Es ist alles, aber kein ausgeschlossenes Szenario, dass Friedrich Merz die CDU in die kommende Bundestagswahl 2021 führen wird. Minimal unwahrscheinlicher, aber eng verknüpft, ist seine zukünftige Kanzlerschaft. Grund genug für uns, sich etwas näher mit dem Mann zu beschäftigen, der 2018 wie ein Phönix aus der Asche aus der politischen Rente trat und die Herzen der CDU-Parteibasis im Sturm eroberte. Wer ist dieser Mann, was macht seine Anziehungskraft für seine Anhänger aus, woher kommt sein Erfolg und was bedeutet er für die Republik im kommenden Superwahljahr 2021?
Ein Blick zurück
Friedrich Merz' große Zeit lag in den frühen 2000er Jahren, als der Reformdiskurs in voller Blüte war und sich die vier (damals) etablierten Parteien in Vorschlägen um möglichst tiefgreifende Kürzungen im Sozialsystem und möglichst große Steuergeschenke an die Oberschicht überboten. Einer der Bietkönige war Friedrich Merz, der innerhalb der CDU die Rolle des Finanzexperten einnahm (für die glücklicherweise keinerlei Finanzexpertise notwendig ist). Zusammen mit Paul Kirchhof bildete er eine Konstellation, für die die Beinahe-Wahlniederlage 2005 und die daraufhin vollzogene Abkehr vom radikalen Leipziger Parteiprogramm 2003 - das er maßgeblich mitgestaltet hatte - einen schweren Schlag und den Rückzug aus der aktiven Politik bedeutete.
Merz' Name wird wohl auf ewig mit der "Bierdeckelsteuer" verknüpft bleiben. Hierbei handelt es sich um eines der brillantesten politischen Framings der letzten 20 Jahre, das muss man neidlos anerkennen. Die Idee war, das Steuersystem so radikal zu vereinfachen, dass die Steuererklärung "auf eine Bierdeckel" passe, eine Metapher, die gleichzeitig Volksnähe (durch die Assoziation mit Kneipen und Feierabendbier) als auch die patriarchalische Ordnung (durch die männliche Konnotation derselben) mit den neuen Reformideen verknüpfte. Wäre es nicht um eine Politik gegangen, die in den Etagen der Chefredaktionen auf helle Begeisterung stieß, man hätte es glatt Populismus nennen können; der Begriff wurde dann aber doch für die in Reaktion auf all diese Kürzungsbegeisterung entstandene LINKE reserviert.
Die Bierdeckelsteuer fiel dann aber genauso Merkels erster Kanzlerschaft zum Opfer wie die Kirchof'sche Steuerreform oder, in Merzens Fall wichtiger, der Posten des Finanzministers. Der ging an Peer Steinbrück von der SPD, dem wir das glimpfliche Überstehen der Finanzkrise maßgeblich mit verdanken. Man denkt mit Schaudern daran, was ein Finanzminister Merz in einer schwarz-gelben Koalition in dieser Situation getan hätte. Doch bereits vor dieser Merkel'schen Kehrtwende war das Verhältnis der Beiden nicht unbedingt warm: Merkel hatte in Vorbereitung des Wahlkampfs 2005 nach Stoibers Desaster von 2002 den Fraktionsvorsitz über die CDU von Merz beansprucht, der ihn seit Schäubles kurzem Vorsitz und folgendem Abtritt aus der Spendenaffäre innegehabt hatte. Diese Degradierung hat Merz Merkel nie verziehen.
Die Große Koalition war, trotz der aggressiven Steigerung des Schröder'schen Reformkurses, kein Habitat für Merz. Es ist spannend, die Parallelen zur Biographie Oskar Lafontaines zu lesen. Ohne Chancen, den Kurs seiner Partei maßgeblich weiter beeinflussen zu können, die er unter einer ungeeigneten Vorsitzenden und Kanzlerin sich deutlich von den von ihm wahrgenommenen Wurzeln entfernen sah, und unwillig, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen, quittierte er frustriert die Politik und zog sich 2007 bis 2009 in Raten ins Privatleben zurück. Hier hören die Parallelen dann aber auch auf. Abgesehen von einem gelegentlichen Grummeln von der Seitenlinie hörte man von ihm dann aber nichts mehr. Während er bei Blackrock an seinem bescheidenen Mittelschichtenstatus arbeitete und die ersten Millionen machte, dampfte die Republik unter Merkel fröhlich und unreformiert dahin.
