Mittwoch, 23. Mai 2007

Die Nutzlosigkeit der neoklassischen Nutzenlehre

Ein Gastbeitrag von Hans-Peter Büttner

Eine Kritik der Grundlagen der subjektiven Werttheorie

von Hans-Peter Büttner


Die herrschende neoklassische Wirtschaftslehre baut zentral auf der Prämisse eines "methodologischen Individualismus" auf. Die Grundidee dieses Konzeptes ist es, die Preisbildung auf Märkten auf subjektive Nutzenschätzungen bzw. daraus folgende rationale Wahlhandlungen zurückzuführen. Ursprünglich wurde die neoklassische Nutzenlehre als Grenznutzenlehre Mitte des 19. Jahrhunderts von Hermann Heinrich Gossen (1810-1858) in den zwei Gossenschen Gesetzen zusammengefaßt.

Das erste Gossensche Gesetz besagt hierbei, dass mit dem fortgesetzten Genuß eines Gutes der marginale Nutzen der letzten konsumierten Einheit abnimmt. An einem bestimmten Punkt tritt Sättigung ein. Das zweite Gossensche Gesetz besagt nun, dass beim Konsum mehrerer Güter das Individuum die konsumierten Mengen so einteilt, daß sich die Grenznutzen der konsumierten Güter ausgleichen. Einfach gesagt heißt das, dass ich, wenn ich ein Glas Saft und ein Schnitzel vor mir habe, so lange esse und trinke, bis mein Bedarf an beidem gedeckt ist und folglich die Grenznutzen durch meine "Wahlhandlungen" zwischen Saft und Schnitzel ausgeglichen sind.

Graphik 1 und 2 stellen den sinkende Grenznutzen in seiner Verlaufsform dar:








In Grafik 1 sehen wir, wie mit fortschreitendem Konsum der Nutzen U zwar zunimmt, aber eben die Zunahme des Nutzens der letzten konsumierten Einheit immer rückläufiger ist. Am Ende tritt Sättigung ein. Würde dann weiter konsumiert werden, könnte die Nutzenkurve sich dann wiederum der Abszisse annähern, denn der Nutzen würde nun durch Übersättigung sogar abnehmen[1]. Betrachten wir nur den Grenznutzen, wie in Grafik 2, so verläuft die Kurve abnehmend mit Sättigung in dem Punkt, an dem die Grenznutzenkurve die Abszisse berührt. Bei fortgesetztem Konsum würde der Grenznutzen negative Werte („Nutzenabnahme“) annehmen und die Kurve somit unterhalb der Abszisse verlaufen.

Im Gefolge der Grenznutzentheorie wurde nun versucht, eine subjektive Wert- und Preislehre als Alternative zur Arbeitswertlehre der ökonomischen Klassik zu entwerfen[2]. Preise sollten fortan in letzter Instanz auf subjektive Kalküle bzw. (marginale) Nutzenschätzungen zurückgeführt werden. Die Knappheit eines Gutes in Kombination mit der Nutzenschätzung ergibt so einen Preis, der als Funktion dieser Nutzenbewertung angesehen wird. Ein Gut, das einen doppelt so großen Grenznutzen aufweist als ein anderes, ist folglich auch doppelt so teuer. Im Haushaltsoptimum wiederum nimmt das Verhältnis von Grenznutzen und Preis für jedes Gut den gleichen Wert an. Die philosophische Grundlage für dieses Programm lieferte der englische Philosoph Jeremy Bentham (1748-1832) mit seiner Nützlichkeitsphilosophie („Utilitarismus“), nach welcher das Nützlichkeitsprinzip den Bewertungsmaßstab für menschliches Handeln bilden sollte. Bentham vertrat deshalb das Ziel „das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl“ zur ethischen Norm zu erheben. Dieser klassische Utilitarismus ging noch von der Meßbarkeit und interpersonellen Vergleichbarkeit des Nutzens aus[3].

Weil der Grenznutzen jedoch, wie sich schnell herausstellte, nicht meßbar und auch nicht interpersonell vergleichbar ist[4] wurde versucht, dieses methodische Problem zu umgehen. Der Nationalökonom Vilfredo Pareto (1848-1923) schlug statt dieser „kardinalen“ Nutzenmessung eine „ordinale“ vor, die nur noch Wahlhandlungen kennt, die auf den Rationalitätsaxiomen der Präferenztheorie aufbauen[5]. An die Stelle absoluter Nutzenschätzungen sollten also nur noch Aussagen des Typs treten treten, dass eine bestimmte Menge eines Gutes einer bestimmten Menge eines anderen Gutes vorgezogen wird oder nicht. Man kann so Wahlalternativen annehmen, denen nur noch implizit (nicht mehr explizit) die alten Nutzenauffassungen zugeordnet werden. Das Konzept des Grenznutzens wurde so umgewandelt in das Konzept der „Grenzrate der Substitution“. Ein gleicher Nutzenindex kann nun von einem Haushalt erreicht werden, indem alle möglichen Güterkombinationen auf einer Indifferenzkurve geometrisch dargestellt werden. Nimmt das eine Gut ab, muß mehr von dem anderen Gut bereit gestellt werden um den gleichen Nutzenindex zu halten. Grafik 3 stellt diesen Zusammenhang dar:

Wir sehen, dass die konvexen Indifferenzkurven Mengenkombinationen von Gut 1 und Gut 2 darstellen[6]. Während Punkt MK1 (Mengenkombination 1) auf der Kurve mit dem geringsten Nutzenindex liegt, befindet sich Punkt MK4 (Mengenkombination 4) auf der Kurve mit dem größten Nutzenindex. Die Punkte MK 2 und MK3 entsprechen dem gleichen, mittleren Nutzenindex mit zwei unterschiedlichen Mengenkombinationen. Während bei MK2 die Menge von Gut 2 sehr hoch und die von Gut 1 sehr niedrig ist verhält es sich bei MK3 umgekehrt. Die „Grenzrate der Substitution“ drückt sich hierbei im konvexen Kurvenverlauf aus: Je weniger von dem einen Gut zur Verfügung steht, desto mehr muß nach dem Grenznutzengesetz von der Menge des anderen Gutes zur Verfügung gestellt werden, um den gleichen Nutzenindex zu halten. Der Grenznutzen wird hier also unverändert unterstellt, denn die Grenzrate der Substitution ist per definitionem identisch mit dem Verhältnis der Grenznutzen von Gut 1 und Gut 2.

Dabei entsprechen die Indifferenzkurven der Haushaltstheorie exakt den Indifferenzkurven der Unternehmenstheorie, welche die Kombination zweier Produktionsfaktoren auf gleichem Produktionsniveau beschreiben. In der Mikroökonomie wird deshalb auch von der „Grenzrate der technischen Substitution“ in der Unternehmenstheorie gesprochen. Hier sinkt dann die Grenzrate der Substitution des Produktionsfaktors 1 durch Produktionsfaktor 2 mit steigendem Mengenverhältnis von Faktor 2 zu Faktor 1. An diesem Beispiel zeigt sich bereits die umfassende Vereinheitlichung von Unternehmens- und Haushaltstheorie in der Neoklassik. Das Haushalts-Individuum wird formal behandelt wie ein produzierendes Unternehmen - mit dem Unterschied, dass seine zu maximierende Zielgröße nicht „Gewinn“, sondern „Nutzen“ genannt wird. Karl-Heinz Brodbeck faßt die neoklassische Programmatik deshalb auch so zusammen:

„Die Handlungen der Firmen werden durch Produktionsfunktionen, die der Haushalte durch Nutzenfunktionen repräsentiert“[7].

Die neoklassische Haushaltstheorie ist methodisch gesehen nur ein Spiegelbild der Unternehmenstheorie[8]. Wie wir noch sehen werden, erweist sich diese Vereinheitlichung der ökonomischen Theorie allerdings als überaus voraussetzungsvoll und problematisch.

Im Anschluß an diese kurze Einführung in die neoklassische Nutzenlehre möchte ich nun die erheblichen Probleme dieses Ansatzes diskutieren[9]. Meine Kritik der subjektiven Wert- und Preistheorie habe ich in sieben Punkten zusammengefaßt, die selbstverständlich nicht streng getrennt voneinander verstanden werden können:

1. Der ahistorische Charakter der Grenznutzentheorie
Generell ist die Nutzenlehre absolut ahistorisch und abstrahiert von sämtlichen gesellschaftlichen Beziehungen. Die Gossenschen Gesetze gelten (potentiell) nicht zuletzt für alle Zeiten und Orte und auch eine sozialistische Wirtschaft, sondern auch einer Katze, die vor einem Schälchen Milch und einem Töpfchen Fleisch sitzt und ihre Bedürfnisse stillt kann unterstellt werden, daß sie den "Gossenschen Gesetzen" folgt. Dennoch handelt die Katze vollkommen außerhalb jener sozialer Formen und Preiszusammenhänge, die im Zusammenhang mit marktwirtschaftlichen Wirtschaftsstrukturen stehen. Somit kann nur eine apriorisch unterstellte Verhaltensrationalität der Gegenstand der Nutzenlehre sein, nicht aber historisch sich entwickelnde Produktionsverhältnisse und Organisationsweisen. Die Nutzentheorie kann gar nicht erklären, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen die Güter, die uns Nutzen stiften, produziert werden und wie subjektive Erwägungen objektiviert werden auf Märkten. Ohne diese produktiven Leistungen aber, die selbst wiederum unter historisch unterschiedlichen Bedingungen stattfinden, würden die Nutzen stiftenden Güter gar nicht existieren. Genausowenig erscheint es sinnvoll, „Knappheit“ als Ausgangspunkt ökonomischer Theoriebildung zu wählen, denn „Knappheit“ ist selbst gemachte „Knappheit“ und nichts von außen den Wirtschaftssubjekten „naturhaft“ entgegen tretendes. Robert Kurz hat dieses Problem sehr anschaulich beschrieben:

Innerhalb der realen Gesellschaftlichkeit eines warenproduzierenden Systems dagegen ist der Erklärungswert der Grenznutzenschätzungen von Gebrauchswerten gleich Null. Denn die Marktteilnehmer wägen zwar selbstverständlich beim Kauf ihren subjektiven Nutzen und den dafür zu zahlenden Preis ab; aber sie tun dies eben keineswegs voraussetzungslos, sondern unter objektivierten Bedingungen, die ihnen aufgeherrscht sind und die bereits apriori und unreflektiert in ihr Kalkül eingehen. Dabei verdreht die subjektive Wert- bzw. Preislehre Ursache und Wirkung. Denn normalerweise steht ja ein Gut nur deshalb in größerer Reichlichkeit zur Verfügung, weil die entsprechende Produktivität erhöht, also die aufgewendete Arbeitsmenge pro Exemplar vermindert und somit der objektive Wert der einzelnen Ware durch Verminderung seiner Arbeitssubstanz gesenkt worden ist“[10].

Die Knappheit eines Gutes kann also nicht unabhängig von den technologischen Produktionsbedingungen und Verhältnissen der effektiven Nachfrage verstanden werden, denn während die Erhöhung der Arbeitsproduktivität Produktionskosten senkt, hängt die „effektive Nachfrage“ nicht nur von Konsumentenbedürfnissen ab, sondern von kaufkräftiger Nachfrage (die wiederum die Produktion stimuliert). Der Sozialdemokrat Conrad Schmidt (1865-1932) hat diesen Sachverhalt bereits 1892 in einer der ersten ausführlichen Kritiken der Grenznutzenschule formuliert:

Selbstverständlich sind die billigen Produkte nicht nur darum billig, weil sie in Masse vorhanden, sondern sie sind in Masse vorhanden, weil sie billig. Die kolossale Mehrheit in der modernen Gesellschaft besteht aus armen Teufeln, die von allen Konsummitteln nur die billigsten Kaufen können. Die billigsten Waren werden also, eben weil sie billig, (...) am massenhaftesten produziert. Ihre Billigkeit aus der Menge abzuleiten, heißt Ursache und Wirkung miteinander verwechseln[11].

Der historische Charakter der bestehenden Produktionsweise wird von den Vertretern der „subjektiven Wertlehre“ also ebenso ignoriert wie die sozialen Vermittlungsformen, die sich zwischen das Individuum und die Gebrauchswerte seines Begehrs schieben. Die Ausblendung der historischen Spezifika der kapitalistischen Produktionsweise geht dabei einher mit der ideologischen Vereinheitlichung von Produktion und Konsum. Dabei werden Gesetzmäßigkeiten der Produktionssphäre und der Unternehmenstheorie umstandslos auf die psychologische Konstitution der „Wirtschaftssubjekte“ und damit die Haushaltstheorie übertragen[12]:

Das erste Gossensche Gesetz entspricht hierbei dem Gesetz des sinkenden Grenzertrags der Produktion während das zweite Gossensche Gesetz dem Gesetz des Ausgleichs der Profitraten in der klassischen Politischen Ökonomie entspricht[13].

Der Grund für diese methodische Vereinheitlichung liegt nicht in ihrer Plausibilität oder empirischen Beweisbarkeit, sondern in ihrer Notwendigkeit für die Integration der Haushaltstheorie in das neoklassische Gleichgewichtsmodell:

„Die traditionelle Standardökonomik muß (...) die Subsumierung der produzierenden und konsumierenden Individuen unter das formal einheitliche Akteurs- und Handlungskonzept (Nutzen oder Gewinn) maximierender Rationalität retten, um ihr allgemeines Gleichgewichtsmodell zu schützen[14].


Die Anwendung der Infinitesimalrechnung in der Haushaltstheorie ist also eine notwendige Voraussetzung, damit die neoklassische Wirtschaftstheorie überhaupt formal konsistent formulierbar ist. Das Postulat der Nutzenmaximierung läßt sich allerdings nur aufrecht erhalten, indem es ausschließlich formal und gleichgültig gegen jeden Inhalt aufgefaßt wird. Dergestalt „läßt die Standardökonomik Nutzen völlig unspezifiziert und erklärt, dieser sei allein der subjektiven Wertung des Individuums zugänglich“[15]. Der Ökonom Hans Raffée hat schon Ende der sechziger Jahre darauf hingewiesen,

„dass sich sämtliche menschlichen Verhaltensäußerungen mit dem Nutzenkonzept vereinbaren lassen und damit eine Abstraktionsebene erreicht ist, von der aus sich weder sinnvolle analytische noch prognostische Aussagen machen lassen“[16].

Letztlich ist diese formale Entleerung des „Nutzen“-Begriffs in der tautologischen Konstruktion des gesamten Modells angelegt, denn jeder beliebigen Handlung kann so ex post nutzenmaximierende Motivation unterstellt werden. Die englische Cambridge-Ökonomin Joan Robinson (1903-1983) schrieb deshalb gleich zu Beginn ihres Kapitals über „Die Nutzentheorie der Neo-Klassiker“ in ihrer Monographie „Doktrinen der Wirtschaftswissenschaft“:

„Der Nutzen ist ein metaphysischer Begriff von unüberwindbarer Zirkularität; Nutzen ist diejenige Eigenschaft der Güter, die den Individuen ihren Erwerb wünschenswert erscheinen läßt, und die Tatsache, daß die Individuen Güter zu kaufen wünschen zeigt wiederum, daß sie Nutzen haben“[17].

