Die Grünen haben rund 18 Jahre gebraucht, um wirklich und voll im „Establishment“ des politischen Alltags anzukommen. Rechnet man solche Zeiten als Standard, ist es kein Wunder, dass die Linkspartei derzeit so kontrovers diskutiert wird, ihr solch unversöhnliche Hassschwüre entgegengeschleudert werden. Teile der Debatte heute erinnern in der Tat an die Spontizeit der Grünen. Aber ich greife vor.
Die Wurzeln der Linkspartei liegen in der KPD, die sich als Folge der Spaltung der SPD 1917 im Jahre 1919 konstituierte. Ihre Lichtfiguren waren Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg; in deren Tradition stand sie jedoch nie. Sie KPD wurde sehr schnell eine rein moskauhörige Apparatschnikpartei, und sie wurde das auch nie los. In den späten 1930er Jahren versetzte sie in eifriger Zusammenarbeit mit der NSDAP der Weimarer Republik den Todesstoß, nachdem sie sich nie entscheiden hatte können, welche Richtung einzuschlagen war. Weltrevolution? Reform? Ein bisschen von beidem? Die Moskauhörigen gewannen; die KPD weigerte sich kategorisch, mit der SPD zusammenzuarbeiten, die sie als größten Gegner empfand – eine Feindschaft, die auf Gegenseitigkeit beruhte und sich als fatal erweisen sollte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte der Kommunismus durch die nationalsozialistische Propaganda und die Erfahrungen mit der Roten Armee keinen leichten Stand; den Einzug in den ersten Bundestag schaffte die KPD jedoch gerade noch. Bereits 1956 wurde die marginalisierte Partei jedoch als verfassungsfeindlich verboten; ein umstrittener Akt, der vor allem in der Kommunismushysterie fußen dürfte. Besonders in den 1970er Jahren grassierte in der BRD die Szene der K-Gruppen, die aber nie wirklich Einfluss auf den politischen Prozess gewannen und relativ rückstandslos verschwanden. Der politische Einfluss der KPD konstituierte sich in der SBZ, wo sie auf Druck der UdSSR 1946 mit der SPD zur SED fusionierte. Obwohl die KPD an Mitgliedern deutlich ärmer war, kam sie an die Schaltstellen der Macht und richtete die SED dogmatisch nach Moskau hin aus („Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen“). Auf den klaffenden Widerspruch zwischen Ideologie und Lebenswirklichkeit in der sich konstituierenden DDR brauche ich hier nicht näher eingehen; er ist hinlänglich bekannt. Die SED hielt sich als reaktionärste und konservativste, überaltete Funktionärspartei im gesamten Ostblock, ehe das Gebilde der Beharrung 1989/90 umso tösender in sich zusammenbrach. Geführt wurde die SED plötzlich von einer jüngeren Generation, von der man zuvor nie gehört hatte. Sie trug Namen wie Bisky und Gisy. Modrow als bekannterer Politiker zog sich bald aus dem Geschäft zurück.
Um die Schatten der Vergangenheit loszuwerden, zog die SED als „PDS“ (Partei des demokratischen Sozialismus“) in den Bundestagswahlkampf von 1990. Doch die Menschen wollten verständlicherweise nichts von ihr wissen. Bis 1998 streifte die PDS den alten Sozialismus von sich ab und wandelte sich in eine demokratische Oppositionspartei – nicht ohne einen starken linken Flügel, der von Trotzkisten über Anarchisten ein Sammelbecken an reichlich links stehenden Phantasten in sich vereinigte. 1998 gelang ihr knapp der Sprung in den Bundestag, aus dem sie bereits 2002 wieder herausflog; ausgenommen die drei Direktmandate aus Ostberlin.
Doch die Schröder’sche Agenda 2010 und der rapide Werteverlust der SPD ermöglichte der PDS neue Chancen. Ihr Problem war schon immer der Westen gewesen; im niedrigen einstelligen Prozentbereich dümpelte sie umher, ohne reelle Chance. Das änderte sich 2005, als der Protest gegen Hartz-IV und die Kahlschlagpolitik der SPD einen ersten Höhepunkt erlebte – und eine neues Gesicht erhielt. Mit Lafontaine stellte sich eine Figur des Westens an die Spitze der Protestbewegung, die ihren parteipolitischen Niederschlag in der WASG (Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit) fand. Gute Umfragewerte jenseits der 5%-Marke brachten die Debatte um einen Vereinigungsprozess voran – die PDS hatte ihren Einstieg in den Westen gefunden.
