Sonntag, 17. Dezember 2006

Die Überwindung der herrschenden Arbeitsphilosophie

Ein Gastbeitrag von Carsten Krug.

Die Rolle der Arbeit innerhalb des menschlichen Daseins
Dass die Arbeit innerhalb des menschliches Daseins einen wesentlichen Faktor darstellt, würde niemand ernsthaft bestreiten, spätestens seitdem der Erzengel Gabriel die Menschen aus dem Paradies verwiesen hat. Nichtgläubige halten sich zwar lieber an die inzwischen sichere Erkenntnis, dass das Schlaraffenland auf keiner Landkarte der Welt zu finden ist, doch das Ergebnis bleibt dasselbe: Der Mensch muss arbeiten, um seine existenziellen Bedürfnisse befriedigen zu können. Diese Erkenntnis ist zwar uralt, aber entsprechend weit auslegbar: Wie viel muss ein Mensch arbeiten? Was muss er tun? Unter welchen Bedingungen geht er dem nach, was ökonomisch heutzutage gern als ‚Beschäftigung’ bezeichnet wird?

Rund ein Drittel seiner Lebenszeit, so sagt man, verbringt ein Beschäftigter in der westlich-kapitalistischen Kultur am Arbeitsplatz. Ein weiteres Drittel macht die Freizeit aus, schließlich ein weiteres Drittel der Schlaf. Ein ziemlich hoher Anteil, der dabei der Arbeit vorbehalten ist, besonders wenn man bedenkt, dass sämtliche sozialen Interaktionen, welche in diesen Bereich fallen, auch heutzutage noch oder gerade heutzutage relativ streng reglementiert, also weitgehend fremdbestimmt sind. Die Nazis haben diesen Zusammenhang in ihrem verbrecherischen und ins Gegenteil verkehrenden Zynismus aufgegriffen, indem sie den Menschen vorgaukelten, Arbeit mache frei; selbst als Leitthese für eine schreckliche Massenvernichtung menschlichen Lebens wurde dieser Zusammenhang missbraucht.


Die Geschichte der menschlichen Arbeit
Blicken wir eine Weile zurück in die Menschheitsgeschichte. Die Arbeitswelt hat in dieser Zeitspanne mannigfaltige Veränderungen erfahren, die aber doch stets bestimmten Motiven entsprungen sind: So standen im Vordergrund die Produktivitätssteigerung, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der rationale Aspekt, den Versuch zu unternehmen, das Notwendige mit dem Nützlichen zu verbinden, kurz, es wurde zunehmend der mit der Arbeit verbundene Selbstverwirklichungsaspekt betrachtet und auch berücksichtigt. All diese rationalen Bestrebungen führten dazu, dass die so genannte Arbeitsteilung Einzug hielt und ständig fortentwickelt wurde. Auf diese Weise war es zunehmend möglich, Menschen nach ihren Neigungen und Fähigkeiten in den Produktionsprozess einzubinden – jeder hatte etwas davon: Es war der Qualität zuträglich und eine Selbstverwirklichung ist nun einmal dann am besten gewährleistet, wenn Menschen das tun können, was ihren Neigungen entspricht, woran sie Freude verspüren. Kein Psychologe würde bestreiten, dass motivierte Menschen bessere Leistungen hervorbringen im Vergleich zu unmotivierten. Nicht zuletzt bot die Arbeitsteilung dem Menschen eine gewisse Unabhängigkeit, weil er nicht mehr selbst alles produzieren musste, was er brauchte, sondern jeder von jedem profitierte.

Die Arbeitsteilung wurde begleitet durch einen ständigen technischen Fortschritt, Beispiele gibt es genug dafür. Diese Entwicklung hat jedoch in den letzten Jahren den Menschen zunehmend außen vor gelassen: Im Vordergrund steht längst nicht mehr die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und es ist zumindest fraglich, ob sie es im kapitalistischen System je gestanden haben. Die sehr wohl mit diesen Entwicklungen einhergehenden Produktivitätssteigerungen führten dazu, dass sich das Verhältnis zwischen dem Grade der Rentabilität auf Grund der Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln immer weiter in Richtung der Eigentümer dieser Produktionsmittel verschoben hat. Vereinfacht formuliert: Der Arbeiter selbst hat immer weniger von diesen technischen Errungenschaften, denn sie werden nicht etwa dazu verwendet, beispielsweise die Arbeitszeiten zu verkürzen, sondern das Gegenteil wird ständig proklamiert. Sogar rein materielle Vorteile gehören längst der Vergangenheit an, das Realeinkommen ist in den letzten Jahren ständig gesunken.