Für Gunnar Myrdal (1898-1987) war deshalb die subjektive Wertlehre „inhaltsleer“, denn „sie operiert mit einer abstrakten, zugegebenermaßen wirklichkeitsfremden Voraussetzung, die bereits alle Folgerungen enthält“[18]. Den Gipfel der Hilflosigkeit erklomm hierbei zweifellos der Nobelpreisträger Paul A. Samuelson, der zur Frage der Nutzenmaximierung nichts besseres zu sagen wußte als dass die Wirtschaftssubjekte „irgend etwas“ maximierten[19].

2. Die Konstruktionsprobleme eines „homogenen Nutzens“

Der Nutzen ist überhaupt nicht meßbar und er ist auch interpersonell nicht vergleichbar, denn unbekannte, subjektive Größen lassen sich nicht vergleichen. Auch ist Besitz nicht identisch mit Konsum und folglich hängt es sehr von dem spezifischen Gebrauchswert des jeweiligen Gutes ab, ob ihm überhaupt ein sinkender Grenznutzen zukommt. Gold und Diamanten sinken wie das Geld nie in ihrem Grenznutzen, denn sie verkörpern "Reichtum schlechthin"[20].

Freilich wird mit dem Konzept der „Indifferenzkurven“ (stillschweigend) eine intrapersonelle Vergleichbarkeit des Nutzens unterschiedlicher Gebrauchswerte angenommen. Diese Annahme ist aber äußerst problematisch, denn meine Bedürfnisse nach Brot, Urlaubreisen oder Tageszeitungen sind höchst heterogen. Ein „gemeinsames Nutzenniveau“ auf einer Indifferenzkurve setzt aber voraus, dass ich über einheitliche, homogene „Bedürfnisquanten“ verfüge, von denen jedes Einzelbedürfnis nur ein quantitativ gleicher Ausschnitt wäre[21]. Ohne diese Voraussetzung ist ein „einheitlicher Nutzenindex“ (und streng genommen auch das zweite Gossensche Gesetz) nicht konstruierbar. Da Bedürfnisse aber konkrete Bedürfnisse sind und der Nutzen eines jeden Gegenstandes, der ein bestimmtes Bedürfnis erfüllt, nur im Kontext dieses speziellen Bedürfnisses relevant ist, bleibt die „Einheitlichkeit“ und „Homogenität“ des Nutzens (oder die Idee eines „Einheitsbedürfnisses“) rätselhaft[22]. Mein Bedürfnis nach Nahrung wird von einem Fahrrad genausowenig befriedigt werden wie mein Bedürfnis nach Fortbewegung von einer Bratwurst (außer vielleicht in sehr speziellen Sonderfällen!). Ebenso, darauf verweist Reinhold Hedtke[23], kann auch ein und dasselbe Gut überaus heterogene Bedürfnisse befriedigen – was in Widerspruch zur standardökonomischen Annahme steht, daß jedem Gut nur ein Nutzen zugeordnet wird[24].

Der Übergang vom Kardinalismus zum Ordinalismus erweist sich hier bereits als sehr voraussetzungsvolle Scheinlösung, die ihrerseits voller ungelöster Probleme steckt und beispielsweise die interpersonelle Unvergleichbarkeit des Nutzens in eine (nicht weniger problematische) intrapersonelle verwandelt.

3. Die nutzentheoretische Verdrängung der Preisform

Der Nutzen ist im Hinblick auf subjektivistische Preisbildungsgesetze auch nicht unabhängig vom Budget (Einkommen, Vermögen) des handelnden Subjektes denkbar. Wir verfügen also nur über begrenzte und zwischen den Wirtschaftssubjekten sehr ungleich verteilte Budgets, anhand deren wir den Preis, den wir für ein Gut zu zahlen bereits sind, äußern. Unsere Einkommen sind aber selbst als Lohneinkommen bzw. Kapitaleinkommen bereits preisförmig bewertete Budgets. Der unter „Budgetrestriktionen“ stehende "Nutzen" steht also in strikter Abhängigkeit von preisförmig vorausgesetzten Kaufkraftstrukturen. Wir haben ein preisförmig zustande gekommenes Budget (z.B. einen Lohn oder einen Unternehmergewinn) und äußern unsere Bedürfnisse über das Geld, das wir für die Güter unseres Bedarfs ausgeben.

Ein "Nutzen" unabhängig von der Preisform oder ihr logisch vorgelagert existiert nicht, außer wir lassen Budgets (oder „Anfangsausstattungen“) einfach vom Himmel regnen.

In seiner frühen Kritik der neoklassischen Nutzenlehre hat der Sozialdemokrat Conrad Schmidt deshalb den Geltungsbereich der Grenznutzentheorie darauf beschränkt,

„die Formel zu finden, nach der bei gegebenen Güterpreisen das Individuum seine Geldeinkommen verteilt(...) Der Irrtum und der unlösbare Widerspruch beginnt, sobald man den der Grenznutzenüberlegung gegebenen Güterpreis aus dieser Grenznutzenüberlegung selbst ableiten will“[25].

Eine Ableitung des Preises selbst, das sah Conrad Schmidt bereits, wäre also ein „unlösbarer Widerspruch“, denn jegliche Nutzenschätzung kann nur vor dem Hintergrund bereits preisförmig vorliegender Budgets stattfinden etc. Wir müssen also, um Marktpreise als Preise erklären zu können, die Preisform universell voraussetzen, denn sie konstituiert bereits die preisförmigen Einkommen, mittels deren dann die Wirtschaftssubjekte ihre Transaktionen tätigen. Die Idee, man könnte einen subjektiven Nutzen streng kausal zur Ursache der Preisbildung außerhalb der Preisform erklären, ist irrsinnig. Das Subjekt erscheint ohne Kaufkraft nämlich gar nicht auf dem Markt, sondern drückt sich die Nase platt an Schaufenstern und kann seine Bedürfnisse nicht befriedigen. Sobald es aber über Kaufkraft verfügt, ist es Teil einer über den Tauschwert vermittelten „Warenproduktion mittels Waren“[26].

Auch setzt das Konzept der Indifferenzkurven den Vergleich Gebrauchswert gegen Gebrauchswert voraus und abstrahiert komplett von der Geldform. Werner Hofmann macht diesen Sachverhalt gegen die prämonetäre Präferenzlehre von John R. Hicks (1904-1989) geltend:

„In Wahrheit vergleichen die Konsumenten eine Ware nicht mit einer anderen Ware, sondern mit ihrem Preis. Die Grenzrate der Substitution einer Ware ist also die Grenzrate ihrer Substitution gegen Geld“[27].

Wenn Hicks allen Ernstes glaubt, daß seine Präferenzordnung „ihrerseits unabhängig von den Preisen ist“[28], verbleibt er wiederum in prämonetären Nutzenschätzungen bzw. Präferenzordnungen, denen die Warenform und das Preisgeschehen vollkommen äußerlich bleibt. In marxistischer Terminologie vollziehen seine Wirtschaftssubjekte ihre Präferenzhandlungen im Rahmen der „einfachen Wertform“, in welcher sich noch kein allgemeines Äquivalent aus dem Tauschprozeß herausgeschält hat. Der Bezug auf das Geld bleibt dem Zirkulationsprozeß[29] dergestalt rein äußerlich und unterliegt dem „Geldschleier“-Theorem. Erst nachdem die Nutzenschätzungen naturalwirtschaftlich abgeschlossen und quantifiziert sind, tritt das Geld als redundantes Nebenprodukt am Ende dieser Kausalkette rein äußerlich auf den Plan. Mit realen Preisbildungsprozessen hat diese Sichtweise selbstverständlich nicht das Geringste zu tun.

Die erkenntnistheoretischen Defizite, die sich aus der Konzentration der neoklassischen Nutzenlehre auf den Gebrauchswert ergeben, hat erstmals der marxistische Philosoph und Nationalökonom Alfred Sohn-Rethel (1899-1990) herausgearbeitet.

Nach Sohn-Rethel ignoriert die Grenznutzenlehre „die Realität des Tausches als gesellschaftlicher Verkehrsform“[30], denn sie übersieht in ihrer Fixierung auf die Beziehung des Wirtschaftssubjektes zu dem Gebrauchswert die Art und Weise, wie Gebrauchswerte gesellschaftlich vermittelt und (über den Tausch) erst zu Gebrauchswerten gemacht werden. Der Preis ist nämlich ein anderer Ausdruck dafür, daß gesellschaftliche Arbeitsteilung herrscht und die Produkte erst Gebrauchswerte werden, wenn an ihnen ein Formwandel vollzogen wurde. Dieser Formwandel findet statt über den Tauschwert, der dem Gut eine gesellschaftliche Form gibt, die es als Produkt unabhängig voneinander produzierender, privater Produzenten annehmen muß um vom Produzenten zum Konsumenten zu gelangen und so „Gebrauchswert für andere“ (nicht für den Produzenten, denn wir leben nicht in einer Subsistenzwirtschaft) zu werden.

Wird der Gebrauchswert aber mit dem Tauschwert gleich gesetzt, geht dieser Formwandel der Ware verloren und die logische Verbindung von Produktion und Zirkulation, von Gebrauchswert und Tauschwert, wird eingeebnet. Auf dieser Basis freilich kann die Geldform als zentrales Element der gesellschaftlichen Verkehrsweise dem gesamten Produktions- und Zirkulationsprozeß nur rein äußerlich eingefügt werden:

„Die Umsetzung der Bedürfnisse in Wertquanten ist als äußere Gegebenheit (!) in die Theorie hineingezogen“[31].


Hans-Georg Backhaus wirft der Standardökonomie daher vor, daß sie den ökonomischen Gegenstand nur in einer Art und Weise zu erfassen vermag, die dazu tendiert „permanent erste und zweite Natur zu verwechseln, d.h. das Problem der Gegenständlichkeit ihres Gegenstand laufend zu verdrängen“[32]. Dabei ist mit der „zweiten Natur“ die spezifisch soziale Dimension gemeint, die sich neben der unmittelbar-physischen Gegenständlichkeit (der „ersten Natur“) durch die historisch spezifische Bearbeitung und Vermittlung der Gebrauchswerte konstituiert. Während der Gebrauchswert also eine unmittelbar physische Eigenschaft einer Sache verkörpert, stellt der Tauschwert eine „realabstrakte“, mittelbare Eigenschaft dar. Georg Simmel sprach deshalb in seiner „Philosophie des Geldes“ davon, dass nicht nur die „Betrachtung der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft selbst sozusagen in einer realen Abstraktion (...) besteht“[33]. Wenn diese „reale Abstraktion“ nicht bedacht wird, versagt die gesamte Objektbestimmung der Ökonomie und die Wissenschaft „berechnet also Qualitätsloses, Monströses, vermag somit nicht zu bezeichnen, was ihr tagtäglich begegnet, was von ihr berechnet wird“[34].

Das große Problem der „subjektiven Werttheorie“ besteht somit in ihrer Unfähigkeit, die spezifische Qualität des Tauschwertes und der Geldform plausibel zu machen und somit die Überführung (heterogener) physischer Größen in (homogene) Wertgrößen zu erklären. Dieses Verdrängte kehrt in der Nationalökonomie allerdings beständig wider und erinnert sie immer wieder an ihre eigenen Aporien[35].

4. Die Redundanz subjektiver Nutzenschätzungen in der Preislehre

Die Nutzentheorie ist in dem Moment ohnehin überflüssig, in dem kapitalistische Handlungsrationalität der Unternehmer und Mobilität des Produktionsfaktors "Kapital" vorausgesetzt werden. Wo nämlich die Kapitalisten aufgrund "subjektiver Nutzenschätzungen" (genauer: effektiver Zahlungsbereitschaft bzw. Nachfrage) ihrer Kunden einen unterdurchschnittlichen oder gar keinen Profit machen würden, würde Kapital abgezogen und in profitablere Sektoren investiert werden. Durch das zurückgehende Angebot im einen und das steigende Angebot im anderen Sektor würde sich ein neues System relativer Preise ergeben, das dem Verwertungsbedürfnis des Kapitals wieder entspricht. Besonders die neoricardianische Schule der Nationalökonomie im Gefolge Piero Sraffas hat auf die sich aus dieser Tatsache ergebende Irrelevanz der neoklassischen subjektiven Werttheorie immer wieder hingewiesen[36].

Zur Bestimmung von Preisen und Einkommen sind subjektive Nutzenschätzungen prinzipiell irrelevant, denn der individuelle "Nutzen" kann sich ja nur unter den historischen Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise äußern, und dies impliziert eben mobiles und verwertungsorientiertes Kapital.

5. Die Selbstwidersprüche der ordinalen Nutzentheorie

Weil der Nutzen nicht meßbar ist haben die Nationalökonomen, wie gesehen, die kardinale Nutzentheorie zur ordinalen weiter entwickelt. Die ordinale Nutzentheorie mißt nun nicht mehr den absoluten Nutzen (den festzustellen eben unmöglich ist), sondern es wird gefragt, ob ein bestimmtes Nutzenniveau höher oder niedriger ist als ein anderes - diese Frage gilt nämlich im Gegensatz zur Bestimmung eines absoluten Nutzens als beantwortbar[37].
Diese Idee ist bei genauer Betrachtung aber äußerst voraussetzungsvoll und kann die inhärenten Probleme der älteren Nutzenlehre keineswegs überwinden. Der österreichische Mathematiker Herbert Auinger hat dies sehr deutlich kritisiert in seinem Buch "Mißbrauchte Mathematik" (1995):


"Man kann zwar nicht feststellen, wie hoch der Nutzen eines Gutes ist, aber dass es höher oder niedriger ist als der eines anderen Gutes, dessen Nutzengröße ebenfalls unbekannt ist - das soll erkennbar sein? Die Größe verschiedener 'Nutzensituationen' läßt sich nicht ermitteln, der Unterschied dieser Größen aber schon? Das ist ein Ding der Unmöglichkeit, denn die Konstatierung des bestimmten Unterschieds, ja schon die bloße Feststellung, daß ein solcher oder auch eine Indifferenz vorliege, unterstellt das Vorhandensein zweier Größen, deren Unterschied bzw. Gleichheit doch wohl gemeint ist"[38].


