Dienstag, 10. November 2020

Was 2020 passiert ist - Teil 1: Fragen

 

Die Wahl liegt nun bereits eine Woche zurück. Auch wenn das Ergebnis mittlerweile festzustehen scheint und Joe Biden der 46. Präsident der USA sein wird, so sind noch lange nicht alle Stimmen ausgezählt. Vieles bleibt daher noch unklar, und die eigentliche Analyse-Arbeit kann in weiten Teilen noch nicht einmal beginnen. Ich will daher den Aufmacher der ersten 2020-Nachlese vor allem damit beginnen, Fragen zu formulieren - Dinge, die wir aktuell schlicht nicht wissen, die ausführlich zu analysieren sich aber in den kommenden Jahren und Monaten lohnen wird. Im zweiten Teil werde ich dann zeigen, welche Lehren wir schon jetzt aus der Wahl und den vergangenen vier Jahren ziehen können, bevor ich im dritten und letzten Teil aufzeigen will, welche Folgen uns aus dieser Wahl erwachsen könnten.

Ohne allzu lange weitere Vorrede möchte ich daher direkt ins Thema springen. Der Artikel hat insgesamt keinen tollen roten Faden, weswegen ich ganz unverschämt einfach die einzelnen Punkten abarbeite. Aber das erleichtert immerhin die Kommentare :)

Polarisierung

Ein Fakt über die Wahl, das soweit ohne jeden Zweifel ist und als historisch bezeichnet werden darf, ist die Wahlbeteiligung. Noch nie haben so viele AmerikanerInnen bei einer Präsidentschaftswahl ihre Stimme abgegeben, was angesichts der demographischen Entwicklung des Landes (deutliches Bevölkerungsplus pro Jahr) jetzt natürlich erst einmal nur eingeschränkt überrascht, aber auch die relative Wahlbeteiligung dürfte einen Rekord aufstellen, zumindest für die jüngere Vergangenheit.

Eines ist offensichtlich: Anders als erwartet war die Rekordbeteiligung nicht eine Wiederholung von 2018, als eine "blaue Welle" den Democrats gewaltige Gewinne im Repräsentantenhaus einbrachte, sondern eine "Double-Wave", in der sowohl die Democrats ALS AUCH die Republicans ihre Wählerbasis in nie dagewesenen Zahlen an die Wahlurnen brachten. Unsere erste Frage ist, woran das liegt.

Es ist wenig überraschend, dass die zunehmende Polarisierung dabei eine gewichtige Rolle spielt, aber diese ist mittlerweile ein so allseitig bekanntes Phänomen, dass diese Feststellung alleine als banal gelten muss. Es gibt in jedem Fall bereits einige Auffälligkeiten, die jedes Erklärmodell mit einbeziehen muss. Dazu gehört einmal der ideologische Unterbau der USA: Amerika ist ein fundamental konservatives Land, wie uns Kevin Drum erinnert. Entsprechend sollte grundsätzlich nicht überraschen, dass viele Leute konservativ wählen, auch wenn es uns Progressive Jahr für Jahr auf dem falschen Fuß erwischt.

Dazu gehört aber auch, dass es in den USA einen "divide between two coalitions" gibt, wie Perry Baker Jr. das auf 538 ausdrückt. Was er damit meint ist, dass die Polarisierung sich in den USA, anders als etwa in Deutschland, entlang klarer politischer Koalitionen manifestiert. Alle Diejenigen, die auf einer Seite dieses Polarisierungsspektrums sind, sehen sich zu der Koalition der Progressiven gehörig, und die andere Seite zu der der conservatives. Dadurch werden sämtliche Gegensätze in der Gesellschaft automatisch polarisiert und ins bestehende Parteiensystem eingeordnet. Leider geht daraus immer noch nicht hervor, warum sich die Leute so sortieren, wie sie es tun, und wie die Republicans es schaffen, trotz einer für ihre Koalition oft extrem nachteiligen Politik deren Loyalität zu erhalten.

Die Polarisierung scheint aber auch nicht so vollständig zu sein, wie das auf den ersten Blick scheint. Auch wenn zunehmend die Wahlergebnisse des Kongresses mit denen der Präsidentschaft kongruent sind und "split-ticket voting" weitgehend der Vergangenheit angehört, so ist dies nicht auf allen Ebenen der Fall. In Pennsylvania etwa gewannen die Republicans die "down ballot races", die 2016 noch von den Democrats gewonnen wurden - der Bundesstaat wechselte also hier komplett, gab einmal knapp Trump den Sieg und den Democrats viele Ämter auf Ebene der Counties und bei dieser Wahl umgekehrt Biden knapp den Sieg und dafür den Republicans diese Ämter. Offensichtlich sind die Polarisierungsmechanismen also komplizierter, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, und man sollte vor allzu vorschnellen Erklärmustern zurückschrecken.

