Hilfe blockiert, um einen Vorteil bei der Wahl zu erlangen, ganz egal, wie viele Menschen darunter leiden müssen. Das ist kein Gedankenspiel, wir wissen das. Sie taten es 2009. Sie taten es auch dieses Jahr. In dem Moment, in dem Joe Biden zum Wahlsieger erklärt wurde, beendete die Trump-Administration die aktuellen Hilfsprogramme, die auf Dezember 2020 befristet sind. Joe Biden wird sein Amt in einem Land antreten, in dem die Menschen keine Hilfe bekommen, weil die Republicans sie ihnen verweigern. Die Menschen werden ihn verantwortlich machen. Und während zehntausende in überfüllten Krankenhäusern oder am heimischen Krankenbett sterben und Millionen in wirtschaftliche Verheerung gestürzt werden, wird Mitch McConnell teuflisch lachen. Das ist bereits jetzt offensichtlich. Wer das bezweifelt, dem ist nicht mehr zu helfen.
Etwas anderes, das niemanden überraschen sollte: Lügen und Betrügen stört an der Wahlurne nicht. Die Idee, dass PolitikerInnen für Lügen abgestraft werden, war schon immer eine eher tendenzielle. Wenn Trump und die Republicans etwas bewiesen haben, dann, dass Lügen eben nicht bestraft werden. Es kommt nur darauf an, wie man sie verkauft. Wenn die Mentalität einer Partei ist, selbst aufgedeckte Lügen einfach zu leugnen, A einfach B zu nennen, dann immunisiert sie ihre Anhänger. Und der Bothsiderismus der Medien sorgt dafür, dass alles in einem generellen "he said, she said" untergeht.
Es ist übrigens nicht so, dass nur die Republicans lügen und damit durchkommen würden. Man sehe sich nur Bill Clintons Karriere an. Der Mann hat mit dem Spielen des reuigen Sünders genug politisches Heu gedroschen. Nur ist das Ausmaß überhaupt kein Vergleich. Nur ein Beispiel dafür, in welche Tiefen diese Leute hinabsteigen: der Abgeordnete Dean Browning aus Pennsylvania gab sich auf Twitter als schwuler schwarzer Mann aus, um rassistische und sexistische Hetze zu verbreiten. Ein Democrat, der sich als ländlicher, weißer Waffennarr ausgeben und zu Terror aufrufen würde ist völlig unvorstellbar. Die Debatten würden kein Ende nehmen. Diese Episode dagegen ist nur Fußnote. Ausgerechnet Bret Stephens schreibt in der New York Times "Shamelessness is a virtue":
Less forgivable was the political Manichaeism turned into moral nihilism: When the left is always, definitionally, “worse than the right,” then the right feels entitled to permit itself everything, no matter how badly it trashes conservative policies (outreach to North Korea), betrays conservative principles (trade tariffs), debases the office (arms-for-dirt with Ukraine) or shames the nation (child separation). Stalinists used to justify their crimes in much the same way.
Und wo wir bei Heucheln sind:
Republicans begging for conciliatory gestures from Democrats have the memory of a goldfish, this shit was from literally less than two weeks ago pic.twitter.com/9L89ZNWTtR
— Audrey Fox (@audonamission) November 8, 2020
Die empfinden glaube ich nicht einmal mehr kognitive Dissonanz dabei. Es ist ja auch kein Problem, in Arizona lautstark einen Recount zu fordern und in Georgia einen Stopp der Auszählung, außer bei den Senatskandidaturen, weil die gewinnt man ja. Überhaupt noch festzustellen, dass das alles widersprüchlich ist, geht schon am Ziel vorbei. Wahrheit ist bei dieser Partei keine Kategorie mehr, genauso wenig wie Fakten.