Während also beständig suggeriert wird, dass der kardinale Nutzen widerspruchsfrei überwunden wurde, wird er beständig in Anspruch genommen und vorausgesetzt[39]. Entlang der „Indifferenzkurven“ soll der Wert schließlich konstant sein und die Kurve selbst ein einheitliches „Nutzenniveau“ darstellen. Es ist klar, dass dieses Konstrukt durch die Hintertür wieder voraussetzt, dass die Nutzenbewertungen für die Güterbündel bekannt sind. Der Vergleich dieser zwei Größen hebt ja nicht die Existenz dieser zwei Größen auf. Die Idee Paretos und seiner Nachfolger, die Probleme der alten Nutzenlehre zu überwinden, ist also vollkommen mißlungen und beruht auf dem nicht sehr kreativen Trick, das Kausalverhältnis der kardinalen Nutzenlehre auf den Kopf zu stellen und aus dem fertigen Ergebnis den Ausgangspunkt abzuleiten.

Spätere Versuche, dieses Konzept in einen Präferenzordnungsansatz zu überführen, fallen nicht weniger nihilistisch und methodisch kurios aus. Sie laufen letztlich darauf hinaus, „Verhalten ohne irgend etwas anderes als Verhalten zu erklären“[40], also fertige Ergebnisse mit fertigen Ergebnissen zu begründen und eigentlich gar nichts mehr zu erklären[41]. Der englische Cambridge-Ökonom Maurice Dobb (1900-1976) hat diese vollkommene Entleerung der ökonomischen Theorie in einem Aufsatz aus dem Jahre 1949 so kommentiert:

„Macht man sich die Mühe, die Aussagen über die Nachfrage, die alle als wichtige Determinanten ins ökonomische Bild eingesetzt werden, genau zu analysieren, so wächst der Verdacht, hinter ihnen verberge sich nichts Besseres als die Binsenweisheit, dass bestimmte Dinge zu bestimmten Preisen verkauft werden, weil die Konsumenten sie zu diesen Preisen verkaufen (bzw. die Produzenten sie zu diesen Preisen verkaufen, HPB). Das mag wie Parodie klingen. Exakte Untersuchungen würden jedoch, wie ich meine, erweisen, dass die moderne Preistheorie zu keinen triftigeren Erkenntnissen (...) vorgestoßen ist“[42].


Die neoklassische Nutzenlehre hat sich also in letzter Instanz selbst aufgehoben in einer „Preislehre“, die nur noch das Bestehende feststellt und ihm eine inhaltsleere „Gesetzmäßigkeit“ unterstellt. Weil jeder Erklärungsversuch gescheitert ist wurde aus diesem Problem eine Tugend gemacht, indem einfach der Spieß umgedreht und das reale Ergebnis zum Ausgangspunkt gemacht wurde, dem dann ex post die nicht falsifizierbare Maximierung von „irgend etwas“ (Samuelson) unterstellt wird[43].

6. Der implizite Kollektivismus der subjektiven Wertlehre

Der Nutzen bzw. Bedürfnisse existieren selbst nicht außerhalb kultureller Normen und menschliches Verhalten ist, gerade was Wertungen angeht, keineswegs durchgehend rational. Die "Maximierung des Nutzens" bleibt somit in jeder nur denkbaren Variante eine inhaltslose Leerformel, denn niemand kann genau sagen, was da eigentlich „maximiert“ wird. Eine subjektive Wertlehre müßte eigentlich bereits per definitionem davon ausgehen, dass subjektive Handlungen subjektiven Motiven folgen und somit eine einheitliche „Rationalität“ und somit kollektive Gesetzmäßigkeiten auf sinnvollem Wege nicht konstruierbar sind.

Wenn jedes Individuum in der Wirklichkeit subjektiv wertet, kann es keine allgemein verbindlichen Darstellungen in Form von Nutzenkurven und keine allgemein unterstellbare Maximierungsrationalität geben, denn sonst würde ja allen Individuen in diesem Punkt ein kollektives, über-subjektives Verhalten unterstellt.

Damit wäre aber die "subjektive Nutzenlehre" doch letztlich wieder eine objektive“ Wertlehre, denn sie würde objektivistische Annahmen über subjektive Dispositionen machen. Wäre sie tatsächlich subjektivistisch, dürfte sie nichts allgemein Verbindliches unterstellen, also keine kollektivistischen Annahmen über subjektive Verhaltenspotentiale machen[44].

Die universelle Geltung der Gossenschen Gesetze impliziert also im Gegensatz zum Anspruch, eine subjektive Wertlehre aufzustellen einen methodischen Kollektivismus[45] bzw. eine allgemein verbindliche „Normativität des Nutzenbegriffs“[46]. Wer anders wertet als die Gossenschen Gesetze bzw. die Rationalitätsaxiome der Präferenzlehre behaupten (oder einfach gar nicht rational entscheidet), verstößt aber gegen die Anforderungen zur Vereinheitlichung der ökonomischen Theorie und die Notwendigkeiten der Infinitesimalrechnung, ohne welche die Haushaltstheorie nicht in die Gleichgewichtslehre integrierbar wäre.

7. Die verdrängten Implikationen der Grenznutzenlehre

Die Grenznutzenlehre wurde auch von sozialistischer Seite durch die sozialistischen Utilitaristen adaptiert und gegen die apologetische Interpretation durch die bürgerlichen Nutzentheoretiker kritisch gewendet[47]. Wie bereits der Urvater des Utilitarismus, Jeremy Bentham gezeigt hat, kann der gesellschaftliche Totalnutzen durch eine gleichmäßige Einkommensverteilung erhöht werden, da der marginale Nutzen zusätzlicher Einkommenseinheiten bei reichen Menschen geringer ist als bei armen. Gunnar Myrdal faßte Benthams Position so zusammen:

„Jeder Pfennig, den die Kapitalisten und Grundbesitzer den Armen vorenthalten, mindert deren Nutzen weit mehr, als er den Nutzen jener erhöht“[48].


Die konsequente Anwendung der neoklassischen Nutzenlehre führt also zur Hinterfragung der gesellschaftlichen Verteilungsverhältnisse, denn ein Reicher profitiert von zusätzlichem Reichtum viel weniger als ein Armer. Niemand anderes als der Ökonom Arthur Cecil Pigou (1877-1959), Nachfolger Alfred Marshalls an der Universität Cambridge, England, redete dieser Sicht auf das Verteilungsproblem das Wort[49]. Pigous „interventionistische“ Position blieb allerdings eine Außenseitermeinung im herrschenden Wissenschaftsbetrieb. Ein überzeugter Neoklassiker kann auf die sozialistisch interpretierte Nutzenlehre natürlich erwidern, daß mit der interpersonellen Nicht-Vergleichbarkeit der subjektiven Nutzenschätzungen eine solche Nivellierung der Einkommensunterschiede jeder fundierten Begründung entbehrt. Allerdings muß der Neoklassiker dann wiederum davon ausgehen, daß es keine Bedürfnishierarchie gibt[50], die den Nutzen eines Brotes für den Verhungernden dringlicher erscheinen läßt als den Nutzen des zwanzigsten Rolls Royce für den Milliardär. Die Zustimmung des Milliardärs zu diesem ökonomischen Konzept dürfte entsprechend größer ausfallen als die des Verhungernden.

Es darf deshalb angesichts der gesamten Problematik nicht überraschen, dass Gunnar Myrdals Bilanz zur subjektiven Wertlehre ausgesprochen negativ ausfällt:


"Sieht man sich die praktischen Resultate der subjektiven Wertlehre an, so ist man nicht gerade überwältigt. Sie lehrt uns nichts über die Wirklichkeit und hilft uns niemals, praktische Probleme zu lösen. Sie gibt uns ein abstraktes, unfruchtbares (...) Schema, das selten mit einer konkreten Situation in Beziehung gebracht werden kann, ohne die ganze Problemstellung zu verflachen"[51].

Der einzige Nutzen der subjektiven Wertlehre liegt wohl darin, dass sie das Bestehende unkritisch hinnimmt und dem globalen Kapitalismus einen ökonomietheoretischen „Persilschein“ ausstellt. Die Trennung von Lohnarbeit und Kapital wird dabei in der theoretischen Konstruktion von Haushalts- und Unternehmenstheorie ebenso selbstverständlich und unbegründet vorausgesetzt wie die gerechte Lohnfindung auf einem deregulierten Arbeitsmarkt. Die mit der Privateigentumsproblematik sich eigentlich aufdrängende Machtproblematik wird selbstverständlich ignoriert und mit den Mitteln des „methodologischen Individualismus“ entschärft. Mit der Konzentration auf den „Nutzen“ und den Gebrauchswert der Güter verliert diese Lehre die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Formbestimmungen der Ware aus den Augen. Der Betrieb geht weiter, kann aber nicht mehr durchschaut werden. Wenn die von mir in diesem Text formulierten Überlegungen eines deutlich machen sollen dann ist es dies, dass die Verrenkungen, welche die neoklassische Standardökonomie vollziehen muß um ihren „Persilschein“ ausstellen zu können, beträchtlich sind und von jedermann erkannt und entsprechend bewertet werden können. Literatur:

-- Hans Albert (1965): Zur Theorie der Konsum-Nachfrage. Aus: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Band 16/1965, Göttingen.

-- ders. (1968): Erwerbsprinzip und Sozialstruktur. Zur Kritik der neoklassischen Marktsoziologie. Aus: Jahrbuch für Sozialwissenschaft, Band 19/1968, Göttingen.

-- ders. (1977): Individuelles Handeln und soziale Steuerung. Die ökonomische Tradition und ihr Erkenntnisprogramm. Aus: Hans Lenk (Hg., 1977): Handlungstheorien interdisziplinär IV, München.

-- Herbert Auinger (1995): Mißbrauchte Mathematik, Frankfurt a.M.

-- Hans-Georg Backhaus (1997): Dialektik der Wertform, Freiburg.

-- ders. (2000): Die „Verrücktheit“ des Geldes aus der Perspektive der Marx’schen Analyse des „Geldfetischs“. Aus: Der Blaue Reiter, Journal für Philosophie, Heft 11/2000, Stuttgart.

-- ders. (2002): Der widersprüchliche und monströse Kern der nationalökonomischen Begriffsbildung. Aus: Iring Fetscher u.a. (Hg., 2002): Emanzipation als Versöhnung, Frankfurt a.M.

-- Karl-Heinz Brodbeck (2000): Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie, Darmstadt.

-- Hans-Peter Büttner (2007): Was ist falsch am Neoliberalismus? Online veröffentlicht unter: http://oeffingerfreidenker.blogspot.com/2007/01/was-ist-falsch-am-neoliberalismus.html

-- Günther Chaloupek (1986): Marxistische Kritik an der Österreichischen Schule. Aus: Norbert Leser (1986): Die Wiener Schule der Nationalökonomie, Wien.

-- Maurice Dobb (1966): Organisierter Kapitalismus. Fünf Beiträge zur politischen Ökonomie, Frankfurt a.M.

-- Heinz Dombrowski u.a. (1978): Symposium Warenform-Denkform, Frankfurt a.M./New York.

-- Eberhard Feess-Dörr (1992): Mikroökonomie, Marburg.

-- Hans Utz Foerderreuther u.a. (Hg., 1972): Gesamtwirtschaftliche Grundbegriffe und –beziehungen. Teil 1: Wert- und Preislehre. Aus: Mehrwert. Beiträge zur Kritik der Politischen Ökonomie Heft 1/1972, Erlangen.

-- Hans Frambach (1996): Nutzen- und tauschtheoretische Grundlagen in der Entwicklung der Neoklassik. Aus: Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Heft 1/1996, Berlin.

-- John Kenneth Galbraith (1990): Die Entmythologisierung der Wirtschaft. Grundvoraussetzungen des ökonomischen Denkens, Wien/Darmstadt.

-- Reinhold Hedtke (2001): Konsum und Ökonomik, Konstanz.

-- Werner Hofmann (1969): Universität, Ideologie, Gesellschaft, Frankfurt a.M.

-- ders. (1971): Wert- und Preislehre. Sozialökonomische Studientexte Band I, Berlin.

-- Robert Kurz (1998): MARX 2000, S. 92. Aus: Zeitschrift für kritische Theorie, Nr. 7/1998, Lüneburg. Im Internet verlinkt unter: http://www.trend.partisan.net/trd1000/t191000.htm

-- Ian Little (1966): Eine Neuformulierung der Theorie des Konsumentenverhaltens. Aus: Erich und Monika Streissler (Hg., 1966): Konsum und Nachfrage, Köln/Berlin.

-- Gunnar Myrdal (1963): Das politische Element der nationalökonomischen Doktrinbildung, Bonn.

-- Karl Pribram (1992): Geschichte des ökonomischen Denkens, Frankfurt a.M.

-- Hans Raffée (1969): Konsumenteninformation und Beschaffungsentscheidung des privaten Haushalts, Stuttgart.

-- Gisbert Rittig (1950/51): Die Indeterminiertheit des Preissystems. Aus: Jahrbuch für Sozialwissenschaft Band I/1950 und Band II/ 1951.

-- Joan Robinson (1965): Doktrinen der Wirtschaftswissenschaft, München.

-- Georg Simmel (1989): Philosophie des Geldes. Georg Simmel Gesamtausgabe Band 6, Frankfurt a.M.

-- Fritz Söllner (2001): Die Geschichte des ökonomischen Denkens, Berlin.

-- Alfred Sohn-Rethel (1978): Warenform und Denkform, Frankfurt a.M.

-- Piero Sraffa (1976): Warenproduktion mittels Waren, Berlin.


[1] Was natürlich rein logisch bedeuten würde, dass einem Nutzenwert U zwei Sättigungsmengen entsprächen, nämlich einmal der Punkt auf dem aufsteigenden Teil der Kurve bis zum Scheitelpunkt und dann der entsprechende Punkt mit gleichem U-Wert auf dem abnehmenden Kurvenabschnitt. Allein der Scheitelpunkt würde ein eindeutiges Ergebnis für einen entsprechenden Nutzenwert von U liefern.

[2] Als Überblick zur Entwicklung der Neoklassik von der frühen zur zeitgenössischen Nutzen- und Tauschtheorie sh. den Aufsatz von Hans Frambach (1998).

[3] Sh. Fritz Söllner (2001), S. 125.

[4] „Versuche zur Bestimmung kardinaler Nutzenfunktionen bzw. der konsistenten kardinalen Messung des Nutzens scheiterten“, so Fritz Söllner (2001) in seinem Lehrbuch „Die Geschichte des ökonomischen Denkens“, S. 63.

[5] Die neoklassische Präferenzordnung stellt eine Rangordnung aller denkbaren Güterkombinationen auf nach dem Kriterium, ob ein Haushalt sie vorzieht oder ihnen indifferent gegenübersteht. „Anforderungen an die neoklassische Präferenzordnung sind Vollständigkeit, Transitivität, Reflexivität, Nicht-Sättigung und Konvexität“ (Eberhard Feess-Dörr (1992), S. 502. Zur genauen Bedeutung dieser Begrifflichkeiten sh. ebd., S. 186 ff.).