Ich kenne Merz zu wenig um beurteilen zu können, warum er der Lafontaine'schen Versuchung widerstand, 2013 zusammen mit ideologischen Nachbarn wie Konrad Adam oder Bernd Lucke die AfD mitzugründen. Vermutlich ist er dem europäischen Projekt und dem Euro wesentlich mehr verbunden als diese. Die Partei wäre ansonsten eigentlich sehr passend für ihn gewesen, und man darf annehmen, dass er sie vor dem Absturz in das rechtsextreme Spektrum hätte bewahren können. So aber blieb er weiter in der Versenkung. Selbst die beginnende Grundsatzkritik an Merkel im Zuge der Flüchtlingskrise ab 2015 brachte ihn nicht zurück, hier reüssierten andere. Erst die Bundestagswahl 2017, die erkennbar die letzte in Merkels Kanzlerschaft sein würde, und ihre Ankündigung, sich vom Vorsitzendenposten zurückzuziehen, schoss Merz wieder zurück in den CDU-Führungsorbit - unterstützt maßgeblich von Wolfgang Schäuble, der auch nach 20 Jahren seine Instinkte nicht verloren hat.
Der zweite Versuch
2018 reichte das allerdings nicht, um den Sieg zu erringen. In der CDU waren etablierte und gut geschmierte Netzwerke sowie der Ritterschlag von oben schon immer die beste Währung, um an höchste Weihen zu kommen, und trotz der offensichtlichen Begeisterung großer Teile der Parteibasis entschloss sich die CDU, Merkels designierte Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer (wenngleich knapp) zu küren. Erneut verschwand Merz in der Versenkung, was mit Sicherheit nicht der falsche Zug war. Keiner mag schlechte Verlierer und Besserwisser. Seine zweite Chance sollte früher als erwartet kommen. AKKs Ägide verlief einerseits deutlich schlechter und andererseits deutlich kürzer als angenommen. Bereits nach Monaten war sie am Ende. Ohne die Corona-Pandemie wäre die Führungsfrage der Partei auch schon längst entschieden; so wird es - sehr zum Schaden der Partei - noch bis März dauern, ehe die Führungsfrage in der CDU geklärt sein wird, ohne dass dies notwendigerweise auch die Frage der Kanzlerkandidatur klärte.
Ein Sieg Friedrich Merz' im Machtkampf um die Führung der CDU wird immer wahrscheinlicher. Wenngleich noch längst nicht in trockenen Tüchern ist es Merz gelungen, seinen UnterstützerInnenanteil von der Kampfabstimmung gegen Annegret Kramp-Karrenbauer von 2018 im Wesentlichen stabil zu halten - was angesichts dessen, dass sein Konkurrentenfeld zersplittert ist, auf eine ordentliche Pluralität der Stimmen hinausläuft. Eine Mehrheit ist das freilich nicht, was der CDU noch deutliche Probleme bescheren konnte. Auf der anderen Seite ist es auch durchaus nicht unwahrscheinlich, dass der Sieg Merz' die Machtfrage so klärt, wie es die Durchsetzung Merkels seinerzeit tat und seine aktuellen Gegner entweder aufgeben oder die Seiten wechseln. Ich würde die Gefahr eines "CDU-Bürgerkriegs" oder Flügelkampfs daher nicht überbewerten wollen.
Ich muss offen eingestehen, dass ich mich mit den parteiinternen Dynamiken der CDU zu wenig auskenne um kompetent abschätzen zu können, wie die Chancen aktuell stehen. In der Basis genießt Merz zwar mehr Unterstützung als jeder andere Kandidat, aber die Basis wählt, anders als in der SPD, den Vorsitzenden nicht - das tun die Delegierten. Ob diese allerdings so stark abweichen, ist für mich nicht einsichtig. Mein aktueller Eindruck ist, dass sich Laschet und Röttgen weitgehend selbst kannibalisieren - der Erfolg des Einen ist der Verlust des anderen, und der lachende Dritte ist Merz. Die Dynamik gleicht darin ein wenig den republikanischen primaries 2015, ohne Merz mit Trump gleichsetzen zu wollen. Die beiden profitieren nur vom selben Effekt.
Das Angebot
Was aber bietet Merz, das ihn für einen solch großen Teil der Parteibasis so attraktiv macht?