Demographie

Betrachtet man das Wahlergebnis nach Demographie, ist der Hinweis, dass noch nicht alle Stimmen ausgezählt sind, mit erneuter Verve angebracht. Wir können hier noch recht wenig sagen, und manche scheinbare Erkenntnisse könnten sich am Ende als hinfällig erweisen, weil sie statistische Artefakte des Auswertungsprozesses waren. Alle Teile dieses Absatzes sind daher mit einem deutlichen Konjunktiv zu versehen.

Ein Trend, der sich unzweifelhaft von 2016 und 2018 fortgesetzt hat, dabei aber unzweifelhaft auch hinter progressiven Erwartungen zurückblieb, war die fortgesetzte Wählerinnenwanderung zu den Democrats. In praktisch jeder demographischen Gruppe wählten Frauen mehrheitlich Joe Biden und die demokratischen KandidatInnen, in vielen Subgruppen sogar mit erdrückenden Mehrheiten (nur bei den Weißen ist es noch knapp in einem 50:50-Rahmen). Gleichzeitig kehrte ein Teil der weißen Männer anscheinend zur Partei zurück. Dieser Gender-Divide zieht sich durch sämtliche Gruppierungen.

Beginnen wir bei den Latinos. Es scheint, als hätte Trump hier, vor allem in Florida, deutliche Gewinne zu verzeichnen. Angesichts dessen, dass er auf einer Welle der Anti-Hispanic-Immigration-Agitation ins Amt gespült wurde, ist das erst einmal überraschend und verlangt nach einer Erklärung. Eine solche bietet der American Conservative, der die Hispanics als besonders anfällig gegenüber Populismus beschreibt. Ein weiterer Erklärungsansatz ist, dass die Latino-Männer den Machismo Trumps sehr attraktiv fanden. Aus meiner Sicht erklärt das aber nur eingeschränkt, warum diese Wählerwanderung dann nicht schon 2016 und 2018 sichtbar war. Eine Erklärung hierfür ist die Idee, dass im Wahlkampf 2020 der rassistische Hass seitens des Trump-Teams bewusst heruntergeschraubt wurde. Diesen Erkläransatz lehnen aber gerade die amerikanischen Konservativen vehement ab. All diese Faktoren wird man für eine Erklärung im Blick behalten müssen.

Eine ähnliche Überraschung hat das Abstimmungsverhalten der Afroamerikaner hervorgebracht, die hier bewusst im männlichen Genus bleiben. Denn während schwarze Frauen unverändert fast komplett für die Democrats stimmen, hat Trump (den aktuellen, unzuverlässigen...) Zahlen zufolge rund 20% der jungen männlichen Schwarzen für sich begeistern können. Die Erklärungsansätze gleichen sich mit denen der Hispanics. Auch hier ist noch völlig unklar, ob sich diese Stimmenverhältnisse am Ende so manifestiert haben werden und welche Ursachen das hat. Auffällig ist aktuell in jedem Fall, dass die meisten Analysen nur auf eine Bestätigung der eigenen Vorannehmen herauslaufen, eine leider häufige Krankheit solcher Analysen. Lassen wir daher erst einmal das große Fragezeichen stehen. Insgesamt aber bleiben die AfroamerikanerInnen ein entscheidender Faktor für den Wahlsieg der Democrats. Trump mag zwar mehr von ihnen als bei seiner letzten Wahl überzeugt haben, aber jedeR zusätzliche schwarze WählerIn ist zu 90% jemand, der/die die Stimme für die Democrats macht. So konnten in vielen Counties in Michigan allein durch eine Zunahme der schwarzen Wahlbeteiligung gewaltige Stimmgewinne gegenüber Clintons Performance 2016 erreicht werden.

Auch wenn sie nur eine recht kleine Wählergruppe sind, so gab es doch auch starke Verschiebungen bei den Native Americans. Besonders auffällig war dies im Fall der Navajo, die zu 97% für Biden stimmten! Das ist eine Steigerung um 50% gegenüber den Werten, die Clinton 2016 erzielen konnte. Auch hier gibt es eine Reihe von Erklärungsansätzen, unter anderem, dass die Native Americans besonders stark negativ von Trumps Wirtschafts- und Coronapolitik betroffen waren, aber ob das der entscheidende Faktor war bleibt nach wie vor unklar.