[6] Die Kurve impliziert unendliche Teilbarkeit und Substituierbarkeit der Güter und abstrahiert vom Geld. Zweifellos ist besonders die Annahme grenzenloser Substituierbarkeit der Güter äußerst unrealistisch, denn wie soll Brot Wein „ersetzen“ oder auch nur Wein Wasser? Die Idee der Substituierbarkeit macht mit Bezug auf den Gebrauchswert der Güter keinen plausibel zu machenden Sinn. Eine solche Annahme kann nur in Bezug auf den Tauschwert der Güter vernünftig begründet werden.

[7] Karl-Heinz Brodbeck (2000), S. 84.

[8] Die Frage nach der strikten Trennung der dem Erwerbsprinzip unterworfenen Unternehmenstheorie von der auf die Haushaltsebene beschränkten Nutzenanalyse hat Hans Albert verschiedentlich aufgeworfen. Seiner Annahme gemäß muß die Existenz zweier streng getrennter Rationalitätsbereiche zu Schwierigkeiten führen, „denn diese Annahmen beziehen sich – zumindest in Bezug auf Leute in Unternehmerrollen – auf den gleichen Personenkreis, so daß eine – keineswegs unproblematische – Abgrenzung von Verhaltenssphären vorgenommen werden müßte“ (Hans Albert (1977), S. 191). Albert folgert deshalb ganz richtig: „Ganz abgesehen davon ist das Erwerbsprinzip im Hinblick auf die grundlegende Systemidee des Benthamschen Programms eine störende Annahme, wenn nicht gezeigt werden kann, wie sie auf das Nutzenprinzip zurückgeführt werden kann“ (ebd.). Wenn der Unternehmer nämlich einerseits der neoklassischen Nutzenmaxime folge und sich andererseits „wie ein Puritaner verhalte, der den Profit nicht um des dadurch möglichen Konsums willen, sondern um seiner selbst willen anstrebe“ (Hans Albert (1968), S. 20), liegt ein Konflikt der beiden Prinzipien vor. Dieses Problem wird in dem Moment sichtbar, in dem Gewinnmaximum und Nutzenmaximum, die sich ihrerseits mit Bezug auf einen Unternehmer auf Indifferenzkurven darstellen lassen, nicht zusammenfallen, sondern differieren (sh. ebd., S. 20 ff.).

[9] Die Probleme der neoklassischen Kapitaltheorie und der Grenzproduktivitätstheorie der Verteilung habe ich bereits behandelt in meinem Aufsatz „Was ist falsch am Neoliberalismus“ (Büttner 2007).

[10] Robert Kurz (1998), S. 92. Hervorh. von mir.

[11] Zit. nach Günther Chaloupek (1986), S. 206. Hervorh. von mir.

[12] Zur Kritik dieser „Verallgemeinerung des Unternehmertypus“ sh. Werner Hofmann (1969), S. 101 ff., S. 106 ff., und S. 129 ff.

[13] Die Identität der Indifferenzkurven in der Haushaltstheorie mit den Isoproduktkurven in der Unternehmenstheorie habe ich als weiteres Beispiel bereits angeführt.

[14] Reinhold Hedtke (2001), S. 151. Hervor. von mir.

[15] Ebd., S. 147. Reinhold Hedtke verweist ferner darauf, dass der neoklassische Nutzenbegriff normativ aufgeladen ist und in seiner Gleichgültigkeit gegen bestehende Zwecke impliziert, dass „das Faktische auch als das Richtige und Gute betrachtet werden muß“ (ebd., S. 146).

[16] Hans Raffée (1969), S. 58 f.

[17] Joan Robinson (1965), S. 60. Hervorh. von J.R.

[18] Gunnar Myrdal (1963), S. 89. Hervorh. von mir.

[19] Herbert Auinger (1995), S. 57.

[20] Letztlich kann man, wenn man jedes Gut als Träger der Wert-Eigenschaft betrachtet, die für seinen Besitzer „Vermögen“ darstellt, die gesamte Grenznutzenlehre auch von hier aus verabschieden, denn diese Eigenschaft, „Vermögen schlechthin“ zu verkörpern, läßt den Besitz-Willen maßlos und unersättlich werden.

[21] Diesen Punkt diskutieren auch Foerderreuther u.a. (1972), S. 156, die betonen, dass die neoklassische Nutzenlehre „einen abstrakten gemeinsamen Nenner“ voraussetzt, der letztlich „unabhängig und vor allem Tausch als Naturmaßstab in der Brust der isolierten Individuen existiere“. Ein solcher „abstrakter Nutzen“ stellt allerdings ein epistemologisch und psychologisch überaus seltsames Konstrukt dar, das noch kein Nationalökonom zu erklären vermochte.

[22] Werner Hofmann (1971, S. 195) verweist darauf, dass die Logik der Indifferenzkurven, also die „Ersetzbarkeit von Gütern zur Erzielung des gleichen Erfolges, nur bei den Produktivgütern (also in der Produktionswirtschaft!) [existiert], nur sehr selten dagegen bei den ‚Genußgütern’“. Auch hier wird also die Logik der Unternehmenstheorie einfach auf die Haushaltstheorie übertragen.

[23] Reinhold Hedtke (2001), S. 153.

[24] So kann eben beispielsweise ein Auto die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse nach Mobilität, Statussymbolik und Ästhetik erfüllen.

[25] Zitiert nach Günther Chaloupek (1986), S. 197. Erste Hervorh. von mir, zweite im Original.

[26] So auch der Titel des Hauptwerkes des englischen Cambridge-Ökonomen Piero Sraffa (auf deutsch im Suhrkamp-Verlag 1976 erschienen), das als „Einleitung zu einer Kritik der ökonomischen Theorie“ (so der Untertitel) gedacht war. Sraffa hat bereits in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts die neoklassische Nutzentheorie in ihrer Marshallschen Gestalt gründlich zerpflückt. Sh. dazu das Nachwort von Bertram Schefold in Piero Sraffa (1976), S. 133 ff.

[27] Werner Hofmann (1971), S. 224.

[28] Zit. nach ebd., S. 225.

[29] Überlegungen zum Produktionsprozeß, der dem Subjekt erst die Gebrauchswerte für seine Nutzenschätzungen liefert, bleiben hier noch gänzlich außen vor.

[30] Alfred Sohn-Rethel in einem Interview in Heinz Dombrowski u.a. (1978), S. 22.

[31] Alfred Sohn-Rethel (1978), S. 251.

[32] Hans-Georg Backhaus (1997), S. 27.

[33] Georg Simmel (1989), S. 57. Hervorh. von mir.

[34] Hans-Georg Backhaus (2002), S. 116.

[35] Sh. dazu auch Hans-Georg Backhaus (2000) und den Aufsatz „Zur logischen Misere der Nationalökonomie“ in Backhaus (1997), S. 431-500.

[36] Sh. dazu Bertram Schefolds Ausführungen in Piero Sraffa (1976), S. 133 ff.

[37] Wobei die Rationalität des Individuums im Falle zweier identischer Nutzenniveaus zweier gleichwertiger Güter oder Güterbündel versagen würde. Das Individuum hätte dann keine rationale Entscheidungsgrundlage mehr, sich für die eine oder die andere Alternative zu entscheiden. Es würde hilflos dastehen wie Buridans Esel zwischen den beiden Heuballen.

[38] Herbert Auinger (1995), S. 59.

[39] Gisbert Rittig (1950/51, S. 240) formuliert das zusammenfassend so, dass die Indifferenzkurventheorie zwar nicht mehr zu erklären versucht, „wie das Individuum seinen Nutzenkosmos durchrechnet, wie es zu seinen Ergebnissen kommt“, dass sie aber einfach „das fertige (...) Ergebnis verlangt. Die Indifferenzkurventheorie schiebt den ganzen Güter-Nutzenzusammenhang dem Individuum zu und kümmert sich nicht weiter darum, wie es damit fertig wird, sie nimmt aber an, dass es damit fertig wird“. Dies sei allerdings „ein formaler Trick, der das Grundproblem weder ausschaltet noch löst noch erledigt“ (ebd., S. 84).

[40] Ian Little (1966), S. 182.

[41] Inwiefern allerdings auch diese Ansätze letztlich wieder auf psychologische Faktoren Bezug nehmen müssen diskutiert Karl Pribram (1992), S. 872 ff.

[42] Maurice Dobb (1966), S. 34. Zur Kritik am Präferenzansatz sh. Reinhold Hedtke (2001), S. 164 ff. Günther Chaloupek (1986, S. 221) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wenn er schreibt: “Das Gefühl der Sterilität, das die heutige Mikroökonomie bei vielen hinterlässt, resultiert daraus, dass ein ungeheurer formaltheoretischer Aufwand betrieben wird, aus dem man nicht sehr viel mehr als Selbstverständlichkeiten ableiten kann”.

[43] Zur Kritik an den tauschtheoretischen Grundlagen der zeitgenössischen neoklassischen Ansätze von Lancaster und Becker sh. Hans Frambach (1996), S. 107 ff. Auch diese Ansätze sind der Kritik ausgesetzt, „weder wirkliche Erklärungskraft aufzuweisen, noch falsifizierbar und schon gar nicht anwendbar zu sein“ (ebd.). Aufgrund der Fortsetzung der subjektivistischen Tradition „kann keinesfalls eine Vermeidung inhaltsleerer ökonomischer Modelle garantiert werden“ (ebd.). Die kuriosen Immunisierungsstrategien Beckers erörtert Hans Frambach ebd. auf Seite 108.

[44] Nach Reinhold Hedtke (2001, S. 147) scheiden aufgrund der neoklassischen Konsumtheorie bereits eine Reihe von Konsumorientierungen dem Konzept der Nutzenmaximierung zum Opfer, z.B. „Konsum als Selbstzweck, etwa zur habituell gesteuerten physischen, psychischen und sozialen Selbsterhaltung des Individuums, oder einfach als Gewohnheit“.

[45] Diesen Punkt sieht auch Hans Albert (1965), wenn er das (kollektivistische) Konstrukt des „idealen Konsumenten“ kritisiert, bei dem „homogene Gruppen von Konsumenten vorausgesetzt werden“ (ebd., S. 165). Albert kritisiert deshalb auch die unkritische Verwendung „kollektiver Nachfragekurven“, da die „Frage der Addierbarkeit individueller Nachfragekurven und verwandte Fragen“ methodisch vollkommen ungeklärt sind.

[46] Sh. dazu Reinhold Hedtke (2001), S. 147.

[47] Von keynesianischer Seite wurde die neoklassische Zinstheorie unter Rückgriff auf das Keynessche „fundamentale psychologische Gesetzes“ kritisiert. Hier argumentieren die Keynesianer, dass mit zunehmendem Einkommen sie Sparquote steigt weil die Grenzrate des Konsums mit steigendem Einkommen fällt. Entsprechend fällt die Konsumquote und das Sparvolumen ergibt sich als „Restgröße“ in Abhängigkeit von der Einkommenshöhe. Das (empirisch nachweisbare) Konzept der einkommensabhängigen Spar- bzw. Konsumfunktion wendet sich gegen die Vorstellung, dass das Sparvolumen über den Zinssatz determiniert ist und somit eine Übereinstimmung von Sparen und Investieren allein über den Zinssatz hergestellt werden kann.

[48] Gunnar Myrdal (1963), S. 107.

[49] Zu Pigous interventionistischer Wohlfahrtstheorie sh. John Kenneth Galbraith (1990), S. 253 ff. sowie Fritz Söllner (2001), S. 127 ff.

[50] Ein konkretes Beispiel hierfür wäre die Maslowsche Bedürfnispyramide, die eine solche Bedürfnishierarchie beschreibt. Sh. zu Maslows Pyramide den Beitrag in der Online-Enzyklopädie „wikipedia“ unter http://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bed%C3%BCrfnispyramide.

[51] Gunnar Myrdal (1963), S. 93.

Montag, 21. Mai 2007

Fundstücke 21.5.2007

Nachtrag zum Thema Bundeswehr in Afghanistan.
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Nachtrag zum Thema BILD auf Kreuzzug XIV.
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Komische CDU-Ansichten.
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Die Zeit zum Thema Zaun in Heiligendamm.
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Telepolis erklärt die Indizienlage, die zu den G8-Razzien geführt hat. Demnach reicht Googeln bereits aus, und die Polizei überwacht ohne Rechtsgrundlage sämtliche Computer.
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Gute SPD-Analyse.
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Selbiges zum Telekomstreik.
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Rewe glaubt nicht an Umsatzplus durch höhere Ladenöffnungszeiten.
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Analyse der LiPa.
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Sonntag, 20. Mai 2007

BILD auf Kreuzzug, Teil XIV

Nachdem el-Masri bei der Brandstiftung in einem Supermarkt nach dem Streit um den Garantiefall eines i-Pod erwischt wurde, wiesen die meisten Medien verständnisvoll daraufhin, dass el-Masri vom CIA nach Afghanistan entführt und auch unter Mithilfe von BND-Agenten gefoltert wurde. Klar, dass da die BILD einen Artikel schreiben muss, der unter hetzerischer Verstellung der Tatsachen ein völlig anderes Bild zeichnet.
Darin schiebt die BILD in einem logischen Salto mortale die Schuld an "dem ganzen Chaos" el-Masri zu, der doch glatt wegen seiner Hautfarbe und ethnischen Herkunft sich hat entführen lassen. Die Folterung und Verschleppung wird als Unfall kleingeredet und keine Sekunde ausgelassen, um gegen den Deutschlibanesen zu pöbeln und Stimmung zu machen. Dass sie dabei diverse Grundrechte mit Füßen tritt scheint ihr nicht nur egal zu sein, sondern auch intendiert. Und da liegt der eigentliche Skandal, denn es ist kein Einzelfall: bereits in Sachen Kurnaz führte sich die BILD auf wie der SD persönlich.

O Afghanistan, where are thou?

In Afghanistan hat der Selbstmordanschlag auf deutsche Soldaten auch die letzte große Illusion, das letzte große Propagandaversprechen der Regierung über den Einsatz zerstört: dass die Deutschen im sicheren Norden seien, von der Bevölkerung geliebt und "sauber". Das "sauber" ist bereits mit dem Tornadoeinsatz ins Wanken gekommen, doch nun ist auch noch klar, dass die deutschen Soldaten für die Taliban und ihre Sympathisanten genauso Ziele sind wie jeder andere ISAF-Soldat auch.
Dass der afghanische Präsident sein Beileid ausspricht, hilft da wenig. Jeder weiß, dass er den Tag des Abzugs der ISAF nicht überleben würde, wahrscheinlich wird er schon vorher politisch kaltgestellt sein. Denn in Afghanistan formiert sich eine immer breitere Ablehnung der Bevölkerung gegenüber der ISAF, und die Forderungen, die sog. gemäßigten Taliban mit in die Regierung einzubeziehen häufen sich. Und eine solche Teilnahme wäre zwangsläufig der Anfang vom Ende der Mission. Dazu kommt, dass die umliegenden Staaten, unter ihnen auch und besonders Russland, langsam Ansprüche auf Mitreden anmelden. Zu legitimieren ist der Krieg schon lange nicht mehr, und nun wird er auch noch politisch verloren. Trotzdem wird die Bundesregierung daran festhalten müssen - zu sehr hat man sich auf diese Position festgelegt.