Ein nicht zu verachtender Teil ist, dass er nicht Merkel ist oder mit ihr in Zusammenhang steht. Durch seine Abwesenheit der letzten Jahre und weitgehende Funkstille bildet er eine großartige Projektionsfläche für alle Merkel-Kritik. Er hätte sicherlich alles anders und besser gemacht, und das Schöne ist, dass das nicht widerlegbar ist. Es gibt praktisch keine öffentlichen Äußerungen von ihm aus der Zeit, und er trug keine Verantwortung. Was normalerweise ein Nachteil wäre, ist dank seiner vorherigen starken Prominenz ein Vorteil, so wie es für Lafontaine seinerzeit ein Vorteil war, weder beim Kosovo-Krieg noch bei den Reformen der Schröder-Regierung beteiligt gewesen zu sein.
Aber das ist natürlich nicht alles. Es ist kein Geheimnis, dass die CDU über die Politik Merkels ähnlich tief gespalten ist wie die SPD seinerzeit über die Agenda2010. Alle diejenigen, die mit Merkels Modernisierungspolitik unzufrieden sind (und die meist nicht an den Schaltstellen der direkten Macht in ihrem Umfeld sitzen, was sicherlich auch eine Rolle spielt), empfinden Merz als einen Vertreter der "guten alten Zeit", das mythische Damals, als die Welt noch im Lot war. Erneut dient er hier als Projektionsfläche für Wünsche und Hoffnungen; da er selbst keine aktuelle politische Vergangenheit hat, gibt es nichts, weswegen man mit ihm sauer sein müsste. Das ist ein mächtiger Antrieb.
Diese "weichen" Faktoren aber würden nicht ausreichen. Merz vertritt auch Positionen, die in der aktuellen CDU-Führungsriege nicht oder nur sehr gedämpft zum Ausdruck kommen. Im Guten wie im Schlechten.
So ist Merz immer noch fest in der Rhetorik der Reformzeit verhaftet, die gerade in der CDU-Mittelstandsvereinigung und im Wirtschaftsflügel gut ankommt. Ein Beispiel?
Wir müssen aufpassen, in der Bevölkerung nicht die Erwartung zu wecken, dass wir nun alles aus den Staatskassen abfedern können. (tm) #Corona #AnneWill
— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) November 15, 2020
Dieser Sound wurde in Deutschland nicht mehr vernommen, seit Westerwelle vom FDP-Parteivorsitz zurückgetreten ist. Ich erinnere mich noch an das große Befremden, dass er mit seinem Getöse von der "spätrömischen Dekadenz" auslöste; 2010 schien das einfach nur noch aus der Zeit gefallen. Merz nutzt weniger spitzige Metaphern, aber in der Substanz sagt er Ähnliches. Ich bin noch unsicher, ob das bisher einfach nur nicht großartig aufgefallen ist - seine Äußerungen diesbezüglich also nicht rezipiert wurden - oder ob sich der Massengeschmack geändert hat. Wir werden darauf später noch einmal zurückkommen; mein Bauchgefühl weist auf Ersteres.
Das liegt auch daran, dass seine andere Strategie wesentlich auffälliger ist:
#China hat heute die weltweit größte #Freihandelszone der Welt auf die Beine gestellt und wir diskutieren hier ernsthaft über korrektes Gendern in Gesetzesentwürfen? Wir können doch die Welt um uns herum nicht völlig ausblenden! (tm) #AnneWill #Merz
— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) November 15, 2020
Nichts funktioniert dieser Tage so zuverlässig, wie einen neuen Shitstorm im immer gleichen Kulturkampf auszulösen. Irgendjemand beklagt sich von rechts über mangelnde Meinungsfreiheit - nennen wir den hypothetischen Fall Dieter - und sofort ist das wieder zwei Tage in den Schlagzeilen. Cancel Culture! Nicht, dass der Mechanismus anders herum nicht auch funktionieren würde, aber es ist auffällig, wie oft gerade diejenigen, die die Debatte angeblich so verabscheuen, sie permanent und ohne jede Not auslösen.
Und machen wir uns nichts vor, Merz ist Politiker und geschickter Stratege genug, um das zu wissen und für sich auszunutzen. Seine Basis liebt den Scheiß, wie die Mitte-Rechts-Basis aller Parteien in allen Ländern das liebt. Das ist wie Forderungen nach Millionärssteuern und soziale Gerechtigkeit bei einer SPD-Versammlung heiser ins Mikro brüllen. Am besten nach einer Bratwurst. Ihr wisst schon, die Volksnähe.