Die größten Verluste aber hat Trump bei den Weißen gemacht, deren überdurchschnittliche Unterstützung ihm 2016 einen knappen Sieg einfuhr. Während der grundsätzliche Graben zwischen den formalen Bildungsabschlüssen bestehen blieb - Menschen mit College-Abschluss wählen eher progressiv, Menschen ohne eher conservative - gab es eine merkliche Wanderung der gebildeten Weiße ins progressive Lager. Dieser grundsätzliche Trend existiert schon lange. Ich bin daher inhärent unsicher, ob nicht eher die hohe Zustimmungsrate Trumps in dieser Schicht 2016 die Ausnahme war als deren Zurückfließen ins progressive Lager mit dem harmloseren Biden.

Andere Erklärungsansätze sehen starke organisatorische Schwächen in Trumps "ground game", aber da bin ich ehrlich gesagt eher skeptisch, weil ich die Bedeutung der Wahlkämpfe generell für deutlich überschätzt halte. Letztlich ist das die umgedrehte Version von "Clinton hat zu wenig Wisconsin besucht", und ich hielt die Erklärung schon 2016 für falsch, da macht es wenig Sinn, sie jetzt passend zu finden. Auch nur eingeschränkt überzeugend ist für mich die Theorie, dass der Fallout von Trumps Trade War vor allem die red states getroffen habe, die daraufhin die Gefolgschaft aufkündigten. Diese Theorie hat den Vorteil, dass sie auch erklärt, warum die Democrats im Kongress unterperformed haben, aber ich halte das "economic anxiety"-Argument nach wie vor für fragwürdig. Auch hier bleiben daher viele Fragezeichen.

Die Corona-Pandemie

Wo wir gerade bei der Corona-Pandemie sind, eines der größten Fragezeichen ist der Einfluss der Pandemie und von Trumps Politik. Die Umfragen, die ein wesentlich eindeutigeres Wahlergebnis vorhersagten, wurden oftmals mit Trumps furchtbar inkompetenter Krisenpolitik erklärt. Angesichts des tatsächlichen Wahlergebnisses darf wohl konstatiert werden, dass viele seiner WählerInnen die Politik entweder nicht so schlimm fanden oder sie nicht zur Grundlage ihrer Wahlentscheidung machten. Wir müssen vorsichtig sein, eine der beiden Erklärungen vorschnell zu bevorzugen. Aktuell haben wir schlicht nicht genug Daten, um hier sicher etwas sagen zu können.

Hier finden wir übrigens auch die genau gegenteilige Erklärung, die vorher für Bidens Gewinne bei den Weißen herangezogen wurde: Dass die Krisenpolitik Trumps überwiegend den blue states geschadet habe, weswegen Biden diese auch überwältigend gewänne, während die red states weiter deutlich verloren gehen und die purple states knapp bleiben.

Ein weiterer Erklärungsansatz dafür, dass Trumps Politik nicht rundheraus von den WählerInnen verdammt wurde, könnte in der unterschiedlichen Betrachtungsweise der Pandemie durch die beiden (polarisierten!) Lager/Koalitionen liegen. Wo Progressive die Pandemie als eine Krankheit betrachten, die einzudämmen möglich ist, indem man dem Rat der WissenschaftlerInnen und ExpertInnen folgt, neigen conservatives dazu, sie wie eine Naturkatastrophe zu sehen, ein Akt Gottes, der nicht zu mitigieren ist und der ertragen werden muss.

Generell gilt, dass der geringe Einfluss der Corona-Politik auf die Wahl eine genauere Analyse verdient. Eventuell gilt hier auch wieder das Phänomen der "doppelten Welle", und die Pandemie HATTE einen großen Einfluss, nur dass eben die Trump-Wählerschaft die Politik der Regierung gut findet. Ich halte das für weniger wahrscheinlich als dass sie seinen AnhängerInnen schlicht kein relevanter Wahlgrund war, weil andere Aspekte im Vordergrund standen, aber wir sollten auch hier nicht zu vorschnellen Schlüssen neigen.

Umfragen

Kommen wir zum Lieblings-Prügelknaben aller 2016-Möchtegern-Analysten: den Umfragen. Wie auch 2016 ist das Bild wesentlich komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Denn zwar hatten die Umfragen eine große Wahrscheinlichkeit für einen Biden-Erdrutschsieg vorhergesagt, aber Wahrscheinlichkeiten zu verstehen war schon 2016 weniger eine Stärke der Beobachtenden, ob in der Presse oder in der Bevölkerung selbst. Auch dieses Mal sind die Umfragen nicht so daneben, wie sie es auf den ersten Blick scheinen.