Fundstücke 20.5.2007

Die Linke wird immer beliebter.
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Oskar Lafontaine zum Thema G8-Gipfel in der SZ.
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Chronik der LiPa.
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Ein empfehlenswerter Zeit-Artikel über den Beginn von 1968, besonders wegen der historischen Parallelen.
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Die Zeit über die Notwendigkeit, G8-Proteste zuzulassen.
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Noch einmal Zeit: Zusammenfassung der Geschehnisse um die G8-Razzien.
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Beeindruckender Bericht über Meinungsmache im Irak.
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Samstag, 19. Mai 2007

Sinn mal wieder widerlegt

Das Handelsblatt erläutert in einem Artikel kurz, warum Hans-Werner Sinns These von der Basarökonomie wie auch der ganze Rest seines vielzitierten Thesenkonstrukts hanebüchener Blödsinn ist. Besonders wichtig auch deswegen, weil Hans-Werner Sinn und seinem ifo-Institut leider immer noch ein viel zu großes Forum für Dummfug aller Art geboten wird.

BILD auf Kreuzzug, Teil XIII

Der Verfassungsschutzbericht ist schon ein witziges Stück Papier. Auch die BILD hat sich vorgestellt, was da drin stehen könnte, und anstatt ihn zu lesen einen Artikel draus gebastelt, nach dem eine neue RAf bald Politiker und Manager umlegt. Der Verfassungsschutz dementierte umgehend. Die BILD hatte nämlich einfach die Überschrift des Kapitels genommen, in dem die Frage behandelt wurde und ihrem unterdurchschnittlich gebildeten Publikum einige Allgemeinplätze näher zu "erläutern" versucht - und dabei kräftig ausgeschmückt, etwas Phantasie und Hetze hinzugefügt und damit wieder einmal ein Scherflein dazu beigetragen, dass es am G8-Gipfel hoch hergehen wird. Denn das oben angesprochene Profil dürfte auf einige Polizisten zutreffen, die dann leider keine vernünftigen Medien oder Bildblog lesen und ETWAS übersensibilisiert sind.

Fundstücke 19.5.2007

Warum Blockaden beim G8-Gipfel?
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Interview mit Gisy in der SZ.
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Schäuble am Polarisieren.
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Über das erste Demoverbot in Heiligendamm.
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Über Biopiraterie.
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Die SPD Niedersachsen will Schröder für den Wahlkampf zurück.
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Ein Bäcker gegen die Discounter.
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Russland in Heiligendamm

Merkel führt ihren kleinen Privatkrieg mit Putin auch in Samara auf der gemeinsamen EU-Russland-Konferenz fort. In aller Öffentlichkeit kritisiert sie Russlands Umgang mit der Opposition und den massiven Einschränkungen der Demonstrationen, was einen ziemlichen Etikettebruch darstellt. Putin aber war gar nicht faul und ließ lakonisch einfließen, dass Deutschland sich in Heiligendamm ja nicht anders verhalte.
Ab diesem Zeitpunkt war Merkel in der Defensive und versuchte mit Terrorparagraph und ähnlichem die Situation zu retten, was jedoch merklich misslang. Was aber resultiert daraus? Es ist offen möglich, die russische Oppression mit der deutschen zu vergleichen, ohne dass der deutschen Bundeskanzlerin vernünftige Gegenargumente einfielen. Zu Sowjetzeiten hätte man einen ganzen Strauß parat gehabt (man beachte das Wortspiel). Vor allem wird Russland nach dem G8-Gipfel eine ganze Reihe neuer Argumente für seine eigene Repression bereit haben: sehr her, wie es der freiheitliche Westen macht.

Donnerstag, 17. Mai 2007

Fundstücke 17.5.2007

Ein FAZ-Artikel zum Thema LiPa; empfehlenswert weniger wegen Stil oder Ausrichtung des Autors als vielmehr wegen der scharfsinnigen Analyse im Kontext zu SPD und Grünen.
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Sind wir nicht alle ein bisschen linksextrem?

Gerade bei Perspektive 2010 entdeckt:

Aus dem Verfassungsschutz-Bericht 2006:

Linksextremisten werten die Verschärfung der Sicherheitsgesetze nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als eine neue Qualität “staatlicher Repression”. Sie nehmen auch die Sicherheitsmaßnahmen [..] zum Anlass, den aus ihrer Sicht permanenten Ausbau des Überwachungsstaates und die repressive Wirkung der dabei eingesetzten neuen Technologien anzuprangern, wie z. B. RFID-Chips, Gen- oder Biometrische Datenbanken, Kameraüberwachung öffentlicher Plätze.

Ja ja, so ist das: Alle, die Freiheit noch als etwas mehr betrachten als die Möglichkeit an den weltweiten Kapitalmärkten rücksichtslos zu zocken, sind dann sicherlich böse, böse Linksextremisten und Terroristen. Die Rechtsextremisten, die - wie jedes Jahr - eine steigende Zahl der Gewalttaten begehen, sind ja auch sicherlich harmloser als Menschen, die weder Schäubles Überwachungsstaat 2.0 noch ein Deutsches Reich 4.0 wollen. Denn den Rechtsextremen kann man die RFID-Chips ja gleich auf oder in die rasierte Hohlbirne pappen, sie sind also für den geplanten Überwachungsstaat einfach wartungsfreundlicher.

(via fefe)

Mittwoch, 16. Mai 2007

Fundstücke 16.5.2007

In Coram Publico hat einen herausragenden Artikel zum Thema Menschenwürde geschrieben.
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Wut! beschreibt ein Erlebnis von mehr als nur einem Hauch von Apartheid.
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Montag, 14. Mai 2007

Fundstücke 14.5.2007

Dreimal NachDenkSeiten, einmal zum Thema Bremen und zwei mal zum Thema Subventionsverzicht.
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"Wirtschaftsexperten" bei der Arbeit

Der "Sachverständigenrat" unter Oberlobbyist Bert Rürup meldet sich wieder einmal zu Wort und stellt blödsinnige Behauptungen zum Thema Mindestlohn in den Raum. Jeder Mindestlohn über fünf Euro vernichte Arbeitsplätze, einer von 6,50 Euro über 460.000, einer von 7,50 Euro (der Gewerkschaftsforderung) sogar über 620.000. Woher diese Phantasiezahlen kommen weiß niemand.

Arbeitspsychologie

Bekannt ist schon seit längerem, dass Schichtdienst ungesund ist, neben der Furcht seinen Arbeitsplatz zu verlieren und Mobbing, und natürlich einem Strauß anderer Dinge. Das wird auch immer wieder mal gerne diskutiert und zitiert; es passiert jedoch nichts. Nun hat eine neue Studie belegt, dass Überstunden ungesund sind und eine Wochenarbeitszeit von 35 bis 38 Stunden das gesundheitliche Maximum darstellt.
Trotzdem wird das Wort von der "Flexibilisierung" wie ein Mantra vorgebetet. Dass mittel- und langfristig gesehen den Unternehmen so Kosten entstehen, weil die Mitarbeiter nicht so effizient sind, wie sie sein könnten, dass die Bezahlung der überlangen Arbeitszeiten katastrophal schlecht ist - das alles interessiert wie üblich nicht. Es wird noch großes Umdenken erforderlich sein.

Das Klima und der Vogel Strauß

Bisweilen, wenn man die Argumente der Auto-Industrie hört, scheint es, als ob das Klima sich ein bisschen von Vogel-Strauß-Gebahren einschüchtern lassen würde: wenn wir sagen, es geht gerade nicht, dann wird sich der Klimawandel schon gedulden bis zu dem Termin, den wir genannt haben (und den wir ohnehin bei nächster Gelegenheit brechen).
Gerade zeigt sich wieder einmal ein Beispiel dafür; es geht um Klimaanlagen, die viel mehr CO2 auspusten als nötig. Das ist deswegen besonders ärgerlich, weil bessere Technik zur Verfügung stünde. Man müsste sie nur eben einsetzen. Und genau das tut die Autoindustrie nicht, sie fordert stattdessen mehr Zeit, während im Hintergrund orakelhaft die Drohung aufgebaut wird und steht, dass ein Insistieren auf schnelle Ersetzung der Geräte Arbeitsplätze vernichtet. Das ist das Totschlagargument der Industrie; alles, was man gerade nicht will, bedroht Arbeitsplätze und bietet auf der andere Seite eine hervorragende Legitimation für geplante Massenentlassung zwecks Aufstockung des Shareholder Value.
Wenn die Wirtschaft nicht mittels Gesetzen an die Hand genommen wird, mit verbindlichen Verpflichtungen, die nicht von einem Heer bezahlter Lobbyisten verwässert wurden, wird das nie etwas. Man nennt das Marktversagen beim Schutz Öffentlicher Güter. Das wissen sogar BWLer.

Freitag, 11. Mai 2007

Lesebefehl

In der SZ ist ein Artikel über Köhlers Klar-Entscheidung erschienen, den ich interessant finde. Ich bin nicht ganz sicher, was ich davon halten soll und möchte ihn nicht einfach in die Fundstücke packen, da ich fürchte, dass er dann untergehen wird. Wer eine Meinung dazu hat, darf sie gerne in die Kommentare setzen oder als Gastbeitrag veröffentlichen, wenn er oder sie Lust hat.

BILD auf Kreuzzug, Teil XII

BILD weiß bekanntlich immer alles besser; im Augenblick wieder einmal, wie man Deutschland auf die Sprünge bekommt: einfach Steuern senken. Die für Unternehmer, natürlich. Und Erbschaftssteuer abschaffen. Diese vollkommen bescheuerten Allgemeinplätze scheinen selbst BILD zu stupide gewesen zu sein, weswegen sie sie den österreichischen Bundeskanzler sagen lässt. Angesichts solcher primitiver Propaganda mit offensichtlich unwirksamen Rezepten ("Steuern runter macht Deutschland munter") kann man eigentlich nur noch den Kopf schütteln.

Kriegserklärung, Nachtrag IV

Wo wir gerade dabei sind: Schäuble droht weiter. Mit Verweis auf die Terroranschläge in London (!) fordert er wieder einmal den Bundeswehreinsatz im Inneren, am besten gleich gegen die G8-Demonstranten, weil der ja alternativlos sei und das besondere Potenzial der Bundeswehr nicht genutzt werde. Bei gleicher Gelegenheit fordert er außerdem, "Gewalttäter" (was im Schäuble'schen Paralleluniversum gerade reichlich undifferenziert auf jeden Demokraten zutrifft) präventiv einzusperren. Witzigerweise ließ er diese Sprüche gegenüber der Passauer Presse ab, die vor einigen Tagen bereits Söder als Portal für seine Menschenrechtsverachtenden Äußerungen diente.

Kriegserklärung, Nachtrag III

Es braut sich was zusammen. Die Razzien werden, ganz wie die repressive Riege das intendiert hatte, zu einem Symbol des G8-Gipfels und spalten das Land. Die einen finden es unreflektiert gut, dass der Staat auf "die G8-Gegner" einschlägt, weil sie die flachen und löchrigen Erklärungsmuster von den angeblichen Terroristen übernehmen. Und die hat es nicht gegeben und gibt es nicht, so viel ist bereits jetzt sicher.
Gleichzeitig gibt es aber auch Protest. Die SZ steht glücklicherwiese nicht mehr alleine da, mit der Zeit hat sich ein anderes unverdächtiges Leitmedium auf den Zug der Kritiker der Aktion aufgeschwungen und attackiert die Schäuble-Streiter mit ungewohnt harschen Worten. Weniger überraschend ist die starke Kritik bei der jungenWelt und der taz. Wie üblich sehr detailliert berichtet Telepolis, allein gestern gleich in zwei großen Artikeln. Sie SZ indessen gibt Attac-Mitbegründer Sven Giegold Platz für ein Interview, während sie auf der anderen Seite einen großen Beitrag zur Differenzierung der G8-Gegnerschaft leistet, was die Polizei und Staatsanwaltschaft bezeichnenderweise nicht taten. Um es kurz zu machen: Es kristallisiert sich eine klare Linie heraus, auf deren einer Seite rechtskonservative Leitmedien stehen (BILD, Spiegel, Welt), auf deren anderen sich alle die Medien formieren, die etwas ähnliches wie Bürgerrechte als Grundlage anerkennen und zumindest etwas Front gegen den Schäuble-Staat machen - mehr (Telepolis, SZ, taz, jW) oder weniger (Zeit) konsistent.

Fundstücke 11.5.2007

Der SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler kokettiert der Welt zufolge mit einem Eintritt in die Linkspartei.
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Die große Lüge um das BGE.
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Hervorragender FR-Artikel zum Thema Sicherheit und Angst.
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Theatergruppe Bundestag.
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Neue Monitorberichte online: zum Asyl der Iraker, zur Umweltschutzselbstverpflichtung der Industrie, zu den Müllimporten, zum Mindestlohn.
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EZB erhöht den Leitzins nicht

Obwohl die meisten Experten dies erwartet hätten, erhöht die EZB den Leitzins nicht. Gut für die Konjunktur; eine wahrscheinlich sinnvolle Entscheidung. Selbstverständlich ist das schon allein wegen der gegenteiligen Erwartungshaltung nicht. Über was die SZ mit wenigen Sätzen hinweggeht, ist elementar: am Leitzins hängt viel. Nach alter monetaristischer Lehre ist der Staat nur für die Inflationsbekämpfung notwendig, und das geht vorrangig über den Leitzins. Je höher er ist, desto stabiler die Preise, aber desto teurer die Kredite - die für Wachstum notwendig sind.