Auch hier ist die Professionalität Merz' beeindruckend. Der Mann ist nicht eben ein digital native, seine Präsenz in den Sozialen Netzwerken ist komplett die eines Marketingteams. Die Tweets sind ja sogar entsprechend gekennzeichnet, das ist seriös. Beeindruckend ist übrigens auch, welche Reichweite diese Tweets haben, obwohl sie effektiv nur Presseerklärungen sind, an denen Merz nichts selbst schreibt und die von Profis gegengelesen werden. Das würden sich diverse andere PolitikerInnen so wünschen.
Probleme
Soweit, was der Zug Merz' ist. Was ihn attraktiv macht, auch aus rein strategischer Sicht, selbst wenn man ihn nicht mag. Da ist offensichtlich Kompetenz dahinter; nicht die viel behauptete Finanz- oder Wirtschaftskompetenz (die ist Show und für KanzlerkandidatInnen ohnehin keine Priorität), aber politische Kompetenz.
Es gibt aber einige Aspekte, bei denen Merz mir Bauchschmerzen bereitet. Das ist nicht überraschend, ich zähle jetzt nicht unbedingt zur Zielgruppe. Es dürfte wenig überraschend sein, dass mich seine 90er-Jahre-Kulturkrieger-Techniken ziemlich nerven. Der Mann ist in jeder Hinsicht ein Fossil; dafür gibt es gerade einen beschränkten Markt (der wie beschrieben für die Kanzlerschaft ausreichen mag, oder auch nicht). Aber begeistern muss mich die Aussicht natürlich nicht.
Mit der Wahrheit hat es Merz auch nicht so. Seine dramatische Behauptung, China habe die größte zusammenhängende Wirtschaftszone der Welt geschaffen, klingt zwar super - ist aber falsch. Zwar umfasst die RCEP-Zone beeindruckende 29% der Weltwirtschaftsleistung. Die EU kommt aber auf 33%, mit besseren Wachstumsraten. Ich will mich deswegen auch gar nicht mit der ohnehin überschaubaren Substanz des Themas beschäftigen; das haben bereits andere erledigt:
.@_FriedrichMerz hat nicht zu bestimmen, ob @annewill das Thema Gendern diskutiert. Die Entscheidung, ob ein Thema relevant ist, sollte nicht ständig von denen gefällt werden, die von einem Missstand nicht betroffen sind.
Neue Folge BOSETTI WILL REDEN:https://t.co/HnSsex9cWS
— Sarah Bosetti (@sarahbosetti) November 18, 2020
Klar, so what, PolitikerInnen lügen und übertreiben, könnte man da jetzt entgegnen. Aber ich war noch nie ein Fan von solchem Politzynismus. Merz hat eine gewisse Aggressivität in seinem Auftreten und seinen Behauptungen, die mir sauer aufstoßen. Die seinen Kulturkrieger-Allüren eine gewisse Schärfe verleihen, seine Kommentare zu Fridays-For-Future und Corona-Opfern als genuin unmenschlich erscheinen lassen. Das mag meiner Warte des ideologischen Gegners geschuldet sein. Aber der Eindruck bleibt.
Aussichten
Ich habe bereits darauf hingewiesen dass Merz trotz allem keine Mehrheit der CDU beherrscht, nur ihre größte Pluralität. Und das ist ein gewisses Problem, wenn es - wie unzweifelhaft der Fall - der radikalere Teil der Partei ist (radikal hier auf einer gleitenden Skala, à la Andrea Nahles ist radikaler als Wolfgang Clement; wir reden unzweifelhaft von Demokraten). Denn das könnte eine ziemlich harte Decke schaffen, die zu durchbrechen schwer ist. Zudem sind viele von Merz' Positionierungen - sein Wandeln hart am Grad der Klimawandelleugnung, seine nachgerade grausame Einstellung gegenüber Hilfen für Corona-Opfer oder Arbeitslose, etc. - nicht wirklich mehrheitsfähig und finden Schnittmengen nur bei AfD und FDP.