Auffällig ist etwas anderes: die massiven Qualitätsunterschiede. Wie auch 2016 sind manche Staaten wesentlich präziser vorhergesagt worden (Georgia) als andere (Wisconsin), die Voraussagen waren aber insgesamt (erneut) korrekt. Wie immer beträgt der Margin of error rund 3%! Aber: Trump wurde erneut unterschätzt, in denselben Staaten wie 2016. Das ist definitiv etwas, das Erklärungsbedarf erfordert.

Zudem gilt ganz besonders bei der Interpretation der Umfrageergebnisse, dass wir eine genaue Analyse erst mit genauen Wahlergebnissen machen können, und die sind noch unklar. In den Trends, wenngleich nicht in konkreten Zahlen, lagen die Institute bemerkenswert richtig.

Dazu kommt, dass Leute in alle Richtungen falschliegen. Nur werden die Trump-Propheten das auch dieses Mal wieder ganz schnell vergessen. Man nehme nur Matthew Walter in The Week:

In fact, my guess is that he will be re-elected and that his margin in the Electoral College will be similar to the one he enjoyed last time, and perhaps even larger. 

Diese Voraussage war schon vor der Wahl (der Artikel ist knapp zwei Wochen alt) auf nichts mehr als reinem contrarianism gegründet, diesem Wunsch, unbedingt etwas gegen den Strich zu bürsten. Die gleichen Leute sagten auch 2016 einen Trump-Sieg voraus und waren dann vier Jahre unerträglich selbstzufrieden. Aber bei einem Ereignis mit zwei möglichen Ausgängen ist richtig zu raten nicht sonderlich aufregend. Und die Tatsache, dass diese konträren Ergebnisse den Leuten nicht vorgehalten werden, während sich diejenigen, die bis zuletzt von einem Clinton-Sieg ausgingen, ewig die Häme anhören mussten, nervt, auch aus persönlichen Gründen. Ich will dieses Segment mit Nate Silver abschließen, der in einfachen Worten erklärt, warum Biden eine 90%-Siegeschance hatte:


'Nuff said.

BLM und Co

Neben Corona beherrschte nach dem Mord an George Floyd auch #BlackLivesMatter leider wieder die Schlagzeilen. Leider nicht deswegen, weil ihr Anliegen so doof oder nervig wäre, sondern weil die zugrundeliegenden Probleme immer noch weitgehend unbearbeitet sind. Es gab eine große Angst im progressiven Spektrum, dass diese Aufmerksamkeit auf BLM den Democrats schaden und moderate WählerInnen (sprich: höfliche Rassisten) in Trumps Arme treiben könnte.

Mit offensichtlicher, hämischer Freude erklärt etwa der American Conservative genau das zum Grund für das überraschend starke Abschneiden Trumps. Das ist aber erst mal nur ein Bestätigen der priors, denn das sagen die conservatives seit Adam und Eva. Als Beleg nennt der Artikel, dass in Kenosha, wo nach dem Mord an einem weiteren Afroamerikaner durch die Polizei Unruhen ausbrachen, Trump seinen Stimmenanteil um etwa 3 Prozentpunkte verbessert hat. Soweit, so gut.

Nur: Auf der anderen Seite führte die Berichterstattung aber auch zu merklichen Zunahmen in der Registrierung und den Spenden bei den Democrats. Ich denke daher im Augenblick und ohne eine bessere Faktenlage, dass effektiv beides richtig ist: polarisierende Ereignisse mobilisieren beide Seiten. Das ist wenig überraschend und wurde weiter oben unter dem Modell der doppelten Welle bereits angesprochen. Aber ich bin offen für weitere Ideen.

Biden und die Democrats

Kommen wir zur Person Joe Bidens. Sein Sieg ist größer als der Kennedys oder Reagans, um eine Perspektive zu bieten. Und bereits jetzt arbeitet das Biden-Team am Stricken einer Legende daran, was seinen Erfolg ausmachte. So verbreitet sich aktuell etwa die Legende von der "least consultant-driven campaign in recent history", einer Erzählung von Joe Biden als Instinktpolitiker. Gleiches gilt für die Idee, dass er ein quintessenzieller Zentrist sei. Das kann man glauben oder auch nicht, aber es war von Anfang an die vermarktete Persona, weswegen ich sehr vorsichtig wäre, auf solche Narrative hereinzufallen.