Soldatenschicksal

In der Süddeutschen Zeitung findet sich das Porträt einer deutschen Soldatenfamilie; seit dem Opa bei der Wehrmacht war auch der Vater bei der Bundeswehr und wird nun vom Sohn gefolgt. Während der Großvater aktiv auf die Russen schoss, übte der Vater den Ernstfall nur. Für den Sohn wird es wieder ernst: überall auf der Welt morden und sterben deutsche Soldaten. Der Sohn kommentiert das lakonisch:
Dass er vielleicht auch irgendwann einen Menschen töten muss, darüber hat sich Peter Gerhard nur wenige Gedanken gemacht. »Wenn es einmal so sein sollte, dann mach ich das, um mein Land zu verteidigen«, sagt er. »Es gibt ja auch im Krieg Regeln, die bestimmen, wann getötet werden darf und wann nicht.« (SZ)
Selbstverständlich hat er da Recht. Aber deutlich mehr Weisheit zeigt der Großvater:
Manchmal denkt Max Gerhard, er hätte seinem Enkel und seinem Sohn mehr vom Krieg erzählen sollen. (SZ)

Irrwitz im Rechtssystem

Dass in den USA die irrwitzigsten Schadensersatzansprüche durchgefochten - und gewonnen - werden, ist bekannt. Doch der aktuelle Fall setzt dem allen noch die Krone auf.
Die koreanische Einwandererfamilie Chung besitzt eine kleine Wäscher- und Schneiderei in Washington, D.C., zu der hauptsächlich kleine Leute kommen. Entsprechend sind die Preise. Im Zeitalter des "billig" scheint auch für den gutsituierten Verwaltungsrichter Pearson klar zu sein, dass er seine Hose, die ihm ein wenig zu eng geworden war, zu den Chungs gibt. Doch das Endprodukt wollte er nicht annehmen: es sei nicht seine Hose. Und er verklagte die Chungs auf Schadensersatz: satte 65 Millionen Dollar will er haben.
Man muss sich den Wahnsinn, den dieser Mann fabriziert, wirklich auf der Zunge zergehen lassen:
Der ursprüngliche Wert seiner Hose, von Experten großzügig auf "maximal 800 Dollar" taxiert, spielt in Pearsons Klageschrift keine Rolle mehr. Er hätte sich auch längst einen neuen Anzug kaufen können von all dem Geld, das die Chungs ihm boten, damit er nur endlich Ruhe gebe: Erst 1150 Dollar, dann 3000, schließlich sogar 12.000 Dollar offerierten sie ihm. Pearson lehnte ab.

Der Richter rechnet anders. Für jeden Tag voller Leid und Unbill ohne Hose stellt er den gesetzlichen Schadensersatz von 1500 Dollar in Rechnung, und da sich die Sache eben hinzog, verlangt er 1200 Tagessätze für zwölf angebliche Tatbestände. Erschwerend kommt hinzu, dass er sich gleich gegen drei Übeltäter erwehren muss - Vater, Mutter und Sohn Soo, ebenfalls Miteigentümer von Custom Cleaner. Also alles mal drei.

Dann addiert Pearson noch all die Arbeitsstunden schwerster Jurisprudenz dazu, die es brauchte, um seinen Fall selbst zu bearbeiten. Macht 542.000 Dollar. Plus 15.000 Dollar für einen Leihwagen. Denn den, so Pearson, müsse er nun jedes Wochenende anmieten, um seine schmutzige Wäsche zur Reinigung zu fahren - zehn Jahren lang. Den Chungs um die Ecke könne er nicht mehr trauen. Das verstehe sich. (SZ)
Es ist ganz offenkundig nicht nur das Rechtssystem, das hier krank ist. Pearson hat viele Präzedenzfälle im Kopf, einige selbst durchgefochten; seine Chancen stehen gut. Es ist offensichtlich auch der Mensch selbst, der hier schlichtweg krank agiert. Wie kann man als gut verdienender Verwaltungsrichter eine arme Einwandererfamilie willentlich so in den Abgrund stürzen? Was muss im Hirn eines solchen Menschen vorgehen?
Immerhin scheint es so, als könnte er seinen Job verlieren. Das ist das Positive daran. Auch wenn er für diesen Fall die Stadt verklagen will. Leisten kann er es sich sicherlich.

Donnerstag, 10. Mai 2007

Einstand

Kaum drei Tage nach seiner Wahl zeigt Sarkozy, was auf die Franzosen in den nächsten Jahren wohl zukommen wird: Korruption, Lüge und Betrug neben der wahrscheinlichen Einlösung aller Wahlversprechen, die in die Rubriken Ausländerfeindlichkeit und Grundrechtsdemontage sowie neoliberale Reformpolitik einzuordnen sind. Der Anlass: Sarkozy macht Urlaub auf einer Luxusxacht. Im Normalfall nur eine Geschmacklosigkeit, die Volksnähe vermissen lässt, in diesem speziellen Fall jedoch ein Skandal: Sarkozy bekommt den Urlaub vom Milliardär Vincent Bolloré geschenkt. Beide Seiten beteuerten, dass Bolloré nie Regierungsaufträge bekommen habe; nun ist herausgekommen, dass dem eben nicht so ist - millionenschwere Aufträge bekam Bolloré aus den Etagen der französischen Verwaltung, und wie es scheint freut man sich bereits auf die Ära Sarkozy. Wenn das kein Einstand ist.

Fragebogen

Eigentlich hab ich schon genug dieser doofen Fragebögen ausgefüllt, aber diesem Stöckchen von Gedankenwelten kann ich micht versagen, schließlich geht es um Filme! Wer Lust hat, darf es für sich gerne in den Comments auch ausfüllen oder auf sein Blog übernehmen ;)

1. Ein Film, den Du mehr als zehnmal gesehen hast ?
- Da wären Herr der Ringe I, Asterix und Kleopatra und StarshipTroopers. Aber es gibt einige Kandidaten, die die magische Grenze recht bald knacken dürften...

2. Ein Film, den du mehrfach im Kino gesehen hast ?
- Star Wars Episode III. Ansonsten hab ich noch nie Filme doppelt im Kino gesehen.

3. Nenne eine/n Schauspieler/in, wegen dem/r Du eher geneigt wärst, einen Film zu sehen ?
- Da gibt es viele; ich nenne jetzt einfach mal Johnny Depp.

4. Nenne eine/n Schauspieler/in, wegen dem/r Du weniger geneigt wärst, einen Film zu sehen ?
- "The Rock".

5. Ein Film, aus dem Du regelmäßig zitierst ?
- Team America.

6. Ein Film-Musical, von dem Du alle Texte der darin gesungenen Songs auswendig weißt ?
- Keines.

7. Ein Film, bei dem Du mitgesungen hast ?
- Team America. America, Fuck Yeah!

8. Ein Film, den jeder gesehen haben sollte ?
- Titanic

9. Ein Film, den Du besitzt ?
- Nur einer? Scheiße, ich habe über 200!

10. Nenne einen Schauspieler, der seine Karriere nicht beim Film startete und der dich mit seinen schauspielerischen Leistungen positiv überrascht hat ?
- Fällt mir spontan eigentlich nur Sting ein. Aber in "Dune" kann jeder schauspielerisch überraschen :P

11. Hast Du schon einmal einen Film in einem Drive-In gesehen ?
- Nope. Aber meine Freundin drängt ständig drauf, das mal zu machen. Drive-In klingt für mich aber nach McDonalds, ich nenne das weiter Autokino. Das ist doch gemeint, oder?

12. Schon mal in einem Kino geknutscht ?
- Klar. Wird aber im allgemeinen überschätzt, weil man sich dann nicht mehr auf den Film konzentrieren kann. :)

13. Ein Film, den Du schon immer sehen wolltest, bisher aber nicht dazu gekommen bist ?
- The Departed

14. Hast Du jemals das Kino verlassen, weil der Film so schlecht war ?
- Nein, Geld zu schade. Aber ich war bei "Nur 60 Sekunden" knapp davor.

15. Ein Film, der Dich zum Weinen gebracht hat ?
- Schindlers Liste

16. Popcorn ?
- Bäh.

17. Wie oft gehst Du ins Kino ?
- Seltenst. Einmal im halben Jahr vielleicht. Ich bin Heimkino-Fan.

18. Welchen Film hast Du zuletzt im Kino gesehen ?
- Entweder Superman Returns oder Happy Feet, bin nicht sicher.

19. Welches ist Dein Lieblingsgenre ?
- Das wechselt.

20. Was war Dein erster Film, den Du im Kino gesehen hast ?
- Ein Hund namens Beethoven.

21. Welchen Film hättest Du lieber niemals gesehen ?
- The next Friday.

22. Was war der merkwürdigste Film, den Du mochtest ?
- Donnie Darko!

23. Was war der beängstigendste Film, den Du je gesehen hast ?
- Ich glaube, The Sixth Sense.

24. Was war der lustigste Film, denn Du je gesehen hast ?
- Hmmm...schwierig. Ich schwanke zwischen Hoodwinked, Team America und Snatch.

Und ab mit dem Stöckchen zu Feynsinn.

Sieg der Anwaltslobby

Ein vernünftiger Gesetzesvorschlag aus dem Hause SPD wurde von der Anwaltlobby zunichte gemacht: die "Scheidung light". Demnach hätten Paare, die keine Kinder haben, die Modalitäten ihrer Scheidung selbst und ohne Anwalt und Gericht vor dem Notar regeln können. Logisch, dass die Lobby da aufschreit und ein Gesetz, das massiven Nutzen für viele Menschen in Deutschland gebracht hätte, zerstört.

Gedanken zu Schwarz-Rot

Die große Koalition ist ein seltsames Ding. Sie wird den Menschen hoffentlich, wahrscheinlich, und wohl besonders dank der rollenden Ein-Mann-Parallelgesellschaft, in ähnlich schlechter Erinnerung bleiben wie die erste von 1966-1969. Mit etwas Glück folgt darauf etwas ähnliches wie eine sozial-liberale Koalition, aber die Zeiten sehen eindeutig düsterer aus. Interessant auch deswegen, weil ich 2005 und 2006 noch der Ansicht war, dass schwarz-rot allemal besser ist als schwarz-gelb. Inzwischen bin ich dieser Ansicht nicht mehr. Die apokalyptischen Vorstellungen einer marktradikalen Entfesselung sind nichts gegen die realen Prozesse, in denen sich die Ordnungs- und Sicherheitspolitiker aller Couleur derzeit zu einem fröhlichen braunen Mischmasch verbinden. So gesehen wäre ein deutlicher Wahlsieg für schwarz-gelb, in dem die FDP sich mit 10%+ beständig als liberale Partei der Bürgerrechte zu profilieren gehabt hätte (in Sachen Marktradikalismus steht die CDU ihr nur wenig nach) und die Linksopposition Verfassungsänderungen nach gusto eines schier unheilbar paranoid anmutenden Innenministers aus dem gleichen berechenbar-simplen Grund blockiert hätte, dem derzeitigen Ergebnis wohl vorzuziehen gewesen. Schuld ist, wie so häufig, die verräterische Sozialdemokratie, die ein Bündnis mit der Linkspartei kategorisch ausschloss, sich damit aller Wahlmöglichkeiten beraubt und gemäß niederen Instinkten den untergeordneten Platz neben den instituierten Menschenfeinden eingenommen hat.

Kriegserklärung, Nachtrag II

Es geht echt Schlag auf Schlag gerade: die Gewerkschaft der Polizei hat sich zu Wort gemeldet. Neben der obligatorischen Forderung nach mehr Beamten fällt vor allem die krause Unlogik auf, mit der die Aktionen der letzten Zeit gegen G8-Kritiker begründet werden.
So schwadroniert man - in Zeiten wachsender rechtsextremer und, vor allem, im Land verwurzelter Gewalt vor allem in Ostdeutschland - von einer stark gewachsenen linksextremistischen Szene. In einem klassischen Umkehrschluss werden die Razzien wegen Terrorismusverdachts zur Begründung des Terrorismusverdachts herangezogen, der als Auslöser für die Razzien diente. Der Verdacht, der den Razzien mit zugrunde liegt besagt dabei im Übrigen, dass die etwa 20 "mutmaßlichen" Extremisten die Treffen in Heiligendamm mit Brandanschlägen "stören" wollen. SPD und Grüne erheben derweil leise Stimmen, dass es alles nicht ganz so schlimm sei, verteidigen aber die rechtswidrigen Razzien.
Soweit die Lage. Noch einmal kurz einige Fakten zum Nachdenken:
1) Gefahndet und gerazzt wird dezidiert mit Verweis auf die Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetze (was für ein Wort! Kein Wunder, dass die Medien es meiden). Jedoch hat bisher kein terroristischer Anschlag statt gefunden, und Indizien auf solche wurden auch nicht gefunden. Sachbeschädigung sicherlich, Landesfriedensbruch vielleicht - aber eben nicht Terrorismus. Die sorglose Leichtigkeit, mit der hier auf die Terrorismusgesetze zurückgegriffen wird, um einen unleidigen politischen Gegner zu attackieren bestätigt die schlimmsten Befürchtungen der Grundrechtsverteidiger und geht genau genommen sogar darüber hinaus, denn so schnell, wie der repressive Staat sie sich für seine illegalen und absolut zu verurteilenden Zwecke zu eigen gemacht hat, hat das wohl niemand erwartet.
2) Die rechtskonservativen Kräfte fabulieren eine im Entstehen begriffene, teilweise sogar im Entstehungsprozess abgeschlossene linksextremistische Terrorbewegung herbei. Ein Schelm, wer in Zeiten der aufgeheizen RAF-Debatte und der damit verbunden im Raum schwebenden Symbolik an Absicht denkt. Bezeichnenderweise redet gerade niemand, wirklich absolut niemand, von der sonst so omnipotenten islamistischen Weltverschwörung. Für mich, und wahrscheinlich noch für einen ganzen Haufen anderer Leute, ist das ein Indiz, dass "der Islamismus" als Feindbild und Legitimationsgrundlage des repressiven Staates genauso austauschbar ist wie das der Kommunisten und Demokraten in früheren Zeiten.
3) Die etablierten Parteien heben das Feigenblatt einiger sacht warnender Stimmen, stehen jedoch im Großen und Ganzen hinter dieser Entwicklung.
4) Der Rechtsextremismus gehört prinzipiell in den Komplex aus 2), ist jedoch im Gegensatz zu den darin genannten Phänomen real und auf dem Vormarsch - wird aber eben NICHT bekämpft.
Ich hoffe, damit den einen oder anderen noch einmal zum Nachdenken angeregt zu haben. Gegen die derzeit laufende Praxis gibt es eigentlich nur eines - Widerstand. In welcher Form ist dabei egal. Derzeit wird es langsam lebensgefährlich, demonstrieren zu gehen. Gleichfalls gefährlich für den Fortgang einer gutbürgerlichen Existenz ist wohl das, was ich hier tue. Aber es muss getan werden. Macht mit! Verbreitet die Botschaft.

97% für Streik bei Telekom

Eine gute Nachricht, dass der Telekom auf diese Art und Weise gezeigt wird, dass sie deutlich zu weit geht. Den Teilnehmern ist nur alles Gute und viel Glück zu wünschen!

