Donnerstag, 22. März 2007

Der Irrsinn zu Gast in Berlin

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, planen die Minister Glos (Wirtschaft) und Müntefering (Arbeit und Soziales) neue Reformen. Besonders Glos' Modell (ja, der Ich-hab-keinen-Blassen-Schimmer-von-Internet-Glos) wird derzeit "von Gutachtern" gelobt. Diese "Gutachter", die von der SZ nicht genau spezifiziert sind, entstammen dem Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit. Dieses schreibt sich die Arbeitsmarktökonomie und deren Vermittlung "an die interessierte Öffentlichkeit" ebenso auf die Fahnen wie die Ökonomisierung der Hochschulen. Das ganze natürlich "in enger Kooperation" mit den staatlichen Unis. Kurz: es handelt sich wie bei der INSM um einen reinen Lobbyistenverband. Aber zur Sache:
Glos Vorschlag klingt nicht neu. Er läuft darauf hinaus, dass alle Arbeitslosen eine Pflicht zur Arbeit erhalten (womit er bereits vor einiger Zeit in den Schlagzeilen landete). Diese soll entweder über einen regulären Job laufen oder ein Ein-Euro-Job sein. Wer arbeitet, aber zuwenig verdient, soll das auf das ALG-II-Niveau aufgestockt werden.
Müntefering hingegen plädiert für eine Umsetzung des Konzepts von Bofinger und Walwei. Dieses sieht eine staatliche Förderung von Geringverdienern durch teilweise Erlassung und Rückerstattung der Sozialbeiträge vor. Gleichzeitig werden die Suventionierung der Minijobs sowie die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Hartz-IV-Empfänger stark gekürzt.
Für Glos' Modell rechnet das IZA mit Einsparungen von bis zu 25 Milliarden Euro und 1,4 Millionen neuen Stellen - für Geringverdiener. Für Bofimüntefeweis Modell rechnet sie mit 146.00 Stellen und einer Milliarde Einsparungen.
Wie die IZA auf diese Zahlen kommt, steht in den Sternen; der Artikel erwähnt es nicht. Der Vorschlag von Glos sei aber "hochgradig wirksam", weil er die (angeblich bis dato nicht vorhandenen) Anreize für Hartz-IV-Empfänger erhöhe, sich Vollzeitstellen auch im Niedriglohnsektor zu suchen.
Das IZA betreibt seine Propaganda hier mit mehreren interessanten Aspekten.
1) Wieder einmal wird die alte Mär vom Sozialschmarotzer ausgepackt. Obwohl die Zahl der tatsächlichen Hartz-IV-Missbrauchsfälle verschwindend gering ist, wird beständig dieses Phantom hochgehalten um die zahlreichen Drangsalierungen, Kürzungen und Sanktionen zu rechtfertigen, die sämtliche Hartz-IV-Empfänger treffen.
2) Das Konzept von Müntefering läuft wieder einmal auf eine Umverteilung von unten nach oben hinaus. Der Staat subventioniert das Lohndumping der Unternehmen, indem er das fehlende Geld zum Sozialhilfeniveau (!) zuschießt. Gleichzeitig aber werden die vielzitierten Arbeitsanreize für Hartz-IV-Empfänger tatsächlich zerstört, da jeder Euro auf das ALG-II angerechnet wird.
3) Beide Minister nehmen ausschließlich Vorschläge der neoliberalen Lobbyisten auf. Sozialdemokratische Konzepte finden sich überhaupt nicht.
4) Der Kernpunkt von Glos' Konzept ist die Arbeitspflicht. Die Ein-Euro-Jobs sind offensichtlich herausgerechnet worden, aber woher die Zahl der 1,4 Millionen neuen Stellen stammt bleibt völlig offen. Wie so oft wird hier in der falschen Annahme geschwelgt (die beinahe immer mit der Annnahme 1) korreliert), dass die Jobs einzig aufgrund der zu hohen Kosten fehlen. Das ist aber nicht richtig. Die letzten Jahre haben eindeutig gezeigt, dass sinkende Lohn- und Standortkosten nicht zu neuen Arbeitsplätzen beitragen. Arbeitsplätze entstehen durch das simple Spiel von Angebot und Nachfrage. Wenn keine Nachfrage existiert, kann der Lohn so niedrig sein, wie er will - neue Arbeitsplätze entstehen trotzdem nicht.
Im Endeffekt verteilen beide Konzepte die Last einseitig von der Wirtschaft weg zum Staat und der Bevölkerung. Die Arbeiter müssen weiteres Lohndumping durch ihre Steuern refinanzieren, den Arbeitslosen wird der Einstieg in den Arbeitsmarkt weiter erschwert. Besonders erschreckend ist, wie ein sozialdemokratischer Minister sich so vollständig zur Hure der Wirtschaft macht und keinerlei sozialdemokratische Elemente mehr erkennen lässt. Die Forderung der Gewerkschaften nach einem Mindestlohn (der ohnehin zu niedrig angesetzt ist), der nachweislich auf Erfahrung unserer Nachbarn hin Arbeitsplätze schafft und die arbeitende Bevölkerung deutlich besser stellt, was wiederum zu einer Ankurbelung der Binnennachfrage führt - nichts. Stattdessen wird ein Moloch einseitig befördert und begünstigt, der offensichtlich in höchstem Maße schädlich ist. Das Krebsgeschwür wird nicht entfernt, nicht einmal eingedämmt, sondern im Gegenteil immer weiter genährt - gut genährt. Denn die Ärzte sind auf seiner Seite und haben den Patienten längst dem langsamem und qualvollem Tode preisgegeben.

1 Kommentar:

  1. "Arbeitsplätze entstehen durch das simple Spiel von Angebot und Nachfrage. Wenn keine Nachfrage existiert, kann der Lohn so niedrig sein, wie er will - neue Arbeitsplätze entstehen trotzdem nicht."

    Das genau ist der Punkt!!! Wenn keine Nachfrage existiert ..., übrigens aus den verschiedensten Gründen:
    .
    - Sättigung der Privathaushalte
    - Vorsicht/Angst vor der Zukunft/...
    - immer geringeres verfügbares Einkommen
    usw.
    .
    Leider tun viele Liberalisten so, als würde man nur einen Napf hinhalten und schon beginnt der Konsum!

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