Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.
Diesen Monat in Büchern: Linksextremismus, Rechtsextremismus, Wirtschaftswunder, Westeros und Notstandsgesetze
Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: -
Tom Mannewitz/Tom Thieme - Gegen das System. Linker Extremismus in Deutschland
Nach den Debatten, die wir hier im Blog immer wieder hatten, fand ich es an der Zeit, mich etwas systematischer mit Linksextremismus in Deutschland zu beschäftigen. Da kommt mir dieses Büchlein, dass die Bundeszentrale für politische Bildung für schlappe 4,50€ im Angebot hat, gerade Recht. In sachlicher Manier nehmen die Autoren das Phänomen Linksextremismus auseinander und betrachten seine verschiedenen Facetten.
Wertvoll ist dabei das umfangreiche erste Viertel des Buches, das sich überhaupt einer Definition dessen nähert, was Extremismus eigentlich ausmacht und ihn etwa von Radikalismus unterscheidet. Hierbei stellen die Autoren mehrere Definitionen vor und stützen sich vor allem auf die behördlichen Definitionen - also etwa des Bundesamts für Verfassungsschutz oder die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts -, die sie in einen Kontrast zu Eigendarstellungen der Szene oder den Verteidigungen der Szene-Anwälte stellt. Um ein Beispiel dieser Debatten hervorzuheben: Ist für eine Einstufung als extremistisch (und damit verbotswürdig) Erfolgsaussicht vonnöten? Ist also die DKP eine linksextremistische Gefahr, obwohl sie bei den letzten Wahlen nur rund 4000 Stimmen gewonnen hat, Tendenz fallen? Oder muss man sie ignorieren?
In all diesen Elementen ist sehr instruktiv, dass die Autoren beständig den Vergleich zum Rechtsextremismus suchen. Auch wenn sie durchaus hervorstellen, dass der Rechtsextremismus wesentlich gefährlicher als der Linksextremismus ist, was die Zahl der Todesopfer anbelangt, so zeigen sie auch auf, wie sehr linksextremistische Straftaten in den vergangenen Jahren zugenommen haben. Das Niveau ist insgesamt noch sehr gering, aber das muss man fairerweise auch dem Rechtsextremismus zugestehen. Davon darf das also kaum abhängig sein.
Das Buch untersucht dann verschiedene Formen von Linksextremismus, von seiner in Parteien organisierten Form - etwa der MLPD, der DKP und all den anderen Splitterparteien - zu einer ausführlichen Betrachtung des Linksextremismus in der LINKEn. Hier stellen die Autoren zwar eindeutig das Vorhandensein einer linksextremen Splittergruppe fest, erklären aber - unterstützt durch entsprechende Befunde des BfV! - eindeutig, dass diese keinen nennenswerten Einfluss innerhalb der Partei hat; hier sind eher spontane rhetorische Ausflüge ins Milieu zu beobachten, wie sie Bernd Riexinger gezeitigt hatte.
Der letzte Teil des Buchs beschäftigt sich mit "freieren" Formen des Linksextremismus, etwa der Hambi-Besetzung, dem Schwarzen Block oder der Antifa. Die Einblicke in die entsprechenden Milieus sind sehr instruktiv, insbesondere wenn die Autoren feststellen, dass besonders bei den Autonomen der linksideologische Hintergrund häufig eher als Rechtfertigung für Gewalt genommen wird denn dass er eigentlicher Auslöser wäre. Das sorgt für eine hohe Fluktuation in der männlich dominierten Szene, weil die meisten aus dieser gewalttätigen Phase herauswachsen. Das spricht in meinen Augen sehr für eine Präventivpolitik, die diese Leute als gewalttätige denn als politische Straftäter begreift und mit entsprechenden Angeboten vorgeht.
Insgesamt sehr empfehlenswertes Buch, das mir einen deutlich besseren Blick für Gefahren und Ausmaß des Linksextremismus gegeben hat.
Nach der Beschäftigung mit dem Linksextremismus lag es nahe, auch einen genaueren Blick auf den Rechtsextremismus in Deutschland zu werfen. Leider mochte ich dieses Werk deutlich weniger als Mannewitz und Thiemes oben besprochenen Band. Wo die beiden wissenschaftlich und neutral herangehen, ist Quent als anti-rechter Aktivist deutlich emotionaler und betroffener bei der Sache.
Das ist zwar grundsätzlich sicherlich eine angemessene Reaktion an den Wiederaufstieg einer menschenfeindlichen Ideologie, aber mir behagte der Tonfall einfach nicht. Das mag daran liegen, dass ich direkt zuvor durch die nüchterne, gut strukturierte und wissenschaftlich aufgearbeitete Abhandlung zum Linksextremismus vorbelastet war; zudem predigt Quent ein wenig zum Chor, denn ich muss sicherlich nicht von der Gefahr des Rechtsextremismus überzeugt werden.