Fundstücke 10.5.2007

Filmrezension zum "Großen Ausverkauf" auf den NDS.
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In der FDP erhebt sich Kritik am Schäuble-Katalog.
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Wie nicht anders zu erwarten stimmte die SPD gegen ihren eigenen Entwurf.
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In Münster werden, wie überall in Deutschland, die Geisteswissenschaften radikal abgewickelt.
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Wer ist Gordon Brown? Porträt.
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Zwei hervorragende Beiträge von Robert Misik zum Thema Sarkozy finden sich hier und hier.
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Lawlita sieht zu Recht eine Hexenjagd um Kinderpornos eröffnet.
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Gedankenwelten zu den Spinnereien eines Ulfkotte.
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Der Nachtwächter zum Thema Klar.
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SZ zum Kommentarkrieg bei Springer.
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Grundsatzprogramm der CDU

In der taz wird unter der bezeichnenden Überschrift "Frei. Freier. CDU." einer der wohl unglaublichsten Zwitter der jüngeren Parteiengeschichte nüchtern auseinandergenommen: der Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der CDU. Entsolidarisierung und Heuchelei auf 91 Seiten. Kostproben:
- die Gesundheitsbeiträge sollen statt nach Einkommen gestaffelt mit Kopfpauschale gemacht werden. Angeblich ist das gerecht. Da sich viele Leute die neuen Kopfpauschalen nicht werden leisten können, sollen Steuergelder fließen.
- ein Neuverschuldungsverbot soll bis 2015 kommen. Gleichzeitig sollen die (Unternehmer-)Steuern weiter gesenkt werden. Das ist angeblich "gerecht und einfach".
- ein neuer Familienbegriff wird propagiert, bei dem immerhin schon im 21. Jahrhundert auch Geschiedene als Familie anerkannt werden. Homosexuelle bleiben weiter draußen und profitieren auch nicht von der massiven Ehesubvention aus Steuergeldern, die wiederum hauptsächlich den Gutverdienern zugute kommt - unternehmerfreundliche Familienpolitik, vermerken dazu die NachDenkSeiten.
- das dreigliedrige Schulsystem soll erhalten bleiben, gleichzeitig aber die Kindergärten und Kinderbetreuung ausgebaut - wiederum für Gutverdiener.
- der Klimaschutz soll vorangetrieben werden, aber die Atomkraftwerke länger laufen.
- Migration sei etwas tolles sein, aber die deutsche Leitkultur mit Patriotismus ist unbedingte Voraussetzung für Integration, die unbedingte Voraussetzung für Migration ist.

Gibt es etwas, das noch peinlicher sein könnte?

Fachkräftemangel?

Zu Recht fragen die NachDenkSeiten, was die allenthalben zu lesenden Artikel eigentlich sollen, nach denen in Deutschland ein Mangel von über 50.000 Ingenieuren besteht. Auch die Zeit nimmt sich des Themas an. Das wirklich vollkommen absurde an den aufkommenden Klagen ist nämlich, dass über 60.000 Ingenieure in Deutschland arbeitslos sind. Anstatt jedoch auf dieses Reservoir zurückzugreifen, werben die Unternehmen sogar Ingenieure im Ausland an. Warum?
Über die Hälfte der deutschen arbeitslosen Ingenieure sind über 50. Ohne jedes den üblichen Strukturwandel-Spiegelleitartikel für die Saure-Gurken-Zeit auspacken zu wollen: diese Menschen sind, um den ARGE-Jargon zu bemühen, "schwer vermittelbar", will heißen, die Unternehmen stellen sie unter zahlreichen windigen Ausflüchten nicht ein. Das hat zwei Gründe. Zum einen lassen sich junge Einsteiger viel leichter ausbeuten, indem man ihnen unzumutbare Arbeitsbedingungen auferlegt und sie unter jedem Niveau bezahlt, zum anderen fehlt es den Älteren schlicht am aktuellen Fachwissen. Ersteres ist eine Folge der Aushöhlung der Arbeitsrechte und Gewerkschaften, zweiteres von miserablem betriebswirtschaftlichem Managment. Nicht nur, dass die Firmen nicht mehr ausbilden, wodurch der Bestand junger Nachwuchsingenieure ausbleibt, über den sie sich dann wortreich beklagen, nein - sie bilden auch seit Jahren nicht mehr weiter. Deswegen sind viele ältere Ingenieure, die in den letzten Jahren arbeitslos geworden sind nicht mit Computern u.ä. vertraut. Die Firmen taten das aus einem vorrangigen Grund nicht: Weiterbildung kostet, junge, gut ausgebildete Einsteiger nicht. Dadurch existiert ein gewaltiges, ungenutztes Reservoir an Arbeitskräften, das vor allem wegen der betriebswirtschaftlich verengten Sichtweise des Managments so existiert wie es existiert. Anstatt, dass die Betriebe einer Branche endlich sich zu dem lang geforderten Schritt entschlössen, einen gemeinsamen Topf für Aus- und Weiterbildung zu öffnen, werkeln sie lieber mit ihren studierten Buchhaltern weiter daran herum, irgendwie die Bilanzen zu frisieren - egal, welche realwirtschaftlichen Auswirkungen das auch haben mag.

Kriegserklärung, Nachtrag

In der taz findet sich ein hervorragender Artikel zum Thema. Der Autor stellt nicht nur fest, dass die Anwendung der Terror-Gesetzgebung hier ungesetzlich und auch einfach nur Blödsinn ist, sondern vor allem, dass der Schlag unabhängig von den Ergebnissen der Razzia ein Erfolg war:
Selbst wenn in der Folge der Durchsuchungen kein einziges Verfahren nach 129 a StGB eröffnet wird, hat sich die Aktion für die Verfolgungsbehörden gelohnt: reiche Information über die Szene und Abschreckung globalisierungskritischer Geister.
Und genau das ist das Problem. Es steht zu befürchten, im Rahmen der friedlichen Demonstrationen in Heiligendamm verhaftet, verprügelt angeklagt und, mit Blick auf das Schicksal eines Benno Ohnesorg, vielleicht sogar getötet zu werden. In einer solchen Atmosphäre der Furcht, die einzig und allein von einem repressiven und vollkommen entfesselten Staatsapparat unter Leitung eines in paranoiden Wahnvorstellungen gefangenen Innenministers ausgeht, ist demokratische Kultur, Meinungsfreiheit oder überhaupt nur ein freies Atmen nicht mehr möglich.

Kriegserklärung

Es scheint, als ob die herrschende Klasse deutlich größere Furcht vor dem Protest gegen den G-8-Gipfel hätte als bisher angenommen. Der Obrigkeitsstaat mobilisiert alle Mittel, anders lässt es sich kaum mehr ausdrücken. Nachdem die rechtskonservativen Leitmedien mit suggestiver Propaganda gegen die Antiglobalisierungsdebatte (Oeffinger Freidenker berichtete) die publizistischen Grundlagen geschaffen hatten, kommen nun offen Polizei und Geheimdienste zum Einsatz. In fünf norddeutschen Staaten wurden Razzien bei G-8-Gegnern und Linksautonomen statt; eine Gegendemonstration in Hamburg eskalierte.
Es zeigt sich, wie stark der Staat zu werden, wie weit er zu gehen bereit ist, um mit dem als Gegner wahrgenommenen Subjekt fertig zu werden. Die Verlierer stehen fest; es sind Demokratie und Meinungsfreiheit.

Montag, 7. Mai 2007

Schlusspunkt

Christian Klar ist nicht begnadigt. So hat der Bundespräsident entschieden. Souverän, wie sich Politiker gleich welcher Couleur zu versichern eilen. Ein Geschmack bleibt zurück. Ich hätte eine Begnadigung begrüßt, wenn man mit ihr ein Zeichen zu setzen versucht hätte, dass der Rechtsstaat keine Rache übt (auch wenn FDP-Justizminister Goll das gerne anders sieht). Aber auch so ist die Entscheidung akzeptabel; wirkliche Gründe für eine Begnadigung gibt es in der Tat keine, und als milder Herrscher gerieren muss sich Köhler auch nicht. Der Geschmack kommt vom Verhalten der Bürgerlichen, besonders natürlich von der CSU. Deren Druck auf Köhler mit der unverholenen und offen ausgesprochenen Drohung auf Versagen der Wiederwahl lässt den Bundespräsidenten nun in schlechtem Licht dastehen. Ich persönlich glaube nicht, dass Köhler Klar wegen der Drohungen begnadigt hat. Aber doof aussehen tut es trotzdem.
Die Reaktionen der Parteien indes zeigen, dass sie nichts gelernt haben: besonders Westerwelle, Goll und die CSU-Junta (mit wenigen Ausnahmen) schwadronieren von der Reue, die angeblich notwendig sei, damit der Gnadenakt vollzogen werde. Aber das ist Unfug. Reue ist nicht auch nur im Mindesten erforderlich, um das feudale Überbleibsel anzuwenden. Es ist der Bundespräsidenten alleiniger Entschluss, und die Vorbereitung derletzten Wochen legt nahe, dass er ihn sich nicht so leicht gemacht hat wie die Bürgerlichen. Damit stehen sie immerhin in bester Tradition ihres Hausblatts.

Nachtrag: Hervorragende und ungemein treffende Worte findet, wie immer, Heribert Prantl.

Outsourcing-Wahn

Wie weit man den Wahn vom Outsourcing treiben kann, zeigen derzeit die LKAs Berlin und Bayern: die zigtausend beschlagnahmten Festplatten wegen Kinderpornoverdacht lassen sich gar nicht mehr von den LKAs auswerten. Also lassen sie es einfach von privaten Dienstleistern machen.
Ich verzichte an dieser Stelle auf das Hohelied der sinkenden Löhne zugunsten einer viel größeren Problemstellung: wo bleibt der Datenschutz? Schon das Beschlagnahmen durch die Polizei eröffnet zahlreiche Möglichkeiten des Lesens von privaten Informationen, die NICHTS mit dem Strafbestand zu tun haben (die berühmten Schäuble'schen Tagebucheinträge beispielsweise). Besonders übel wird es, wenn die Privaten Festplatten auslesen, die gar keine Kinderpornos enthalten. Mit Datenschutz und rechtsstaatlich einwandfreiem Vorgehen hat das alles nichts mehr zu tun.

Sarko, Ségo und Wahlen

Nun ist es offiziell; Sarkozy hat die Wahl gewonnen. Frankreich wird noch mehr nach rechts rücken als ohnedem. Siegstrategie war das Bedienen dumpfer Ängste vor den 68ern, Terroristen, Immigranten und anderen Randgruppen, das der Furcht vor der Globalisierung und alles gemixt mit dem Versprechen, alles neu zu machen und doch alles beim Alten zu lassen. Der Gegner: Ségolène Royal, hartknäckig als Sozialistin bezeichnet, Weichspülerlinke, die klar verloren hat. Niederlagenstrategie: Trikolore schwingen, Weiblichkeit zeigen, emotional werden.
Sarkozy hat insofern verdient gewonnen. Eine Katastrophe ist es trotzdem, denn zum Einen wird er eine rechtslastige Politik auf Kosten gesellschaftlicher Randgruppen betreiben, zum anderen wird er klassisch-neoliberale Positionen durchsetzen und zum dritten ein eifriger Mitspieler im Schäuble'schen Spiel der Grundrechtsbeschneidungen werden. Dass den mehrheitlich jungen und rechtsorientierten Wählern aufgeht, welchen Unsinn sie betrieben haben, ist zweifelhaft. Die Jahre mit Chirac scheinen nicht genug gewesen zu sein.

Fundstücke 7.5.2007

Gute Argumentationsbeiträge zur Klar-Debatte bei der SZ, der Zeit und der taz sowie Perspektive2010.
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Die Telepolis hat einen Beitrag zum Thema Flugdatenübermittlungen und innere Sicherheit geschrieben, der vor allem das erpresserische Potenzial der USA gut auf den Punkt bringt.
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Tarifverhandlungen für Arbeitslose!
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Sonntag, 6. Mai 2007

Fundstücke 6.5.2007

Um das Drama der Bahn-Privatisierung, auch von den NachDenkSeiten.
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Köhlers Ungeschicklichkeit bei sachlicher Richtigkeit.
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Analyse des Innenministeramts.
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Gewerkschaften und SPD - eine Analyse.
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Im Kürzungswahn - Hartz IV und Rente.
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Analyse des venezoelanischen Austritts aus IWF und Weltbank.
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Eigentlich wollte ich einen Beitrag zu dem dummen Geschwätz von Hans-Werner Sinn schreiben, aber ich komme nicht dazu, deswegen die beiden Interviews so.
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Gleiches gilt für die Privatuni-Programme.
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Samstag, 5. Mai 2007

Fundstücke 5.5.2007

Verdient Kohl den Friedensnobelpreis?
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Nachtwächter zum Thema Hitler-Dokus.
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Wortklaubereien, Wortbrechereien

Keine Kampfeinsätze in Afghanistans Süden! Naja, vielleicht ein bisschen. Keine Soldaten in Afghanistans Süden! Naja, aber in seinen Luftraum. Das waren die Wortklaubereien und Wortbrechereien, und ich habe bereits vor gut einem halben Jahr prophezeit, dass bald Deutsche im Süden stehen würden und dass das kleckerlesweise gemacht wird. Und nun werden die ersten Soldaten in den Süden geschickt, natürlich nicht zu Kampfeinsätzen, sondern um "die Akzeptanz der Friedenstruppe in der Bevölkerung zu erhöhen". Na klar. Mal sehen, wie lange es dauern wird, bis deutsche Soldaten ganz normal neben ihren Kameraden sterben werden. Und ich könnte jetzt schon wetten, dass das noch in dieser Legislaturperiode passiert und, zumindest unter anderem, mit dem Feigheitsvorwurf begründet werden wird.

BILD auf Kreuzzug, Teil XI

Die BILD berichtet, geradezu jubelnd, über die Tarifabschlüsse der Metaller in Baden-Württemberg. Mehr Geld, Hurra, wir freuen uns mit all den abhängig Beschäftigten mit, schließlich sind wir das Organ des Volkes!
Nachdem man sich also so geriert und in Szene gesetzt hat, erklärt man noch flugs welche Branchen ebenfalls Gehaltszuschüsse bekommen. Und dann fragt man Experten, wie das zu bewerten ist. Hier wird der durchschnittlich Gebildete bereits hellhörig: Experten? Wer? Was? Warum?
Zitiert werden satte zwei "Experten": Professor Zimmermann, der Chef des stramm neoliberal ausgerichteten DIW, und - Arbeitgeberpräsident Hundt.

Köhler bei Klar

Köhler wächst gerade ein wenig in meiner Achtung. Er hat sich mit Christian Klar getroffen, quasi als letzte Instanz für die Entscheidung des Gnadengesuchs. Besonders die CSU schießt Sturm dagegen. Offenn droht sie, im Falle eines Gnadengesuchs Köhlers Wiederwahl im Januar 2009 zu blockieren:
Es sei ein "Kernanliegen von Konservativen, dass Terroristen, die keine Reue zeigen, nicht vorzeitig entlassen werden". Der „Passauer Neuen Presse“ sagte Söder jetzt: „Schlimm genug, dass Klar jetzt Freigänger ist, aber eine Privataudienz beim Bundespräsidenten sollte man ihm nicht gewähren.“ (SZ)
Das ist einfach nur heuchlerisch. Die Konservativen - oder die, die sich dafür ausgebene - schlagen auf alle ehemaligen RAFler ein, ob sie Reue zeigen oder nicht, wie der Fall Bremen hinreichend bewiesen hat.