Was ebenfalls keinesfalls überraschend kommt, aber von KritikerInnen meiner Artikel immer wieder in Zweifel gezogen wurde, ist die Erkenntnis, dass der Parteibasis jene Prinzipien, die von GOP-Amtsträgern immer besonders betont werden, völlig egal sind. Anders als bei der grundsätzlichen Bedeutung des Narrativs war mir diese Erkenntnis Clare Malones schon immer bewusst:
But Trump’s great insight was understanding and accepting that the GOP’s base didn’t care all that much about the party elite’s core ideology: taxes, small government, free trade. Rather, they connected with the cultural signifiers the party had so cleverly carved out: guns, political incorrectness, anti-abortion sentiment, etc.
Auch hier gilt: Man musste schon echt bewusst wegsehen, um das nicht zu erkennen. Die Republicans sind KulturkriegerInnen, IdentitätspolitikerInnen. Das ist, was sie antreibt und zusammenhält. Die Höhe des Grenzsteuersatzes ist nichts, was eine Bewegung mit feurigem Hass zehn Jahre lang Energie gibt. Es sind diese Themen. Die Erkenntnis Trumps war, dass sie ausreichen und dass man die Scharade, angeblich hehre Prinzipien zum Thema Freihandel und small government im Herzen zu halten, für den Wahlsieg nicht braucht. Damit hatte er sicher Recht. Wir werden die Folgen dieser Erkenntnis im dritten Teil der Artikelreihe etwas näher beleuchten.
Damit kommen wir zur Deutung der Wahl. Auch hier gibt es einige Lehren zu ziehen, die wenig überraschend sein sollten, für viele aber sind. Der Vergleich mit der letzten Wahl ist dabei instruktiv:
Anybody who's like "we'll that was a pretty good showing for Trump!" should consider how Hillary Clinton was treated as the World's Biggest Loser after an election with the same Electoral College margin as this one*.
* But where she won the popular vote instead of losing it by 5
— Nate Silver (@NateSilver538) November 7, 2020
Dieses Messen mit zweierlei Maßstäben macht mich wahnsinnig. Die Democrats haben die Wahl gewonnen, und zwar sowohl nach Stimmen ALS AUCH im Electoral College! Dazu eine Wahl, in der Trump wirklich viele Trümpfe (ha ha ha) in der Hand gehalten hatte. Und trotzdem wird so getan, als ob er hier irgendwie ein beeindruckendes Ergebnis abgegeben hätte. Populism is undefeated, erinnert Yasmeen Serhan uns im Atlantic. Das ist sicher richtig. Aber die Person, der Politiker, Trump, ist abgewählt. Und trotzdem fängt die gleiche beknackte Debatte an wie bei jeder Wahl, unabhängig vom Ausgang:
After 2016 the question of American politics was understanding the minority of Americans who voted for Donald Trump, and their concerns/wants/desires.
And now in 2020, the question is again... understanding the minority of Americans who voted for Donald Trump.
It's ridiculous.
— Nick Katsinas (@nkatsinas1) November 8, 2020
Ich denke zwar auch, dass man sich die Frage stellen muss, warum man nicht mehr Stimmen gewinnen konnte als man gewonnen hat. Aber warum wird die Frage nicht für die Gegenseite gestellt? 2012 machte sich die GOP noch ausführliche Gedanken darum, wie sie künftige Niederlagen verhindern und wieder eine Mehrheitspartei werden könnte. Heraus kam der "Autopsie-Report", der vor allem eine Abkehr von der ständigen rassistischen Migrantenhetze ins Zentrum nahm. Damit ließ sich auch 2016 keine Mehrheit gewinnen. Aber seither wird das nicht mehr gefragt. Stattdessen sollen ständig Progressive ihre "Blase" verlassen, die die Mehrheit der AmerikanerInnen umfasst, um eine Minderheit zu verstehen, die behandelt wird, als repräsentierten sie die Mehrheit. Das ist absurd, und es gibt den Republicans jeden Anreiz, die Extremisierung fortzusetzen.
