Sonntag, 15. Mai 2022

Rotes Teflon, grüner Schwamm, gelbes Sieb

 

Olaf Scholz ist kein großer Kommunikator. Das nicht eben eine rasend neuartige Feststellung; wir wussten das schon, ehe er Kanzlerkandidat der SPD wurde. Christine Lambrecht hat kein besonders Interesse an der Bundeswehr gehabt, bevor sie Verteidigungsministerin wurde, und wäre lieber Justizministerin geblieben, was wegen Koalitionsarithmetik nicht ging. Die Partei hatte schon lange Zeit ein eher problematisches Verhältnis zu Russland, Putin und Gasprom. Gerhard Schröder betrieb schamlosen Lobbyismus spätestens, als er die Schlüssel zum Kanzleramt abgab, und wahrscheinlich schon davor. Ein stabiler Wahlkampf und ein sehr unstabiler Wahlkampf seiner beiden Gegner*innen verhalfen Scholz dann überraschend nach 16 Jahren Merkelregierung zum Einzug in eben jenes Kanzleramt. Abgesehen von Wirecard ist bislang alles an bekannten Schwächen der SPD aufs Tablett gekommen - und in den Umfragen ist davon praktisch nichts zu spüren. Was ist da los?

Ich komme deswegen auf diese Frage, weil das ja keine Selbstverständlichkeit ist. Ich habe in meiner eigenen Blase - also vor allem der Twittertimeline - seit Wochen massive Kritik an Scholz im Speziellen und der SPD im Allgemeinen, aber Konsequenzen hat das in den Umfragen praktisch keine. Die Landtagswahlen in Saarland und Schleswig-Holstein waren ohnehin von bundespolitischen Themen praktisch völlig befreit und entschieden sich auf Basis lokaler Kandidat*innen und Themen, und es sieht nicht so aus, als würde das in Nordrhein-Westfalen großartig anders werden. Die CDU hat zwar gegenüber der Bundestagswahl leicht zugelegt, profitiert aber auch in keinster Weise vom Wechsel zu Merz (oder leidet darunter, sie ist einfach kein Faktor).

Ein Teil davon ist sicherlich dem Ausnahmezustand des Ukrainekriegs geschuldet, der alle anderen Themen von der Agenda drängt und besonders der besten Opposition, die Deutschland je hatte, wenig Profilierungsspielraum lässt. Aber schauen wir auf eine aktuelle Bundestagsumfrage, ist die bemerkenswert stabil:


Ja, sicher, die CDU hat etwas zugelegt, aber das war absolut zu erwarten (und ich hab das ja auch mehrfach prophezeit). Aber die Merz so oft zugeschriebene Rückkehr in den 35%+-Bereich lässt weiter auf sich warten. Die SPD ist minimal abgesunken, aber innerhalb der Fehlertoleranz. Die Grünen haben leicht zugelegt, zurück in die Umfragebereiche vom Frühjahr 2021. Die FDP, LINKE und AfD verharren quasi. Das spricht jetzt nicht eben dafür, dass sich die Meinungen zur Ampel geändert hätten, zu Scholz, zu sonst irgendwas. Die einzigen, die das tatsächlich behaupten könnten, sind die Grünen. Und hier wurde bestenfalls der Boden gutgemacht, den man durch den beknackten Wahlkampf verloren hat, weil Habeck und vor allem Baerbock die Erwartungen im Amt deutlich übertreffen und zu Deutschlands beliebtesten Minister*innen wurden.

Aber bleiben wir noch einen Moment bei Scholz. Der Soziobloge hat das schön auf den Punkt gebracht:


Ja, der Mann kommuniziert weitgehend in Schwurbelphrasen und ohne große Emotionen (wenn man von dem einen Ausbruch beim DGB absieht), und ja, er hat keine großen Projekte und bremst vor allem an allen Ecken und Enden. Aber das als bahnbrechende Erkenntnis zu verkaufen und zu kritisieren, als hätte er je etwas anderes versprochen, verwundert mich doch sehr. Scholz ist im Wahlkampf explizit als Merkel 2.0 aufgetreten, als eine Fortsetzung ihrer Kanzlerschaft mit sozialdemokratischen Mitteln. Das war explizit, und es hat, anders als 2017, 2013 und 2009, wohl vor allem deswegen funktioniert, weil a) der SPD-Wahlkampf sauber war, b) die CDU und Grünen einen miserablen Wahlkampf geführt haben und c) die CDU zwei Jahre lang (und eigentlich immer noch) einen bitteren internen Grabenkampf ausgefochten hat, wie sie mit dem Merkel-Erbe umgehen will.

Ich halte das für ziemlich zentral. Merkel hat das Amt mit einer Zustimmungsrate von 80% verlassen. 80%! Durch ihre gesamten 16 Jahre Kanzlerinnenschaft war sie praktisch nie unter den 50%. Es gehört schon viel Selbstillusion dazu zu glauben, dass man mit einer Positionierung gegen Merkel reüssieren können würde. Scholz wäre nicht Kanzler, wären nicht all diese Faktoren zusammengekommen (und wurde es auch so nur extrem knapp). Seine Zufriedenheitswerte sind auch eher mittelmäßig; aktuell ist er auf einem Rekordniedrigstand von 46%.