Gegner der PDS und der Neuen Linken polemisieren gerne damit, dass die PDS die Nachfolgepartei der SED (oder gar mit ihr identisch) sei. Das mag de iure stimmen. De facto aber hat die PDS das Gewand des Sozialismus überraschend schnell abgestreift. Der „demokratische Sozialismus“ fand sich bis 1958 regelmäßig in den Programmen der SPD, einer des Extremismus und der antidemokratischen Umtriebe wohl gänzlich unverdächtige Partei. Obwohl die PDS mit der alten SED so viel zu tun hat wie die SPD mit der alten SPD vor 1918, ist der Vorwurf nicht aus der Luft gegriffen. Zahlreiche Funktionäre der DDR-Zeit, teilweise mit Sicherheit an den Verbrechen der DDR schuldig, haben in der PDS überdauert. Sie haben keine Macht mehr; aber sie stellen einen nicht zu vernachlässigenden Anteil der rasch vergreisenden Basis der PDS. Liest man Gisys Erinnerungen an die 1990er Jahre, so wird klar, was für ein Mammutprozess damals abgelaufen ist, an dessen Ende die PDS noch lange nicht angekommen ist.
Die Parteiführung musste erkennen, dass das Label „PDS“ ihnen im Westen ein Negativimage verschaffte, während die Ostwähler gerade deswegen die Treue hielten. Dieser Konflikt sollte mit der Umbenennung der PDS 2005 in „Linkspartei.PDS“ gelöst werden. Die Aufnahme der WASG mit Quoten deutlich zugunsten der „Wessis“ sollte außerdem für eine breite Akzeptanz im Westen sorgen. Ein erster Achtungserfolg konnte mit den 8% bei der letzten Bundestagswahl in jedem Fall errungen werden.
Jedoch: wie für eine linke Partei typisch sieht sich die Linkspartei einer ganzen Reihe innerer wie äußerer Widerstände ausgesetzt. Ich möchte zuerst auf die inneren eingehen. Was sich nach außen gerne homogen als „neue Linke“ verkauft, besteht in Wirklichkeit aus einer extrem heterogenen Ansammlung der verschiedensten Interessen und Ideologien. Von pragmatischen Sozialdemokraten, oftmals Abweichler aus den eigenen Reihen, bis hin zu stramm funktionalistisch ausgerichteten Hardcorekommunisten. Dazu kommen die Konflikte zwischen den „traditionellen“ Ostdeutschen und den von völlig anderen Erfahrungen geprägten Linken aus dem Westen. Die Gegnerschaft gegen eine Fusion von WASG und Linkspartei (auf der einen Seite die Befürchtung eines Identitätsverlusts, auf der anderen die Befürchtung eines Untergangs linker Ideale) ist ein weiterer interner Knackpunkt.
Die Widerstände von außen sind schnell benannt: Establishment. Wie bereits eingangs erwähnt, sieht sich die Linkspartei derzeit mit den gleichen Problemen konfrontiert wie die Grünen Anfang der 1980er Jahre, mit der Ausnahme, dass die Linkspartei sich der Regierungsverantwortung nicht verweigert. Die einzelnen Parteien haben ganz individuelle Gründe, die Linkspartei abzulehnen, die allesamt nicht von Dauer sein können und sich allerspätestens mit der nächsten Politikergeneration (wie im Falle der Grünen mit dem Aufstieg Lafontaines und Schröders in der SPD und Joschka Fischers bei den Grünen), wahrscheinlich aber eher früher abgeschliffen haben werden.