Das Kaninchen vor der Schlange
Es mag Gründe dafür geben, dass diese Entwicklungen von einer derart breiten Masse einfach hingenommen werden; ja, es gibt mit Sicherheit Gründe dafür, denn rational ist das keinesfalls. Diese Gründe sollen an dieser Stelle ein wenig beleuchtet werden, denn sie sind im Bewusstsein der meisten Menschen keineswegs präsent. Weshalb also fordern die Menschen nicht ein, was ihnen zusteht? Weshalb verinnerlichen sie völlig paradoxe Zusammenhänge, die allen Gesetzen der Logik widersprechen? Weshalb versklaven sie sich selbst? Untersuchen wir zunächst, weshalb überhaupt dieses groteske Bild entstehen muss. Wir sollten und zunächst darüber bewusst werden, dass jede Ideologie, die institutionell zum System erhoben wird, bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt.

Dem westlich-kapitalistischen System, das in seinen Bestrebungen, die Welt zu beherrschen, scheinbar unaufhaltsam voranschreitet, liegt eine solche Ideologie zu Grunde. Diese Ideologie definiert sich vor allem über die radikale Ökonomisierung des Menschen: Werte zählen nur, wenn sie materiell erfassbar sind; der Mensch selbst wird zu einem beliebig austauschbaren ökonomischen Faktor. Was bedeutet das nun für die Arbeit? Da der Mensch selbst zu einem ökonomischen Faktor degradiert wird, gilt das entsprechend natürlich auch für seine Arbeitskraft. Sie wird behandelt wie alle anderen Waren auf dem Markt auch, sie wird rigoros Marktgesetzen unterworfen. Da verwundert es natürlich nicht, dass ethische Aspekte, also ideelle Werte, keinen Platz mehr haben. Es zählt allein Leistung und sämtliche Tätigkeiten des Menschen, welche ihm durchaus erhebliche Anstrengungen abverlangen, gelten unter ökonomischen Aspekten nicht als Arbeit, beispielsweise die Haushaltsführung, die Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen oder das Ehrenamt.

Bereits relativ frühzeitig wurde erkannt, dass dieses System einen ganz entscheidenden Schwachpunkt aufweist, nämlich die spezifischen Machtverhältnisse sowie die sich daraus ergebenden Interessenkonflikte. Einige wurden blutig überwunden bzw. ’gelöst’, es gibt aber auch Beispiele der relativ konfliktgerechten Bewältigung: Die Installation von Sozialsystemen, welche die Gegensätze abfederten oder beispielsweise die Tarifautonomie. Innerhalb dieser Entwicklung, die im 20.Jahrhundert vonstatten ging, wurden zahlreiche Vereinbarungen getroffen, welche dem arbeitenden Menschen zu Gute kamen: Die Arbeitsbedingungen wurden verbessert; man muss aber auch sehen, dass das alles nur möglich war, weil sich die Menschen auf breiter Basis organisierten: Sie nahmen ihre Interessen wahr, verliehen ihnen Aus- und gleichzeitig Nachdruck.

Da sich der westliche Kapitalismus immer weiter und scheinbar unaufhaltsam zu einem Globalkapitalismus ausweitet, treten die oben genannten Gesetzmäßigkeiten immer deutlicher hervor. Man spricht dann von ‚Konkurrenz’, von ‚Wachstum’(-zwang), von ‚Beschäftigung’, von ‚Standortbedingungen’: Die nach oben hin offene Skala menschlicher Gier als eine der destruktivsten menschlichen Eigenschaften überhaupt offenbart die Grundregel, dass es ein ‚Genug’ nie geben kann. Dies wäre allein noch kein Problem, wenn es keine Interessenkonflikte geben würde, doch die Tatsache, dass diese Gesetzmäßigkeit nicht nur auf jeden ökonomischen Faktor anzuwenden ist, sondern prinzipiell sogar auf jedes Einzelindividuum, impliziert einen nie enden wollenden Wettlauf, in der Eine den Anderen zu übertreffen versucht, sowie entsprechende Interessenkollisionen – automatisch stellt sich die Frage der Grenzen des Wachstums, welche durch Phänomene wie Klimaveränderungen, Ressourcenerschöpfung oder globale Massenverarmung schnell beantwortet werden. Das Konkurrenzdenken nimmt eine derartig mächtige Eigendynamik an, dass die Mittel, mit denen gekämpft wird, immer brutaler werden und vor allem auch immer unfairer. Die Mechanismen, welche diese Eigendynamik in Schach halten sollen, greifen längst nicht mehr, was sich nirgendwo derart deutlich äußert als in der Arbeitswelt, immerhin einem Drittel der Lebenszeit eines Beschäftigten – wir erinnern uns... .