Gut möglich also, dass ich dem Werk Unrecht tue. Vielleicht schaue ich es mit etwas Abstand wieder an; fertig gelesen habe ich es um ehrlich zu sein bei weitem nicht. Vielleicht interessiert es ja auch einen der Kommentatoren genug, um sich damit zu beschäftigen. Ich denke, es spielt auch eine gewisse Müdigkeit meiner Seite mit eine Rolle. Ich muss nicht lesen, wie schrecklich und gefährlich die Extremisten in der AfD, die neonazistischen Mördertrupps oder die Brandstifter von Asylheimen sind. Diese emotionale Erschöpfung spielt sicherlich eine Rolle.
In Reaktion auf meinen Artikel zum "Die Mär vom Wirtschaftswunder" wurde ich gefragt, ob ich Ulrike Herrmanns Buch "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen" als Grundlage genommen hätte. Dies musste ich verneinen, ich hatte es bis dato nicht gelesen. Was also lag näher, als sich mit dem Buch zu beschäftigen? Ich hatte bisher davon abgesehen, da ich nicht davon ausging, dass es mir besonders viel Neues geben würde. Dies war nicht ganz richtig, Herrmann bringt durchaus Punkte, die mir bisher so nicht bekannt waren. Gleichzeitig zeigte sich meine Skepsis aber auch durchaus als berechtigt.
Das fängt bereits bei der Struktur des Buchs an. "Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind", sagt der Untertitel, aber das Buch hat insgesamt nicht wirklich einen roten Faden. Eher versucht es, diverse Wirtschaftsmärchen zu widerlegen und hat so einen sehr revisionistischen Zug. Herrmann springt von der Aufbauzeit in die 60er, von dort hinüber zu den Ölkrisen, lässt uns an den Krisen der 80er teilhaben und kritisiert (wenig überraschend) in Bausch und Bogen die Agenda2010-Politik.
Dieser umfassende Ansatz führt dazu, dass das alles den Eindruck einer geraden Entwicklungslinie bekommt, aber gerade eine solche fehlt letztlich - quasi eine These, die das Ding zusammenhalten würde. Stattdessen bekommen wir als Bösewichte die Bundesbank und Ludwig Erhard präsentiert. Beides nicht zu Unrecht, Herrmanns Kritiken an den Mann und Institution sind ein willkommenes Gegengewicht zu ihrer Verklärung. Nur, im Kontext des Buches übernehmen sie eine Antagonistenrolle, die merkwürdig unausgegoren ist.
Was schließlich hat Erhards Wirtschaftsdilettantismus mit Schröders Reformpolitik zu tun? Streckenweise liest sich das Buch als Geschichte Erhards, dann als Widerlegung des Wirtschaftswunders, dann als Geschichte der Bundesbank, dann als Pamphlet gegen die neoliberale Reformpolitik. Es ist diesbezüglich nicht Fisch und nicht Fleisch, aber konsistent in seinem Kontrarianismus. Um es auf den Punkt zu bringen: Als Student hätte ich das Ding geliebt. Aber inzwischen, mit wesentlich mehr Hintergrundwissen zum Thema, kann ich mir ein ungutes Bauchgefühl nicht verkneifen. Herrmann ist ein wirksames Antidot, eine schöne Ergänzung zu manchen allzu hagiographischen Darstellungen der entsprechenden Ereignisse, aber für sich genommen stellt sie eine wesentlich zu verzerrte und verkürzte Form der Ereignisse dar.
George R. R. Martin - The World of Ice and Fire (George R. R. Martin - Die Welt von Eis und Feuer)
Es war mal wieder an der Zeit für mich, die "Welt von Eis und Feuer" zu lesen. Nachdem ich vor Kurzem zum zweiten Mal "Feuer und Blut" auf diesen Seiten angesprochen habe (das erste Mal hier), das ich nicht so sehr mag, fragte ich mich, ob meine wesentlich freundlichere Erinnerung an "Die Welt von Eis und Feuer" (das in der deutschen Übersetzung den nachgerade stupiden Titel "Westeros" trägt; das Feature des Buchs ist ja gerade der Blick über Westeros hinaus) mich trog oder ob ich das Werk tatsächlich lieber mag. Und wie sich zeigte, trog sie nicht. Ich empfinde "Die Welt von Eis und Feuer" als das überlegene der beiden Werke.