Spiegel-Fechtereien

Der Spiegel kann für derzeit wahrlich nicht in Anspruch nehmen, irgendetwas mit Demokratie, Frieden oder Freiheit am Hut zu haben. In einem Bericht über das Fernsehduell der demokratischen Präsidentschaftskandidaten (fällt jemandem das Wortspiel auf?) betätigt er sich in alter Manier als demagogisch; die Demokraten sind alle schon deswegen schlecht, weil sie gegen den Irakkrieg sind; und außer der üblichen süffisanten wie substanzlosen Rhetorik bringt der Spiegel leider auch nichts hervor. Richtig verwirrend aber ist der folgende Satz, der sich mit den Programmen der Kandidaten beschäftigt:
Ex-Senator Gravel klang bisweilen gar wie ein Revolutionär, als er die Macht des "militärisch-industriellen Komplexes" anprangerte.
Ein Gespenst geht um in Amerika, das Gespenst des Kommunismus'. So oder ähnlich hatte es bereits Marx formuliert, der für die Spiegelredaktion mit diesem vollkommen berechtigten Hinweis des Senators, der sich in beste Tradition Eisenhowers stellt, mit wehendem Rauschebart angeritten zu kommen scheint. Es ist kaum zu leugnen, dass der militärisch-industrielle Komplex in den USA ein, wenn nicht der, bedeutender Machtfaktor ist. Und dass er am Irakkrieg mehr als nur gut verdient hat, zusammen mit einer reichlich korrupten Politikerelite; pars pro toto sei hier Halliburton erwähnt. Aber für den Spiegel, der sich ja in letzter Zeit gerne als amerikanischer Hurra-Patriot und im besten 1950er Jahre Stil als "Freund Amerikas" positioniert, ist solch plumpe Rhetorik wohl allemal anwendbar.

Freitag, 4. Mai 2007

Veranstaltungshinweis: T.i.n.a.

T.i.n.a., sag brav auf nimmer wiedersehn`!
Ein Globalisierungs-Seminar nicht nur zur Vorbereitung auf den G8-Gipfel in Heiligendamm / 18.-20.05.07 / Berlin


Globalisierung, Sachzwang, Neoliberalismus – Worte, die viel benutzt, aber wesentlich seltener hinterfragt werden. Dass sich im Gefüge von Wirtschaft, Staat und Demokratie etwas wandelt ist unbestreitbar – aber was genau? Und warum? Wie tritt wo „das“ politische Projekt der neoliberalen Globalisierung auf? Was ist mit den viel beschworenen Alternativen?... Einfache und schnelle Antworten wird es explizit nicht geben; kann es auch nicht. Radikaldemokratische Kapitalismuskritik ist gerade jetzt nötig.
Einzelne Themenbereiche werden wir uns auf diesem Wochenendseminar etwas genauer anschauen: Defizite und Potenzial der politischen Globalisierung, Kapitalistisches Konkurrenzprinzip und Lohnarbeit, ArbeitnehmerInnenrechte in Europa und anderswo, Auswirkungen neoliberaler Politikprojekte auf Frauen und auf die Bildungspolitik.
Das Seminar soll über diese Auseinandersetzung hinaus auf den G8-Gipfel in Heiligendamm vorbereiten. Warum und in welchen Punkten ist die Gruppe der Acht kritisierbar? Welche Agenda hat die deutsche Regierung für ihre G8-Präsidentschaft vorgesehen? Welchen Ansatz verfolgen die ebenfalls zum Gipfel mobilisierenden Nazis und wie können wir darauf reagieren?
Aber auch eine Übersicht über die bisherigen Protestvorbereitungen und die Planung eigener Aktivitäten kommt nicht zu kurz.


Veranstaltet von JungdemokratInnen/ Junge Linke und der Linken SchülerInnen Aktion
unter Beteiligung der Aktion kritischer SchülerInnen (aks) Österreich


Tipp der Verfasserin: Der 17. ist ein Feiertag. Fahrt doch einfach schon Donnerstag nach Berlin und macht euch noch nen schönen Tag. Fahrtkosten gibt´s eh und private Schlafplätze organisieren wir euch gerne.

Für Unterbringung und Vollverpflegung zahlt ihr 16 Euro Teilnahme-Beitrag. Die Fahrtkosten werden euch mindestens zur Hälfte erstattet, nutzt ihr die Bahncard 50 oder den Plan&Spar 50-Tarif der Bahn bekommt ihr die kompletten Fahrtkosten zurück.
Anmeldung und weitere Infos: JD/JL Greifswalder Str. 4 in 10405 / Tel.: 030 44024864 / jdjlbgs@gmx.de / www.jdjl.org
Die Linke SchülerInnen Aktion erreicht ihr über LiSA-Info@gmx.de.

Fundstücke 4.5.2007

Wenn die Schule zur Hölle wird - Mobbing.
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Wie die EU, aber niemand in der EU für alles verantwortlich ist.
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Die You-Tube-Propagandaabteilung des Pentagon in der Analyse.
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Analyse des Fernsehduells zwischen Sarkozy und Royal.
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Die IG Metall hat einen Tarifabschluss für BW gefunden.
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On the road to Manchester

Wenn es jemals eine goldene Zeit des Kapitalismus gab, dann wohl die des so genannten Manchester-Kapitalismus des 19. Jahrhunderts. Darunter versteht man den vollständig zügellosen Kapitalismus ohne Regeln, in dem die Arbeiter nur Produktionsfaktoren sind, die ausgesaugt und weggeworfen werden und die kaum genug zum Leben verdienen. Also im Endeffekt kein großer Unterschied mehr zu heute. Noch so ein wichtiges Merkmal des Manchesterkapitalismus', an das man sich heute gerne mit einem wohligen Schauer und dem Verweis auf die utopisch-herrschenden Zustände erinnert, ist der vollständig fehlende Versicherungsschutz der Arbeiter. Maschine trennt die Hand ab? Schade! Der Arbeiter ist krank? Verhungert eben die Familie. Die Vorteile sind klar: kaum Lohnnebenkosten, und der Staat ist hübsch rank und schlank, während die Unterschicht einfach wegstirbt statt eine Versorgermentalität zu entwickeln. Dieser paradiesische Zustand soll wiederhergestellt werden, wozu derzeit in der GroKo in aller Stille eine gewaltige Versicherungsreform vorbereitet wird, mit einer Hast und handwerklichen Schlampereien, die nicht nur Telepolis an die bevorstehenden Landtagswahlen 2008 denken lassen, in denen das ganze wohl keinesfalls ein Thema mehr sein soll.
Aber worum geht es? Bisher wird die Berufsunfallversicherung mit etwa 9 Milliarden Euro im Jahr von den Arbeitgebern getragen. Das leuchtet ein, denn in deren Dienst verletzt man sich ja schließlich auch. So sind ist die Versicherung denn auch verpflichtet, dem erwerbsunfähig gewordenen Versehrten eine Rente bis ans Lebensende auszuzahlen. Um diesen Zustand zu beseitigen, versucht die Politik nun als treuer Erfüllungsgehilfe der Privatwirtschaft, vom Verursacherprinzip abzukommen. Dadurch würde der Weg frei für drastisch reduzierte Leistungen, deutlich härterer Kriterien der Inanspruchnahme der Versicherung und nicht zuletzt die Möglichkeiten, Abfindungen von 6000-24000 Euro zu bezahlen und dann Ruhe zu haben - während der neue Unterschichtler sehen kann wo er bleibt und wahrscheinlich bald verhungert, da die ARGE seine Leistungen streichen will, nur weil der Vollinvalide nicht als Löwendompteur arbeiten will.

Donnerstag, 3. Mai 2007

Fundstücke 3.5.2007

Telepolis zur Generation Praktikum.
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Die Gefahr der Terrorlisten

Gebetsmühlenartig wird darauf hingewiesen, dass die Terrorlisten rechtswidrige und abzulehende Willkürakte der Exekutive darstellen. Die Telepolis stellt in einem Artikel dar, wie sie die Existenz eines philippinischen Professors und Menschenrechtsaktivisten zerstörten, weil man, willkürlich wie immer, seine Organisation auf die Terrorlisten setzte. Der Artikel bietet eine hevorragende Zusammensetzung der Kritikpunkte:

* Ohne Begründung und ohne demokratische Legitimation: Die Terrorliste beruht auf einer rein politisch-exekutiven, nicht auf einer legislativen Entscheidung; die Entscheidungsfindung ist hochgradig interessegeleitet und willküranfällig, weil sie zumeist auf dubiosen Geheimdienstinformationen basiert und oft nur von einem EU-Mitgliedsstaat initiiert wird.
* Ohne demokratische Kontrolle: Ihr Zustandekommen, ihre Zusammensetzung und Veränderung unterliegen keiner demokratischen Kontrolle – obwohl die Folgewirkungen (Sanktionen) dieser Liste gravierend sind und zu massiven Menschenrechtsverletzungen führen können.
* Kein rechtliches Gehör und ohne Rechtsschutz: Obwohl zahlreiche Grundrechte der aufgelisteten Einzelpersonen und Organisationen verletzt werden (Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Recht auf Eigentum, Recht auf rechtliches Gehör, Recht auf Verteidigung, Rechtsweggarantie, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz u.a.), wird rechtliches Gehör gegen den Beschluss, der die Mitgliedsstaaten bindet, nicht gewährt und eine Überprüfung der Entscheidungen durch unabhängige Gerichte ist nicht vorgesehen. Den Sanktionsmaßnahmen sind die Betroffenen also schutz- und wehrlos ausgeliefert.

Das Kleingedruckte: Druckt es größer!

Mit dieser Überschrift fordert die SZ eine Abschaffung des Kleingedruckten, das uns alle zu schlechteren und misstrauischeren Menschen gemacht habe. Noch nie gab es so viel Kleingedrucktes wie heute, sogar im Fernsehen wird es in Fünf-Punkt-Arial für einige Sekunden eingeblendet.
Eine Alltagsbeobachtung: Was macht jemand, der ein tolles Angebot in einer Zeitung entdeckt? Er schaut sich nicht das Produkt genauer an, er fragt nicht, ob er das braucht, wo er es hinstellen könnte, wem er mit so einem feinen Schnäppchen eine Freude machen würde, nein, tut er nicht. Er wird suchen. Das Aber wird er suchen, die Einschränkung, das Sternchen, die kleine Ziffer, rechts oben oder gleich neben dem Preis. Er wird bereits auf den winzig kleinen Text unten am Rand der Anzeige warten, der sinngemäß sagt: Für 29 Euro nach Costa Rica? Und das glaubst du, ja?
[...]
Das Kleingedruckte ist ein Ort der Feigheit, die dunkle Seite des Vertrauens, die Rumpelkammer des Anstands. Seitdem das Kleingedruckte vor sich hinmetastasiert, glauben wir nichts mehr, es hat uns zu schlechteren Menschen gemacht. Die Französische Revolution hätte es mit Kleingedrucktem nicht gegeben, die Magna Charta kam ohne Kleingedrucktes aus, die Bibel auch. Die Gefahr, so ist das schon immer, versteckt sich gern, manchmal in einer dunklen Gasse, manchmal in fünf Punkt Arial. Druckt es größer!

Dienstag, 1. Mai 2007

Kurzer Ausflug in die Ideengeschichte

Wenn mich etwas an den Leuten nervt, die irgendwie das Bedürfnis der Diskreditierung von sozialen Ideen haben, dann ihr kruder Mix aus Unwissen, gezielter Desinformation und schlichter Ignoranz, was die Verwendung der Bezeichnungen "Kommunismus" und "Sozialismus" angeht (und, wenn der Gesprächspartner sich für richtig gebildet hält, "Marxismus"). Auch, wenn es in der schwarz-weißen Ideenwelt der Rechtskonservativen und Neoliberalen vielleicht in derselben Kategorie "Schimpfwort" firmiert, so meint es mitnichten dasselbe. Genausowenig gab es je einen kommunistischen Staat; sämtliche Ostblockstaaten bezeichneten sich als "sozialistisch".
Und das hängt mit dem Selbstverständnis dieser Staaten zusammen. Denn der Sozialismus ist nach der Lehre die Vorstufe des Kommunismus. Im Sozialismus bestehen alte Strukturen noch teilweise fort, da die Menschen erst lernen müssen, mit einem neuen Gesellschaftsmodell zu leben und sich an die Idee einer klassenlosen Gesellschaft anzupassen. Diese Vorstufe hat kein Ostblockstaat je von sich behauptet durchschritten zu haben. Lediglich die bereits erwähnten Gruppen verwendeten mit enervierender Ignoranz und Penetranz das Wort "Kommunismus" beziehungsweise "kommunistisch". Vermutlich entstammt diese Abwehrhaltung noch dem Dritten Reich, in dem ebenfalls über "kommunistisch" (respektive "bolschewistisch", was schlicht "Mehrheitler" bedeutet) ein Feindbild konstruiert und aufoktroyiert wurde. Nicht umsonst, um diese Begriffsdefinition abzuschließen, heißt es ja UdSSR und nicht UdKSR.
Gleichzeitig wird immer wieder gerne die Planwirtschaft östlicher Prägung mit dem Kommunismus/Sozialismus gleichgesetzt. Nirgendwo hat je ein Kommunist geschrieben (und als Kommunist seien hier die Begründer der Bewegung Mitte des 19. Jahrhunderts bezeichnet), dass diese Staats- und Gesellschaftsform (denn gestalterischen Anspruch erhebt die Ideologie für beides!) auf einer Planwirtschaft als ökologischem Modell basieren müsse. Genausowenig steht aber irgendwo festgeschrieben, dass Planwirtschaft per se ein ineffizientes, nicht funktionsfähiges Gebilde ist - ihre größte Wirtschaftsleistung (relativ gesehen) erreichten die USA in der kurzen Phase der Planwirtschaft zwischen 1941 und 1945, als fast die gesamte Wirtschaft zentral und staatlich gelenkt und gesteuert wurde. Das deckt sich mit den bereits ein Jahrzehnt vorher von Galbraith formulierten Theorien, nachdem Monopole besonders effizient beim Erfüllen von Bedürfnissen auf die billigste Art sind - und das größte Monopol, das denkbar wäre, ist die staatlich gelenkte Planwirtschaft. Aber das nur am Rande.
Ich hoffe, damit die beiden großen Irrtümer aufgeklärt zu haben:
1) Sozialismus ist nicht gleich Kommunismus
2) Kommunismus ist nicht gleich Planwirtschaft
Vielleicht komme ich später im Semester noch darauf zurück, ich besuche gerade ohnehin eine Vorlesung zum Thema.