Diese kapitalistische Ideologie hat sich den meisten Menschen derart fest in das Bewusstsein eingebrannt, dass eine kritische Reflexion kaum noch möglich erscheint, womit wir bereits bei einer Erklärung dafür wären, weshalb es möglich ist, dass sich ein derartige Zerrbild über die Rolle der Arbeit im menschlichen Dasein bilden konnte: Der ‚Verlust eines Arbeitsplatzes’ nimmt unter den herrschenden kulturellen und politischen Verhältnissen eine bereits vergleichbar schwere Dramatik an, wie eine schwere Krankheit oder sogar der Tod. Perspektivlosigkeit, Verzweiflung, Existenzängste und komplexe und schwere psychische Schäden bei Betroffenen belegen dies. Die technischen Errungenschaften, welche den Menschen das Leben erleichtern sollten, erwiesen sich in fataler Weise als Bumerang, ein Segen wurde so zum Fluch. Wie kann so etwas möglich sein? Sind wir nicht ein mündiges Volk, das, zumindest in weiten Teilen, emanzipiert ist, über politische Bildung verfügt? Ein Volk, das viel Wert legt auf eigenständige Entscheidungen? Ich stelle das massiv in Frage, denn ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass sich die breite Masse derart vorführen lässt und sich selbst derart belügen kann. Wie konnte es dazu kommen?

Der manipulierbare Mensch
Menschen sind nun einmal manipulierbar, ganz einfach, weil sie in ihren Trieben immer auch einen Konkurrenten besitzen, welcher ihrer Rationalität entgegenwirkt. Man nehme einen Moloch im Schafspelz, den weite Teile der Medien verkörpern, man wecke diese irrationalen Triebe und verstärke sie, alles selbstverständlich unter den Diensten der neuesten Erkenntnisse in der Psychologie. Unternehmen gehen bereits seit einiger Zeit nicht anders vor („die Mitarbeiter sollen wollen, was sie sollen“); relativ neu ist die Dreistigkeit, mit der auch die Politik auf immer breiterer Front nach diesem Muster vorgeht. Wohl gemerkt, Vertreter der eigenen Klientel, die sie gewählt hat! Auf diese Weise wird auf breitester Basis bei den Menschen ein Bewusstsein geschaffen, das zwischen den Attributen der Resignation, der Ideologiehörigkeit, der Suppression des eigenen Denkvermögens und der Selbstreflexion hin- und herpendelt. Begleitet wird das Ganze dann von einer ganz konkreten Politik, der es ein Kardinalanliegen ist, eine Arbeitsphilosophie zu manifestieren, welche systemkompatibel ist und deshalb die Arbeit zum reinen Selbstzweck degradiert. Die HARTZ-Gesetze, die Aushöhlung der Sozialsysteme unter dem haltlosen Argument, sie wären nicht mehr finanzierbar, die Förderung der psychologisch begründbaren Spaltung der Gesellschaft in arm und reich, in krank und gesund, in alt und jung, in leistungsfähig und leistungsschwach. Die Tabuisierung von Alternativen. Auf diese Weise lässt sich systematisch ein Bewusstsein schaffen, welches das Beschäftigungsverhältnis in den Mittelpunkt des menschlichen Daseins stellt, wobei gleichzeitig eine Riesenchance, dieses Verhältnis im Sinne des Menschen herunterzufahren, vertan wird. Nebenbei hat das noch den im Sinne des Systems überaus erstrebenswerten Nebeneffekt, dass diese Vorgehensweise die Arbeitnehmerschaft diszipliniert. Treibt man Ratten in die Enge, werden sie zu reißenden Bestien. Malt man eine mögliche Arbeitslosigkeit nur in den dunkelsten Farben aus und tut konkret auch genug dafür, dass dieses Bild realistisch wird, dann haben wir diesen Effekt, natürlich mit dem Effekt, dass sich die Aggressionen der Betroffenen gegen alle richtet, aber leider nur selten gegen die Verursacher bzw. gegen das verursachende System.