Aber die Konkurrenz bleibt wenig attraktiv. Ein Wechsel zur CDU scheint der Wählendenschaft auch nicht attraktiv. Ich will in diesem Artikel gar nicht versuchen, die großen Erklärungsansätze zu bieten, ich stelle das Ganze vielmehr als Fragen. Die Landtagswahlen jedenfalls geben in meinen Augen wenig Aufschluss. Sie unterscheiden sich radikal von der Situation im Bund. Das Saarland ist bekanntlich nur so groß wie das Saarland, und Schleswig-Holstein ist jetzt auch nicht eben repräsentativ für Gesamtdeutschland. Es würde meine These stützen, Günther zur Zukunft der CDU zu erklären, aber...es ist Schlewsig-Holstein. Weitgehend ländlich, 2,8 Millionen Einwohner*innen. In beiden Fällen dominierten doch eher länderspezifische Personen und Themen.

Etwas anders ist das im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Hier wurde vergangenen Sonntag gewählt, das Land ist recht divers, seine Wirtschaftskraft ist hoch, und so weiter - was aber bei Bayern alless auch zutreffen würde. Hier siegte wie in Schleswig-Holstein klar die CDU, wenngleich nicht gar so überragend wie Genosse Günther. Die SPD konnte sich über ihre 27,5% kaum freuen, weil das einen historischen Tiefstand für NRW darstellt. Die FDP bangt zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels mit 5,0% um den Wiedereinzug, die Grünen verdreifachten (!) ihr Ergebnis.

Aber erneut: all das sind Landtagswahlen. Im Bund profitiert die CDU nicht vom Erfolg von Wüst und Günther, die SPD nicht vom Erfolg Rehlingers. Stegner zog die Bundes-SPD, Hans nicht die Bundes-CDU herunter. Nein, was sich zeigt ist eine generelle Tendenz im Bund: die SPD bleibt Teflon, an der quasi alles abperlt. Sie macht wenig, und es bleibt nicht viel hängen. Die Grünen sind ein Schwamm und saugen Wählendenstimmen auf, und die FDP verliert in den Ländern, aber nicht groß im Bund. Die AfD bleibt, wie sie steht, die LINKE hängt stabil unter der 5%-Hürde, die CDU bleibt stärkste Partei und kann sich davon, wenn es wieder für die Ampel reicht, ein Sandwich kaufen, vorausgesetzt, jemand gibt noch 5€ dazu. Diese Stabilität ist bemerkenswert.

Ich stelle deswegen vor allem Fragen, weil ich die Antworten nicht habe. Vielleicht kann ja jemand in den Kommentaren etwas dazu sagen.

1) Wie relevant ist die linke Basis für die SPD, vor allem die Pazifismus-/Russlandverstehenden-Connection?

2) Ist das Hoch der Grünen eine ukrainische Blase?

3) Kommt der relativ schlechte Stand der FDP vor allem daher, dass die Themen gerade ungeschickt sind?

4) Haben die Ergebnisse der Landtagswahlen doch mehr Aussagekraft für den Bund, als ich hier bereit bin zuzugestehen?

5) Gibt es überhaupt so etwas wie Wechselwählende von der FDP zu den Grünen? Oder sind die Wählendenwanderungen weiterhin in den alten Blöcken, rekrutiert sich also der leichte CDU-Zugewinn aus den leichten FDP- und SPD-Verlusten?

6) Ist die LINKE nur wegen ihrer Führungsprobleme und internen Querelen so schwach, oder ist ihr, gerade mit Russland, endgültig das Rückgrat gebrochen? Und wenn, warum hat sie dann seit Putins illegalem Angriffskrieg keine Bewegung in den Umfragen?

7) Ich wäre geneigt, die schlechte Performance der NRW-FDP auch Ministerin Gebauer zuzuschreiben, aber warum schadete dann Karin Prien nicht der SH-CDU?

8) Warum flog die AfD aus dem Landtag von Schleswig-Holstein, verlor aber im Saarland und in Nordrhein-Westfalen kaum an Stimmen?

Für mich läuft das alles sehr stark darauf hinaus, dass die Länder einfach derart unterschiedlich gepolt sind, dass sie für den Bund kaum Aussagekraft besitzen. Die Leute wählen offensichtlich auf beiden Ebenen völlig anders. Nehmen wir nur mal mein Heimatland Baden-Württemberg. Hier wurden die Grünen triumphal im Landtag bestätigt, während sie bei der Bundestagswahl um die 5% herumkrebsen. In Bayern steht eine Partei zur Wahl, die es in anderen Bundesländern gar nicht gibt. Im Osten ticken die Uhren eh offensichtlich vollkommen anders, in den Stadtstaaten ohnehin auch. Bleiben Hessen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, über die ich ehrlich gesagt keinen Überblick habe. Aber das alles führt mich zu Frage

9) Sind die Wahlergebnisse des Bundes letztlich ein Durchschnitt aus allen Bundesländern, so dass die Landtagswahlen effektiv Teildemografien repräsentieren, oder ist es eben so, dass die Landtagswahlen genau das sind - Landtagswahlen, und die Wählenden da einen riesigen Unterschied machen?

Ich bin einfach völlig unsicher. Und auf euren Input gespannt!

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