Mit der AfD kann er schlecht koalieren; ich nehme sowohl ihm als auch der CDU problemlos ab, dass sie auf Bundesebene keine Bündnisse eingehen wollen (keine Garantie für Landesverbände wie Thüringen oder Sachsen). Bleibt die FDP. Und das ist aus mehreren Gründen eine unsichere Bank. Einerseits schlicht Arithmetik: Die Chancen auf eine schwarz-gelbe Mehrheit sind nicht sonderlich gut. Andererseits ist die FDP selbst ein Haufen, der nur eingeschränkt regierungsfähig ist. Die Bilanz 2009 bis 2013 war eher bescheiden, die Flucht aus der Verantwortung 2017 lässt ebenfalls wenig Grund, sich auf ihre Belastbarkeit verlassen zu wollen, ebenso wenig die Person Lindners selbst.
Für diese Allianz spricht natürlich der wesentlich größere inhaltliche Überlapp als mit Merkel, auch, dass sich das patriarchalisch geprägte Spitzenpersonal beider Parteien besser verstehen dürfte. Aber die Gefahr für die CDU, am Ende in einer 2017-kompatiblen Situation dazustehen, wo es weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Rot-Grün reicht, ist sehr real. Und Merz ist jetzt nicht unbedingt der Typ, an den man bei Schwarz-Grün oder gar Jamaika denken würde (was ja auch Basis von Markus Söders Kanzlerhoffnungen ist).
Aber: Only Nixon can go to China, und vielleicht ist es ja gerade Merz als Reformer wider Willen, der die CDU in das erste Bundesbündnis mit den Grünen führt und wider alle seine bisherigen Positionen eine aktive Klimapolitik in der Partei durchdrückt. Er könnte theoretisch den Schröder der CDU machen. Theoretisch.
Das Argument dagegen, Merz würde stärker polarisieren als etwa Laschet, Spahn oder Röttgen, und damit die Unterscheidbarkeit zwischen CDU und SPD (und Grünen) deutlich verbessern, ist unzweifelhaft richtig. Ich halte es nur für eine verquere Idee, dass dies demokratieförderlich sein sollte. Wenn uns die Geschichte der USA in den letzten vier Jahren etwas gezeigt haben sollte, dann, dass Polarisierung nicht nur kein Wert an sich ist, sondern extreme Schattenseiten besitzt.
Zweifellos würde Friedrich Merz Wunder für die Unterscheidbarkeit von CDU und SPD bewirken. Aber diese Unterscheidbarkeit kommt mit einem ordentlichen Preisschild. Ich habe darauf in den letzten Jahren immer wieder hingewiesen. In den "goldenen Zeiten der Demokratie" der 1960er bis 1980er Jahre, als um große Zukunftsentwürfe gerungen wurde, war die deutsche Gesellschaft auch tief gespalten. Die CDU war immer schnell mit dem Vorwurf des Landesverrats bei der Hand, während Vergleiche mit den Nazis durchaus zum Repertoire der Sozialdemokraten gehörten.
Gerne wird behauptet, dass so die Demokratie lebendiger wird. Aber das Gleiche hat man auch für den Einzug der AfD in den Bundestag vorhergesagt, und das ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht unbedingt das, was passiert ist. Das heißt nicht, dass ich Merz und die CDU mit der AfD gleichsetzen will, nur, dass ich solche Voraussagen für überoptimistisch halte. Man kann trotzdem eine größere Polarisierung und schärfere Töne begrüßen. Aber man soll sich nicht einbilden, das sei ohne Nachteile zu haben.
Fazit
Das wären soweit meine Gedanken zu Friedrich Merz. Ich bin, das gestehe ich offen, kein Experte auf diesem Gebiet, weder für ihn noch für die CDU noch für die Teile der CDU, die er vertritt. Ich schaue da als ein Fremder drauf, so wie auch die Flügelkämpfe auf der LINKEn nur als außenstehender Beobachter ansehen kann. Alle meine Analysen sind aus der Warte von jemandem, der Merz ablehnt. Ich wünsche mir, dass jemand anderes das Rennen in der CDU macht. Ich halte ihn für ein rückwärtsgewandtes Fossil. Aber: Ich denke nicht, dass die Republik mit ihm untergehen wird. Es wird eher wie die Kabinette Merkel I und Merkel II. Ich werde mich über mehr ärgern, über mehr wütend sein, mehr mit heißem Herzen opponieren. Aber ich werde ihn überleben.
Zumindest hoffe ich, dass ich mich nicht täusche.
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