Wir haben also gesehen, wie Fetische kreiert werden: Das Wachstum durch die Weckung und Förderung der menschlichen Gier in ihrer progressiven und deshalb krankhaften Potenzierung, ihrer Unendlichkeit. Die Arbeit durch Entfremdung und reflexionsloser Betrachtung derselben zum Selbstzweck; den Wettbewerb, indem das belebende Moment undosiert und deshalb unkontrollierbar verabreicht wird; den Wohlstand als Phrase auf rein materieller Basis und ohne Berücksichtigung von Verteilungsaspekten. All diese Mechanismen sind erforderlich für die Funktionalität des kapitalistischen Systems, das immer weniger Gewinner und immer mehr Verlierer hervorbringt – bis es zusammenbricht.

Der Mensch ist und bleibt ein höchst irrationales Wesen.

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EXKURS: Einige systemimmanente Absurditäten an Hand der herrschenden Arbeitphilosophie veranschaulicht

1. Arbeitszeitverkürzung bzw. –verlängerung, Vorruhestand
Es wurde bereits auf den Zusammenhang zwischen systemimmanenten Gesetzmäßigkeiten der kapitalistisch geprägten Ideologie einerseits und der menschlichen Arbeit andererseits hingewiesen. An keiner Stelle wird dieser Zusammenhang und seine Auswirkungen auf die große Mehrzahl der Menschen derart deutlich wie hier: Auf Grund der stetig vorangeschrittenen Technisierung wurden die Arbeitsabläufe in einem niemals gekannten Tempo vereinfacht. Eine feine Sache, sollte man denken, verringert genau dies doch den viel zitierten Schweiß im Angesicht des arbeitenden Menschen. Sollte man denken... . Seltsam nur, dass die Belastungen für den arbeitenden Menschen während dieser Entwicklung nicht etwa gesunken, sondern gestiegen sind. Die Politiker werden nicht müde, ständig zu predigen, wir müssten uns mehr anstrengen, länger arbeiten. So wohl in Bezug auf die Tagesarbeitszeit, als auch die Jahresarbeitszeit (Urlaubsverzicht!), als auch in Bezug auf die Lebensarbeitszeit. Gleichzeitig haben wir ein Heer von Millionen von Arbeitslosen. Die Logik der Wirtschaftslobbyisten und neoliberalen Politiker besteht nun darin, dass eine Verlängerung der Arbeitszeiten zur Folge hätte, dass die Arbeitslosigkeit sinken würde. Eine derartige Logik kann nur jemand verkaufen, der vorher sein Gegenüber gründlich gehirngewaschen hat.

Dies ließe sich konkret am Beispiel des Vorruhestandes veranschaulichen. Um dieses Modell zu verteufeln, schreckt man nicht einmal davor zurück, die Menschen schlicht vorsätzlich in die Irre zu führen: „Die breit angelegte Anwendung der Vorruhestandregelung hätte nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit geführt“, so hört man die Apologeten der Menschen verachtenden Arbeitsphilosophie immer wieder. Einem seriösen Wissenschaftler würden bei eine derartigen Aussage die Haare zu Berge stehen. Weshalb? Die Aussage ist eine absolute ohne vergleichenden Bezug (der übrigens auch nicht möglich ist, weil er spekulativ bliebe). Das bedeutet, dass diese Aussage eben nicht beinhaltet, wie sich die Arbeitslosigkeit entwickelt hätte ohne Anwendung dieses Modells. Sehr wahrscheinlich wäre sie noch schneller bzw. stärker angestiegen.