Das hat sicherlich mit meinen persönlichen Interessengebieten zu tun. Aber für mich ist ein entscheidender Faktor, dass die großen Schwächen bei den Charakteren, die "Feuer und Blut" kennzeichnen, in "Die Welt von Eis und Feuer" nicht so sehr zum Vorschein kommen. Dadurch, dass alle historischen Ereignisse hier deutlich kürzer angeschnitten werden, bleibt eine Aura des Mysteriösen erhalten (die in manchen Bereichen, die Martin sich für die Erkundung in eigenen literarischen Werken vorbehält - etwa der Katastrophe von Summerhall - geradezu schmerzlich offensichtlich wird).
Der Gesamtüberblick aber sorgt dafür, dass es sich runder anfühlt, dass ich mich nicht in endlosen dynastischen Irrungen und Verwirrungen verliere. Die Texte sind zudem, auch durch den Wechsel zwischen den Maestern, dynamischer geschrieben; das Werk profitiert deutlich von der Überwindung der Perspektive Yandels, die "Feuer und Blut" so negativ dominiert.
Die Verabschiedung der Notstandsgesetze 1968 und die Formierung der APO gehört wie das Wirtschaftswunder zu den Gründungsmythen der Bundesrepublik; der Zeitpunkt, an dem die Jugendproteste und der gesellschaftliche Widerstand gegen die verkrusteten Formen des alten Adenauerstaats aufbegehrten und siegten. Diebel stellt sich die Frage, wie die Notstandsgesetze eigentlich abseits Bundestag und APO zustande kamen, eine Entwicklung, die er als hinreichend erforscht betrachtet.
Er richtet seine Forschung dagegen auf das Bundesinnenministerium, das maßgeblich für die Ausarbeitung der Notstandsgesetzgebung verantwortlich war und bisher kaum betrachtet wurde. Die Erkenntnisse, die er dabei zutage fördert, sind zwar recht speziell, aber eine mehr als wertvolle Ergänzung und guter Einblick in die Zeit.
Diebel beginnt mit der verfassungsgebenden Versammlung am Herrenchiemsee, wo eine Notstandsgesetzgebung nicht entstand, weil die grundlegenden Konflikte nicht ausgeräumt werden konnten. Diese dominierten die Debatte über die folgenden beiden Jahrzehnte. Konkret ging es dem Innenministerium darum, den Notstand als "Stunde der Exekutive" zu verankern, in dem Legislative und Judikative praktisch keinen Einfluss hatten, genauso wenig wie Grundrechte. Hintergrund war die Furcht vor bürgerkriegsähnliche Zuständen und kommunistischer Unterwanderung bei einem Angriff des Warschauer Pakts. Entsprechend sahen damalige Entwürfe die Einrichtung von "Zivilschutzwarten" (im Endeffekt eine Neuauflage der Blockwarte), eine Dienstverpflichtung aller Männer und Frauen in den "Zivilschutz" und weitreichende Mobilitätseinschränkungen vor.
Die Beamten entwickelten diese Gesetze in völliger Heimlichkeit, weil sie sie eben als reine Exekutivaufgabe betrachteten. Es gelang ihnen jedoch nie, die dafür erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit zusammenzubekommen. Das Innenministerium handelte zu undemokratisch in einem demokratischen Staat. Dies änderte sich in den 1960er Jahren, als neue Innenminister begannen, die SPD und die Gewerkschaften (die damals noch eine zentrale politische Macht waren) mit einzubeziehen. Gleichzeitig wuchs im Ministerium eine neue Generation Beamter hoch, die in der BRD statt dem Deutschen Reich sozialisiert worden war und im Rahmen des Grundgesetzes dachte statt wie die alten Nazi-Beamten in Kategorien eines totalitären Staates. Dadurch wurden die Notstandsgesetze weiter entschärft.
Spannenderweise waren es aber erst die massive öffentliche Kritik durch die APO und andere AktivistInnengruppen auf der einen Seite und eine Propaganda-Aktion der DDR auf der anderen Seite, die Entwürfe der streng geheimen Notstandsgesetze veröffentlichte, die den Ausschlag gaben, den Notstandsgesetzen den Zahn zu ziehen und sie vom Parlament abhängig zu machen. Diebel verwehrt sich entschieden gegen die Vorstellung, die massiven Proteste seien unnötig gewesen, weil die Notstandsgesetzgebung am Ende für die weitere bundesdeutsche Geschichte irrelevant gewesen sei - erst durch diesen entschiedenen Widerstand waren sie so harmlos geworden. Darin liegt sicher eine Lektion für unsere Gegenwart, auch und gerade was die Corona-Politik anbelangt.
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