Und erneut: Es ist nicht so, als würden diese Fragen bei den Progressiven nicht offensiv gestellt. Kevin Drum etwa gibt sich, pars pro toto, keinen Illusionen bezüglich der Attraktivität der Democrats und der Progressiven hin und fragt offensiv, was geändert werden muss. Keine solchen Fragen bei der Gegenseite. Kein einziger der vielen, vielen Artikel zur Wahl im American Conservative, den ich als Fenster zur "Gegenseite" lese, stellte diese Frage. Stattdessen gibt es dort nur Kritik am progressiven "overreach", begeisterte Analysen dazu, was Trump alles richtig gemacht hat (auch wenn er, leider, leider, kein netter Mensch war) und so weiter. Diese Schieflage war vorher ersichtlich und wird durch die Wahl geradezu unter ein Schlaglicht gestellt.
Da hilft es übrigens auch nicht, ständig die angemalten Karten auszupacken, auf denen ein Großteil der Fläche der USA rot eingefärbt ist. Leeres Land stimmt nicht ab - man sollte nicht auf die Kartenprojektionen hereinfallen. Die Karte von Le Monde etwa ist wesentlich akkurater. Vor allem angesichts dessen, dass diese angemalten Karten ein Propagandamittel beim Putschversuch sind; sie dienen nur dazu, die Legitimität in Frage zu stellen.
Eine Abart davon ist die fixe Idee des "mandate". Bei jeder Wahl stellten Kommentierende die Frage, ob der demokratische Präsident, der da jetzt gewählt wurde, ein Mandat des Volkes besäße, um seine Politik durchzubringen. Diese Debatte ist genauso schief, denn die Frage wird der Gegenseite nie gestellt. Hatte Trump ein Mandat? Klar, denn er hat die Wahl gewonnen. Hat Joe Biden ein Mandat? Ja, er hat die Wahl gewonnen. Es wäre schön, dieses Mal auf die beknackte Debatte über ein "mandate" zu verzichten. Auch sie dient nur der Bauchpinselei von JournalistInnen und der Delegitimierung des demokratischen Prozesses.
Wenig überraschend sollte übrigens auch sein, dass Trumps Amtszeit ein Klischee als genau den sexistischen Mist enttarnt hat, der es schon immer war:
As the president of the United States throws a temper tantrum over losing the election I'm reminded what a bullet this country dodged by not electing an "emotional" woman to the nation's highest office
— Michael Cohen (@speechboy71) November 10, 2020
Wenn nämlich emotionale Kurzschlusshandlungen bei Präsidenten kein Problem sind, dann wären sie auch bei Präsidentinnen kein Problem. Aber das Problem waren nie Emotionen. Das Problem war immer das Geschlecht. Und natürlich dass Trump die "richtigen" Emotionen hat, nämlich Wut, Hass, Gewalt - all der männlich konnotierte Kram. Auch hier machen Republicans den Subtext gerne für Zweifler explizit:
Matt Walsh is questioning Dwayne 'The Rock' Johnson's masculinity. You can't make this up. pic.twitter.com/TjOZZcCQXK
— Oliver Darko (@oliver_drk) November 11, 2020
Damit wäre mein Artikel am Ende. Ich habe leider kein sonderlich kohärentes Fazit mehr anzubieten. Stattdessen noch eine kurze Introspektive. Ich denke, es ist deutlich geworden, dass ich über viele der beschriebenen Entwicklungen wütend bin. Das mag an der einen oder anderen Stelle meine Urteilsfähigkeit trüben; ich bin zuversichtlich, dass ihr mich in den Kommentaren darauf hinweist. Aber ich denke, dass auf der anderen Seite ein gewisser Zorn auch nötig ist. Die Attacken auf die Demokratie, die hier offenkundig geworden sind, erfordern eine entschlossene und leidenschaftliche Antwort. Denn ohne eine solche steht sie nackt da.Was 2020 passiert ist - Teil 2: Lehren
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