Eine weitere Absurdität besteht darin, das Augenmerk in besonderer Weise darauf zu lenken, ältere Arbeitslose ‚in Arbeit zu bringen’, wie es die Politiker immer wieder gern formulieren. Erfüllen wir das doch einmal mit Leben: Viele ältere Arbeitnehmer sind bereits mehrere Jahrzehnte einer Beschäftigung nachgegangen und entsprechend verbraucht. Sie sehnen sich ihr wohlverdientes Rentnerdasein förmlich herbei. Gleichzeitig blockieren sie unfreiwillig Arbeitsplätze, die von jungen Menschen besetzt werden könnten. Auf diese Weise ist keiner Seite gedient: Dem älteren Arbeitnehmer nicht, weil er sich eher zur Arbeit quält, als dass er Freude an ihr hätte; dem jüngeren potenziellen Arbeitnehmer nicht, weil seine Chancen auf diese Weise noch kleiner werden, in ein Beschäftigungsverhältnis zu kommen und schließlich auch dem Unternehmen nicht, das anstelle eines unverbrauchten und motivierten jungen Mitarbeiters einen unmotivierten älteren Arbeitnehmer ‚durchschleppen’ muss, der längst die so genannte ‚innere Kündigung’ ausgesprochen hat. Logisch? Im Sinne aller Menschen?

2. Die Aufhebung der Unzumutbarkeitskriterien
Dieser Teil der HARTZ-Gesetzgebung stellt wohl den Aspekt dar, welcher die Menschenwürde in eklatanter und dreistester Weise verletzt. Ohne Unterschied und völlig der Willkür des entsprechenden Sachbearbeiters ausgeliefert, wird dem Menschen ein ganz elementares Selbstbestimmungsrecht genommen, nämlich das der freien Berufswahl.

3. Liberalisierung/Aufhebung der Ladenschlussgesetze
Dieses Beispiel veranschaulicht die Degradierung der menschlichen Arbeitskraft zum rein ökonomischen Faktor sehr deutlich. Er soll möglichst frei verfügbar sein; arbeiten, wenn es ökonomisch erforderlich erscheint. Absurd an dieser Maßnahme ist die Vernebelung des gesunden Menschenverstandes durch die Gier: Man erhofft sich dadurch tatsächlich ernsthaft Umsatzsteigerungen wider des besseren Wissens, dass der Anteil des Einkommens, welches die Konsumenten hierfür aufwänden können, in keiner Weise von den Öffnungszeiten der Läden bestimmt wird. Es muss eigentlich mehr dahinter stehen, womit wir wieder bei der Disziplinierung der Arbeitskräfte wären und natürlich auch bei Bestrebungen größerer Anbieter, die kleineren schlicht zu vernichten, weil letztere nicht in dem Maße davon profitieren wie die großen. Es reicht offenbar nicht aus, dass bereits tausendfach kleinere ökonomische Einheiten aus dem Wettbewerb gedrängt wurden. Führt man diesen Gedanken weiter, mündet diese Art der Konzentration in einem Monopol, einer Allmachtstellung eines einzigen Anbieters – der Traum und das Ziel jeglichen Anbieters innerhalb des globalen Wettbewerbs.

4. Die Bestimmung des Bewusstseins durch die Warengesellschaft
Werbung, hinter welcher sich nichts anderes verbirgt als die Weckung, Bedienung und Förderung rein materieller Werte, verhält sich gegenüber der Entwicklung und Pflege ideeller Werte diametral. Als ideelle Werte kommen beispielsweise ‚Solidarität’, ‚Empathie’, ‚Altruismus’ oder ‚Bescheidenheit’ die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Fähigkeit zur Wertschätzung steht, oder auch etwa ‚Maß’ in Betracht. All diese ideellen Werte behindern das rein ökonomisch definierte Bewusstsein und das entsprechende Denken. Dass sich der Mensch innerhalb dieses Prozesses selbst etwas vormacht, sich selbst betrügt, merkt er freilich nur höchst selten. Er verkauft sich an ein System, das ihn mittel- und langfristig im wahrsten Sinne zersetzt, ihn zum rücksichtslosen Zombie erzieht. Das Heimtückische daran ist, dass dieser Prozess ganz langsam vonstatten geht, was er auch muss, denn anderenfalls wäre er sofort erkennbar und als Menschen verachtend offenkundig. Nirgends wird dies so deutlich als bei der herrschenden Arbeitsphilosophie – der Kreis schließt sich. Diese Arbeitsphilosophie ließe sich also wahrscheinlich nur über eine breite Bewussteinsveränderung überwinden, was gleichzeitig so völlig logisch wie auch schwierig erscheint.

Carsten Krug, geboren 1957, ist seit 2002 passives Mitglied in der damaligen PDS, heute Linkspartei und aktiver Befürworter der Fusion mit der WASG. Er ist von Beruf Sportredakteur und gelernter Versicherungskaufmann. Er ist bereits seit langem Mitglied bei ver.di.

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