Bei der SPD ist dies ganz klar die ideologische Konkurrenz, die die Linkspartei darstellt, und die noch immer nicht verheilten Wunden der Schröderära, an der Lafontaine dank seines Rücktritts nicht beteiligt war und deswegen quasi moralisch unbefleckt den Zeigefinger heben und auf die schwelende Wunde im Selbstverständnis der SPD-Basis legen kann. Es sind Fragen von verletztem Stolz und Eitelkeit, die die SPD von der LiPa Abstand nehmen lassen, verbunden mit der vagen Hoffnung, die Stimmen zurückgewinnen zu können – die aber von den SPD-Spitzen nicht mehr wirklich geteilt wird. An und für sich wäre die Linkspartei für die SPD ein idealer Koalitionspartner, da sie die Stimmen auffangen kann, die die SPD nicht mehr erhalten kann – nicht nach Hartz-IV und dem neoliberalen Ruck nach rechts, der Fokussierung auf die gut verdienenden Facharbeiter. Bei der SPD wäre dafür das Eingeständnis vonnöten, dass die Zeiten als Volkspartei endgültig vorbei sind. Eine andere Alternative wäre der von Lafontaine favorisierte Weg einer Wiedervereinigung – der aber extrem unwahrscheinlich ist.
Die Grünen haben sich von der Spontipartei zu einer Partei des gut situierten Bürgertums verwandelt. Diese Wandlung hängt emminent mit den Eliten der Grünen zusammen, die bereits seit den Gründerjahren dabei sind: diese sind gewissermaßen im Establishment angekommen – ebenso wie ihre Wähler. Auch hier ist der Umgang mit der Linkspartei zu großen Teilen eine Generationenfrage. Zudem sehen sich die Grünen gerade einer parteiideologischen Erosion ausgesetzt, da ihre Kernthemen von anderen Parteien besetzt werden: der Umweltschutz von CDU und SPD, der Frieden von der Linkspartei.
Die FDP ist auf den ersten Blick die vollkommene Antipode zur Linkspartei. Abseits der ideologischen Grabenkämpfe gibt es jedoch Schnittmengen, die aufgrund der derzeitigen Prioritätsverteilung bei der FDP jedoch nicht überwindbar sind: solange der Marktliberalismus vor dem allgemeinen Liberalismus steht, ist keine Zusammenarbeit denkbar. Würde die FDP sich jedoch mehr in Richtung sozialliberal bewegen, wäre eine deutlich größere Schnittmengen im gesellschaftlichen Bereich verfügbar.
Genau diese Schnittmenge existiert mit der CDU nicht und macht diese auf lange Sicht zum unnatürlichsten Koalitionspartner der Linkspartei (nicht jedoch zum unwahrscheinlichsten). Wirtschaftspolitisch ist sie kaum mehr von der SPD zu unterscheiden, im gesellschaftlichen Bereich ist jedoch die konservativ-christliche Wertunterfütterung der Partei der traditionell atheistischen Liberalität der Linken diametral entgegengesetzt.
Letztlich ist eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei 2009 eher unwahrscheinlich, sofern die Positionen der Etablierten im Großen und Ganzen so bleiben, wie sie jetzt sind. Bei ähnlichen Wahlergebnissen droht vermutlich eine Fortsetzung der Großen Koalition. Sollte sich der Trend des Stimmenverlusts der „Volks“parteien fortsetzen und die kleinen Parteien an Macht gewinnen, dürfte einiges in Bewegung geraten; Jamaika ist dann allerdings immer noch wahrscheinlicher als rot-rot-grün oder gar eine Spanienkoalition (mein persönlicher Favorit).
Ein Vorteil der Linkspartei gegenüber den Grünen der 1980er Jahre, der ihr derzeit oft als Nachteil nachgeschrieben wird ist das Durchschnittsalter ihrer Funktionäre. Von Lafontaine, Gisy und Bisky sind keine Revolutionen zu erwarten, Straßenschlachten oder utopische Forderungen, wie sei seinerzeit die Grünen geradezu definierten. Für viele Wählerschichten besonders mittleren Alters ist die Linkspartei damit eine deutlich einfachere Alternative als es die Grünen damals waren.
Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass die Linkspartei wieder aus dem Bundestag verschwinden wird. Der Fusionsprozess wird aller Wahrscheinlichkeit nach ohne große Probleme über die Bühne gehen, und bei der nächsten Wahl könnte die Linkspartei ihren Stimmanteil auf 10-15% ausbauen. Auf die Dauer wird sie eine Partei wie jede andere werden – und in die Koalitionsverhandlungen einbezogen werden; spätestens jedenfalls, wenn sich das Zeitalter der neoliberalen Reformer dem Ende zuneigt.
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