War Joe Biden, in den Worten Damon Linkers, "the only Democrat who could do it"? Biden war jedenfalls - konsistent mit allen Umfragefehlern - stets vor dem generic ballot der Democrats. Er war also in jedem Fall populärer als seine Partei, ein Spiegelbild zu Trump, der offensichtlich unpopulärer als seine Partei war (was übrigens nicht immer so war, die GOP ist generell unglaublich unpopulär!). Auf diese Art machte er es Trump unmöglich, sich wie 2016 als das geringere von zwei Übeln zu präsentieren. Bidens Zustimmungswerte wiesen den kompletten Wahlkampf hindurch ein positives Netto auf - ganz anders als Hillary Clinton, die zwar nicht ganz so negativ gesehen wurde wie Trump, aber eben doch deutlich negativ.

Die Frage ist, inwieweit Bidens Persönlichkeit zum Wahlsieg beitrug. Was ich damit meine ist: Ging die Strategie Bidens auf, einen bewusst entpersonalisierten Wahlkampf zu führen, in dem er als ein generischer Mensch auftrat, der eine Normalisierung nach der Trump-Ära anbot? Oder wurde spezifisch der Politiker Joe Biden gewählt? Das ist aktuell auch noch völlig unklar. Wie so häufig dürfte es ein guter Mix sein. Fakt ist, dass sich die Wahlkampfsstrategie, auf die Biden von Beginn der Vorwahlen an setzte, für ihn ausgezahlt hat.

Wesentlich umstrittener und relevanter aber ist die Frage, wie die Positionierung der Partei selbst den Wahlkampf beeinflusste. Da 2016 offensichtlich - spätestens seit dem Ergebnis 2018 - als ein dummer Zufall angesehen werden musste, bewegten sich die Democrats nicht wie sonst nach verlorenen Wahlen so häufig nach rechts, sondern nach links. Wenig überraschend erklären all diejenigen, die diese Bewegung ablehnen, dass darin der Grund für das schlechte Abschneiden der Partei zu suchen sei (was aber leider den Erfolg von 2018 nicht erklärt), während all diejenigen, die diese Bewegung gutheißen, darauf verweisen, dass die Partei nur hätte noch mehr nach links rücken müssen, um besser abzuschneiden.

Diese Debatte personalisiert sich bei der jungen Abgeordneten und dem Politik-Wunderkind Alexandria Ocasio-Cortez, die, wenig überraschend, letztere Position vertritt. Im Interview mit der New York Times verweist Ocasio-Cortez darauf, dass alle fünf Abgeordnete, denen sie half, ihre Wahl gewonnen, während all diejenigen, die sie ablehnten, verloren. Zumindest einige Daten hat AOC dabei auf ihrer Seite: Je konservativer die KandidatInnen in den Swing-Districts waren, desto eher verloren sie. Nur, besonders zugkräftig ist dieses Argument nicht. In sicheren demokratischen Distrikten zu gewinnen ist keine Kunst. Wer in Wahlkreisen mit linker Wählerschaft nach links rutscht, wird natürlich nicht dafür bestraft.

Ein weiteres Argument, das von den Linken für ihre Sicht der Dinge vorgebracht wird, sind die Exit-Polls, die eine gewaltige Popularität für traditionell progressive Themen von der Abtreibung über schärfere Waffengesetze zum Mindestlohn zeigen, aber exit polls sind trügerisch, und policy-Umfragen sowieso. Auf diese Umfragen ist daher nicht sonderlich viel zu geben.

Leider sind die Argumente der Gegenseite auch nicht besser, denn es sind dieselben Argumente, die die Moderaten seit Jahrzehnten gegen die Linken in Stellung bringen, bei Gewinn oder Verlust. Die Debatte ist generell unglaublich ritualisiert. Irgendwelche konkreten Informationen bekommen wir in der aktuellen Datenlage nicht, weswegen alles vor allem politisches Positionieren und der Versuch der Narrativ-Entwicklung ist. Beide Flügel versuchen, möglichst viel Einfluss auf die neue Regierung zu nehmen. Ich werde dies in den folgenden beiden Artikeln noch deutlich ausführlicher thematisieren.

Trump und die Republicans

Eine Sache wurde durch die Wahl noch einmal deutlich, auch wenn sie zumindest für mich keine große Überraschung war. Die WählerInnen mögen Trump WEIL er lügt, nicht trotz. Ansonsten beende ich den Artikel an dieser Stelle, denn zu Trump und der GOP gibt es keinerlei Fragezeichen. Alles, was hier vorhergesagt wurde, ist exakt so eingetreten. Nichts ist unklar. Wir beschäftigen uns mit diesen beiden daher mehr in den kommenden beiden Artikeln.

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